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Im ImpfzentrumPfeile, Westen, Spritzen

Das Design des Impfzentrums verrät die subkutane Message: Wir sind unterschiedlich und doch gleich. Es ist ein positiver Ort, keine Kaserne.

Die Impfkabinen im Impfzentrum Tempelhof, Berlin Foto: Tobias Schwarz/dpa

G roße Überraschung – wenn gewünscht, morgen 11.30 Uhr Impftermin. Wo? Impfzentrum Tempelhof. Was? Astrazeneca. Da gehe ich hin, eigentlich ist mein Termin erst Ende April, warum so lange warten?

Sonnabend, ich schwinge mich aufs Rad, fahre übers Tempelhofer Feld und finde das Zentrum im Flughafengebäude. Ich bin nicht allein, es herrscht Betrieb. Empfangen werden wir von den türkischen und arabischen Jungs, die ich aus Kreuzberg/Neukölln kenne. Nun haben sie gelbe und orangefarbene Schutzwesten an, sind freundlich und hilfsbereit – messen Fieber, prüfen meine Einladung von der KV, geleiten mich zu Koje 26, um Formalitäten zu besprechen.

Dort arbeiten die Schwestern der Jungs, sie sind genauso kompetent wie freundlich. Ich befinde mich in einem Flughafenhangar, wo im Herbst Kunstmessen stattfinden. Eine Lüftungsanlage befindet sich an der Decke, die Halle ist durch weiße Wandmodule in Wartezonen und Verbindungsgänge unterteilt, an den Wänden Zahlen in Gelb, auf dem Boden gelbe Pfeile.

Verlaufen kann man sich nicht, da wären auch die Jungs vor, die charmant und souverän ihres Amtes walten und mich alsbald in einen Wartebereich lotsen, wo bereits 50 andere auf Abstand sitzen.

Die unschlagbare Erfahrung dieser halben Stunde war, zu erleben, wie diese Jungs aufblühen, wenn sie eine sinnvolle Aufgabe haben

Farbenspiele mit Westen

Als ich das Handy zücke, weist mich eine Ordnerin freundlich darauf hin, dass das nicht geht. Egal, denn es geht gleich weiter, Reihe für Reihe werden 6er-Trupps zur nächsten Station gelotst. Jetzt verstehe ich die Gesten des Ordners, denn der bekommt Handsignale für unser Nachrücken in einen langen Gang: an der Wand Stühle, gegenüber vier Raumsegmente mit jeweils 16 Impfkojen; hier arbeiten grüne Westen, sie bringen uns, sobald eine Koje frei wird, zu den impfenden Ärzt*innen. Keine fünf Minuten sitze ich und sehe zu, wie orange und grüne Westen miteinander sprechen. Jetzt kommen violette hinzu, das sind anscheinend die Chefs. Im Hintergrund sehe ich Blauwesten stehen, einmal läuft eine Bundeswehruniform durchs Bild; hinter den Modulen befinden sich Personal- und Lagerräume.

Wie die Erbsen sind wir angekommen, einzeln, und werden in Gruppen bearbeitet in einem individuellen Impfvorgang. Dass dies in zivilem Kontext geschieht, wird durch Design geregelt. Sozialdesign: freundlicher Empfang, begleiten, informieren, verabschieden. Objektdesign: helles Licht, Gelb für Leitsysteme, hellgrüner Bodenbelag in den Impfkojen und sogar ein funktionsfreies Ornament aus sechs vertikalen Balken unterschiedlicher Länge in Gelb, Ocker und Braun an den Wänden. Dessen subkutane Message: Wir sind unterschiedlich und doch gleich, hier ist ein positiver Ort, keine Kaserne!

Nun geht es recht schnell: Der Mann in grüner Weste bleibt bei mir während die junge Ärztin in meinen Arm pikst. Ich merkte nichts, vorbei, ich erhalte das Dokument dieser Impfung, zweiter Termin ist im Juni. Das Ende vom Parcours wird von den Blauen betreut – der Ruhebereich, wo es Wasser gibt. Ich brauche weder noch und folge den Pfeilen zum Ausgang, wo ein Orangener mir alles Gute wünscht. Ufff, vorbei, geimpft!

Die unschlagbar gute Erfahrung dieser halben Stunde war, zu erleben, wie diese Jungs aufblühen, wenn sie eine sinnvolle Aufgabe haben: Sie zeigten mir mit ihrer Freundlichkeit, dass selbst eine eher stressige Situation angenehm verlaufen kann, weil oder wenn Design und Ästhetik stimmen.

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2 Kommentare

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  • Ich hatte heute meinen ersten. Auch Tempelhof.

    Kann ich so bestätigen.

    ♥♥♥ an alle, die dort arbeiten.

  • SUPER GESCHRIEBEN. WHOW. ECHT JETZT: Peter Funke nimmt sich den Vorgang „Geimpft werden“ vor. Der hat Bedeutung für den Einzelnen und für „alle“, die noch warten, weil sie natürlich was zum „Geimpft werden“ erfahren wollen und sich corona-chaotisch vielleicht denken, dass man sich da „auf was gefasst machen“ könne in mehr als einer Hinsicht. Dann lieber gleich: Och nö, heute nicht wieder Corona. Es muss doch noch was anderes geben. Tut es. Der Artikel bringt es an das Frühlingstageslicht.



    Das ganze Geschehen dauert gerade mal eine halbe Stunde. Peter Funke lässt den Leser miterleben, wie vielschichtig vieldimensional das Geschehen ist, das als Impfzentrum seinen Knotenpunkt findet. Räume verschränken sich, lassen soziales Geschehen hervortreten und für den Leser erfahrbar werden. Ein sozialer Ort wird zurückgelassen, um einen organisatorischen Raum aufzusuchen. Menschen und Farben, Symbole-Pfeile- Westen-Spritzen. Doch davor stehen schon die vertrauten Anderen aus dem Kiez, heute mal erfrischend-überraschend-unvertraut anders. Unschlagbar, wie der Autor seine unschlagbare Erfahrung dem Leser rüber bringt. Die Jungs (draußen) und ihre Schwestern (drinnen)... Das wird sowas von erzählt. Da steht soviel noch dahinter, worüber "nach-zu-sinnen" lohnt. Zärtlich. So kriegen das wohl wirklich nur die Berliner hin. Es sei ihnen gegönnt. Sie bringen es uns Anderen ja total gut rüber.