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Im Gespräch bleibenDie Pandemie als Trainingslager

Sich aufregen kann jeder. Miteinander reden aber muss man üben. Dafür war die Pandemie gut. Die Gruppe „Salong“ ist der Beweis dafür.

Hinter jedem Post steckt ein Mensch (Symbolbild) Foto: plainpicture

Auch wenn es schon oft zu hören war, ist es dennoch wahr: Die Pandemie hat Dinge ins Rollen gebracht, ist eine Chance auf ein besseres Morgen. Unsere Gruppe ist der beste Beweis dafür. Die Pandemie war keine vier Wochen alt, als wir beschlossen, uns nicht auch mit dem parallel zum Virus grassierenden Wahnsinn anzustecken.

Nicht nur auf der Straße und in den sozialen Medien liefen die Debatten heiß, sondern auch in unserem Freundeskreis, einer weit verzweigten und diversen Gruppe von etwa 150 Menschen, die sich über viele Jahre durch die Organisation von Festivals und kreativen Protestaktionen aufgebaut hatte.

Weil wir noch im Sommer vorher zusammen getanzt und gelacht hatten, verabredeten wir uns an einem Sonntagabend auf Zoom, um miteinander zu sprechen. Unsere Runde verselbstständigte sich schnell, weil schon an diesem ersten Abend alle spürten, wie angenehm es ist, zur Meinung eine Stimme zu hören und zum Weltbild ein Gesicht zu sehen. Wir nannten uns „Salong“, und den gibt es bis heute.

Im Frühjahr gehen wir in die 50. Runde. Wir treffen uns alle zwei Wochen über unsere Computerbildschirme, laden Gäste ein und tauschen uns aus. In der angeschlossenen Chatgruppe sind mittlerweile über 280 Menschen. Wir sind in keinem Fall immer derselben Meinung, aber uns eint die Überzeugung, dass man auch dann im Gespräch bleiben muss, wenn man das Telefon zum Abkühlen am liebsten in die Spree schmeißen würde. Der „Salong“ hat sich für uns zu einem Trainingslager für zugewandtes Sprechen entwickelt.

Die Pandemie verlangt uns viel ab: Durchhaltevermögen, Empathie, Gelassenheit. Andererseits erleben wir gerade eine Politisierung, wie sie Deutschland schon lange nicht mehr gesehen hat. Was für eine Chance! Auf den Demonstra­tio­nen von Impf­skep­ti­ke­r:in­nen und Geg­ne­r:in­nen der Coronapolitik, auf „Spaziergängen“ und in den Diskussionen im Freundes- und Fami­lien­kreis wird spürbar, wie sehr viele Menschen plötzlich den Mund zum politischen Landes- und Weltgeschehen aufmachen, die sich selbst noch bis vor zwei Jahren als unpolitisch beziehungsweise nicht politisch aktiv bezeichnet hätten.

Menschen finden neue Freunde und Zusammenhalt, vielleicht sogar neuen Lebensinhalt. Diese Dynamik wertzuschätzen und im Dialog in konstruktive gesellschaftliche Mitgestaltung zu verwandeln, ist unser bescheidenes Weltverbesserungsvorhaben.

Anfang Dezember führte ein Beitrag in der taz in unserer Gruppe zu hitzigen Debatten. Für viele von uns treffend erklärte ein Autor unter der Überschrift „Der Stolz der Störer“, dass wir nach Jahrzehnten der Entsolidarisierung die Gesellschaft geworden sind, die wir uns verdient haben. Freiheit ist zum individuellen Statussymbol geworden.

Verloren gegangen ist uns das Verständnis, dass Freiheit nur von Wert sein kann, wenn sie für die gesamte Gesellschaft gilt. Doch dabei ging er so weit, alle, die sich mit der Impfung schwer tun, als Ego­zen­tri­ke­r:in­nen und Globuli­trupps zu diffamieren, die sich hauptsächlich an ihrer neu gewonnenen Lautstärke ergötzen. Vielen von uns ging das zu weit. Wer auf diese Weise Menschen zum Nachdenken bringen will, braucht sich nicht zu wundern, dass niemand zu Kaffee und Kuchen kommt.

Wie bleibt man ruhig?

Auch bei uns tun sich viele mit den Argumenten gegen die Impfung schwer. Wir trainieren jedoch regelmäßig in unserem „Salong“, wie man ruhig bleibt, wenn Texte zirkulieren, die die einen für gefährlich manipulative Halbwahrheiten halten und die anderen für eine mutige Haltung gegen den Mainstream. Weil wir wissen, dass hinter jedem Post ein Mensch steckt, dem wir beim nächsten Digitaltreffen wieder in die Augen blicken können wollen, sind böse Fouls ausgeschlossen. Und dann schwärmen wir in unsere Freundeskreise und Familien aus und wenden an, was wir geübt haben. Das geht nicht immer gut. Aber es ist immer besser, als sofort loszuschreien.

