Im Krankenhaus in Tripolis: Wenn die letzte Schlacht geschlagen ist
Im Matiga-Krankenhaus in Tripolis werden Verletzte beider Seiten behandelt. Die fühlbare Anspannung lässt erahnen, wie schwierig es werden wird, die Feinde zu versöhnen.
TRIPOLIS taz | Am Ende liegen sie doch zusammen, die Soldaten der Gaddafi-Truppen und die Rebellen. Nicht nur auf einem der Friedhöfe von Tripolis, sondern auch im Matiga-Krankenhaus, das ebenso wie der Rest von Tripolis inzwischen von den Rebellen kontrolliert wird. Allerdings liegen die Kombattanten nicht in den gleichen Zimmern, erläutert der Chefarzt des Krankenhauses, Selim al-Saqr, bei einer Tour durch die Klinik.
Gleich hinter dem Eingang liegen die Rebellen. Jemand hat auf die Eingangstür zu einem der Zimmer das Wort "Freiheit" gekritzelt. Auch Adel Karim Aschuri liegt hier. Von seiner neu gewonnenen Freiheit wird er wohl nicht mehr viel haben. Aschuri war von Gaddafis Milizen dabei ertappt worden, wie er der Nato per Satellitentelefon Positionen feindlicher Truppen durchgegeben hatte. Heute kann er kaum mehr sprechen, eher bellt er. Seine Füße hängen schlaff und leblos auf dem Krankenbett.
Die Folterer des Diktators haben so viel Strom durch den Körper des 24-jährigen gejagt, dass er am Ende zwar noch lebte, aber einen Großteil seiner Nervenstränge verloren hatte. Ob er von der Nato kontaktiert worden sei, seit er hier liege? Aschuri schüttelt mit dem Kopf. Er hat es für sein Land getan, sagt einer der Ärzte und erzählt, dass der junge Mann erst so richtig gefoltert worden sei, nachdem er sich geweigert hatte, mit den Gaddafi-Truppen zusammenzuarbeiten und der Nato falsche Ziele durchzugeben. Danach gefragt, ob der zerstörte Rebellenheld Aussicht auf eine Verbesserung seiner gesundheitlichen Lage habe, blickt einer der Ärzte zu Boden und schüttelt den Kopf.
Die Sieger
In einer Handvoll Zimmer liegen Dutzende Männer aus den Reihen der Rebellen, keiner von ihnen ist älter als 30 Jahre. Die meisten wurden bei den Kämpfen um Gaddafis Festung Bab al-Asasija verletzt, manche auch in den Tagen danach, bei den Kämpfen um das Viertel Abu Selim, in das sich Gaddafis Getreue zur letzten großen Schlacht in der libyschen Hauptstadt verschanzt hatten. "Gott ist groß!", rufen sie, als der Krankenhausdirektor in die Zimmer tritt und "Nieder mit Gaddafi!".
Am Ende des Korridors ist eine Glastür. Dort steht ein Posten. Ein junger Mann mit dem schwarz-rot-grünen Stirnband der Rebellen. Durch diese Tür darf nur das Krankenpersonal, denn dahinter liegen die Zimmer mit den verwundeten Gaddafi-Kämpfern.
Der Wachposten steht hier aus zweierlei Gründen: die Gaddafi-Leute sollen nicht fliehen. Und sie sollen nicht von der anderen Seite gelyncht werden. "Irgendwie tun sie mir leid, das sind Menschen und Muslime wie wir", sagt der Wachposten.
Chefarzt al-Saqr betont an dieser Stelle, dass die Rebellen gut mit diesen Patienten umgingen. Im ersten Zimmer bestätigen mehrere Patienten, dass sie zu essen bekommen und medizinisch gut behandelt würden. "Viele fühlen sich vollkommen verloren und von Gaddafi ausgenutzt. Sie bereuen, was sie getan haben. Andere blieben uneinsichtig", erzählt Saqr.
Versteckt unter der Decke
Die Uneinsichtigen erkennt man daran, dass sie sich die Decken über die Köpfe gezogen haben. Vielleicht schämen sie sich auch. Auch viele Söldner aus benachbarten afrikanischen Ländern sind unter den Patienten, sie kommen aus Nigeria, dem Sudan und dem Senegal, erzählen sie, ansonsten bleiben sie schweigsam.
"Es tut mir leid, was wir getan hat, ich bereue es heute, dass wir auf unsere eigenen Brüder geschossen haben", sagt der Libyer Walid Hassan, ein regulärer Soldat der libyschen Armee, der aufrecht in seinem Bett sitzt.
Auf die Frage, warum er nicht wie viele andere Soldaten desertiert oder übergelaufen sei, hat er eine einfach Antwort: "Ich hatte zu viel Angst." Fahnenflüchtige, die erwischt worden seien, seien erschossen worden. "Sie haben uns gedroht, auch unsere Familien umzubringen", erzählt Hassan.
Aber in den Betten liegen auch Menschen, die weiterhin von Gaddafi überzeugt sind. Der Mann etwa, der im letzten Bett in der Reihe liegt. Er habe vor ein paar Tagen zu fliehen versucht, in dem er sich eine weiße Schürze eines Krankenpflegers organisiert hätte, erzählt einer der Krankenhausmitarbeiter.
Die Spannung ist zu spüren
"Nieder mit Gaddafi!", ruft der Pfleger. Ein paar der Patienten heben den Arm zum Siegeszeichen und wiederholen den Slogan. Andere schweigen.
Der Pfleger geht auf einen der schweigenden Männer zu. "Nieder mit Gaddafi!", wiederholt er. Als der verwundete Soldat immer noch nichts sagt, haut er Pfleger ihm auf den Fuß. Dann greift der Krankenhausdirektor ein und schickt alle aus dem Raum. Die Anspannung zwischen beiden Seiten liegt genauso in der Luft wie der Geruch des Desinfektionsmittels.
Ein paar Gänge weiter liegt der Frauentrakt. Vor einem der wenigen Einzelzimmer sitzt ebenfalls ein Posten. Im Zimmer drinnen liegt Sareen Mansour. Die erst 19-Jährige wurde zwei Tage zuvor eingeliefert. Sie war eine Scharfschützin der Gaddafi-Truppen, die sich in Abu Selim verschanzt hatten. Mit ihrem kleinen Körper füllt sie nicht einmal das halbe Krankenbett aus.
Die Decke hat sie sich bis unter das Kinn gezogen, ihr Kopftuch bedeckt die Haare. Nur ihr Gesicht und zwei verschreckte Augen sind zu sehen. Am Ende ihres letzten Gefechts sprang sie bei dem Versuch, den vorrückenden Rebellen zu entkommen, vom zweiten Stock eines Gebäudes.
Mansour spricht nur langsam und sehr leise, offensichtlich unter dem Einfluss der schweren Schmerzmittel. Was sie darüber denkt, dass sie im schwer verletzten Zustand in einem von Gaddafi-Gegnern kontrollierten Krankenhaus liegt? Keine Antwort. Stattdessen fängt sie kaum hörbar zu schluchzen an. Wie viele Menschen diese junge Frau von den Dächern der Stadt aus erschossen hat, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.
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