Kommentar Gaddafi: Zeugnisse der Grausamkeit
Ein Diktator, der dazu aufruft, eine Millionenstadt Haus für Haus von "Ratten" zu säubern, ist nichts anderes als ein Anstifter zum Völkermord.
N ach seinem Sturz wird Gaddafis Brutalität gegenüber dem eigenen Volk in ihrem ganzen Ausmaß allmählich sichtbar. Die Dutzenden verkohlten Leichen in einer improvisierten Haftanstalt der Gaddafi-Truppen in Tripolis, die von Rebellen gefunden wurden, sind ein besonders schreckliches von vielen Zeugnissen des Horrors.
Wenn sich die Schätzungen der Aufständischen bewahrheiten sollten, sind in den sechs Monaten des libyschen Krieges möglicherweise zehntausende Zivilisten durch die Truppen des jetzt gestürzten Machthabers umgebracht worden.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die internationale Militärintervention gegen Gaddafis Truppen bei ihrem Anmarsch auf Bengasi im März richtig war, dann liefern ihn die Toten von Tripolis. Gaddafi drohte nicht nur mit Massakern, seine Streitkräfte haben sie auch verübt. Wer das nicht sehen will, macht sich des Wegsehens schuldig.
ist Co-Leiter des Ressorts Ausland der taz und zuständig für die Afrika-Berichterstattung.
Ein Diktator, der dazu aufruft, eine Millionenstadt Haus für Haus von "Ratten" zu säubern, ist nichts anderes als ein Anstifter zum Völkermord. Er ist als Verhandlungspartner weder akzeptabel noch vertrauenswürdig. Die Vorstellung, statt eines militärischen Eingreifens hätte es eine internationale Vermittlung zwischen dem Schlächter und seinen möglichen Opfern geben sollen, ist realitätsfern und zynisch.
Festzuhalten bleibt: Die französisch-britischen Luftangriffe auf Gaddafis Truppen vor Bengasi haben zahllosen Menschen das Leben gerettet. Seitdem ist auch klar, dass nur durch die vollständige Beseitigung des Gaddafi-Regimes echte Sicherheit für das libysche Volk hergestellt werden kann. Das heißt zwar nicht, dass ohne Gaddafi in Libyen automatisch der Frieden einkehrt. Aber mit ihm wäre das Grauen nur weitergegangen.
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