Es steht viel auf dem Spiel. Die Demonstrationslust speist sich aus dem nachvollziehbaren Frust über die vielen nicht eingehaltenen Versprechungen für mehr Wohlstand und Sinn, aus dem Ärger über eine Gesellschaft, in der die Ungleichheit immer größer wird und Menschen in systemrelevanten Berufen so schlecht behandelt werden, dass sie in Scharen fliehen.

Doch in dieser grundsätzlich unterstützenswerten Bewegung steckt ein kleiner, giftiger Splitter. Die starke Politisierung der Impfgegner:innen-Milieus geht oft einher mit einem rebellischen Stolz, der ohne Feindbild nicht auskommt. David gibt es nicht ohne Goliath, das „Wir hier unten“ nicht ohne „Die da oben“. Doch geht man diesem „Die da oben“ nicht sorgfältig auf den Grund, findet man sich wieder neben dem einen mit der Reichskriegsflagge und der anderen, die von „den Rothschilds“ raunt, und beide freuen sich darüber, eine weitere Tür aufgestoßen zu haben vom äußersten Rand zur Mitte der Gesellschaft.

Die Annahme, in einem versteckt autoritären Staatssystem permanent manipuliert und betrogen zu werden, führt zum Misstrauen gegen den Apparat als Ganzes. Damit stirbt jeder mögliche Austausch und die Suche nach Konsens. In Vergessenheit gerät, dass wir trotz kapitalistischer Verseuchung in einer Demokratie leben. Dass Teilhabe möglich ist, beweist nicht zuletzt die enorm hohe Anzahl neuer Bundestagsabgeordneter unter 35. Allein in der SPD sind es 50. Mit einer von ihnen haben wir uns vor zwei Wochen im „Salong“ unterhalten.

In unserer Gruppe kursierte neulich ein Flyer, der dazu aufrief, Impftote zu melden. Darauf die Webadresse von einer der Partei „Die Basis“ nahe stehenden „Kontrollgruppe“ und Quellenangaben zum Statistischen Bundesamt und dem Paul-Ehrlich-Institut. Eine Nachfrage bei der „Kontrollgruppe“ ergab nicht nur, dass sie nach eigener Aussage mit dem Flyer nichts zu tun habe.

Sondern auch, dass die Belege über die Impftoten zu einer Statistik aller verabreichten Impfdosen zwischen 2003 und 2019 und zu einem Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts führten, der eine Covid-19-Impfung ausdrücklich empfiehlt. Plötzlich sprachen wir in unserer Gruppe nicht mehr über Impftote, sondern darüber, wie und warum solche Ängste instrumentalisiert werden – ein für alle erhebender Moment, weil er uns nicht nur klüger gemacht hat, sondern auch glücklicher.

Unsere Hoffnung ist, dass das aufgekommene Engagement und die Lust am Mitmischen nicht abebben, sondern sich in viele kleine Gießkannen verwandeln, die den Paradigmenwechsel, den wir brauchen, auf friedliche Art zum Wachsen und Gedeihen bringen. Es muss noch viel mehr solcher Trainingslager wie unseres geben.

Zum „Salong“ am vergangenen Dienstag luden wir ein mit den Worten: „Heute Abend noch nichts vor? Schon morgens Lust, das Radio aus dem Fenster zu werfen, weil wieder jemand Inzidenz gesagt hat? Das Gefühl, die Sonne zuletzt im Sommer 1996 gesehen zu haben, kurz vor dem Einschlafen nach einer durchtanzten Nacht? Dann wärmt euch heute Abend im Salong.“

Zwei Stunden lang sprachen wir dann mit dem Leiter eines Pandemiestabs in einem Berliner Gesundheitsamt darüber, warum die Dänen jetzt alle Beschränkungen haben fallen lassen und wir nicht und warum Österreich im Gegensatz zu Deutschland PCR-Tests für alle anbieten kann. Als wir zum obligatorischen Schlusssong gemeinsam in die Nacht schunkelten, hatten alle ein seliges Lächeln im Gesicht. Der „Salong“ ist zu unserer eigenen kleinen Welt geworden, in der wir uns wärmen, wenn draußen der Wind pfeift.

Dieser Beitrag entstand kollektiv. Die Au­to­r:in­nen haben ihn in Abstimmung mit weiteren Mitgliedern des „Salongs“ verfasst. In Kürze wird der „Salong“ eine eigene Homepage haben.

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