Illegale Abschiebungen in die Türkei: Direkt zurück an die Grenze

Griechenland soll zehntausende Flüchtlinge ohne Asylverfahren abgeschoben haben. Auch das UNHCR hat solche Vorfälle registriert.

Flüchtlinge laufen in Griechenland in der nähe des türkischen Grenzflusses Evros auf einer Straße und schauen sich um.

Von Abschiebung betroffen: eine Gruppe von Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Grenze Foto: Alkis Konstantinidis/reuters

BERLIN taz | Griechenland hat an der Landgrenze zur Türkei in den vergangenen zwölf Monaten fast 60.000 Menschen illegal zurückgeschoben. Das berichtet der Spiegel unter Berufung auf Dokumente des türkischen Innenministeriums.

Mit den Zurückschiebungen verstößt Griechenland gegen seine Pflicht, Ankommenden die Möglichkeit für einen Asylantrag zu geben. Dies wiegt umso schwerer, als es sich bei den Zurückgeschobenen auch um Menschen aus Konfliktregionen wie Afghanistan, Pakistan, Somalia und Syrien handelt. Und die Türkei schiebt ihrerseits Zurückgeschobene in ihre Herkunftsländer ab.

Griechenland weist die Vorwürfe zurück. „Das haben wir bereits mehrmals dementiert. Griechenland ist ein Rechtsstaat“, sagte Alexandros Gennimatas, Sprecher des Außenministeriums, am Donnerstag der DPA in Athen.

Auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR hat Berichte über Pushbbacks erhalten, will aber keine Angaben zu Zahlen machen. Die Organisation sei „besorgt“ wegen „anhaltender, glaubwürdiger Berichte“ über die informellen erzwungene Rückführungen von Griechenland in die Türkei, so eine Sprecherin. „Bei vielen Gelegenheiten haben wir diese Bedenken an die griechischen Behörden übermittelt und eine Untersuchung der Vorfällen gefordert.“ Bisher habe Griechenland auf diese Berichte aber nicht reagiert und einen effektiven Zugang zum Asyl und zum Schutz vor de Zurückschiebungen sicher gestellt.

Mit Gewalt genötigt

Tatsächlich ist die Praxis dieser Zurückschiebungen seit langer Zeit bekannt. Dabei werden Migranten und Flüchtlinge, die die griechische Polizei aufgreift, nicht wie vorgeschrieben zunächst in Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sondern direkt an die grüne Grenze zurückgefahren und meist mit Gewalt dazu genötigt, zurückzugehen. Strittig war in der Vergangenheit unter anderem die Frage, welche Rolle die EU-Grenzschutzagentur Frontex dabei spielt. Frontex hatte die Zurückschiebungen meist als rein griechische Aktionen dargestellt.

Neu ist, wie die Türkei mit dem Phänomen umgeht: Nämlich mit einer Offenlegung ihrer Erkenntnisse zu den Pushbacks. Im Juli war Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia Ministerpräsident geworden und hatte bald eine härtere Gangart in Sachen Asyl angekündigt. Ankara fürchtete offenbar eine Zunahme der illegalen Rückschiebungen. Ende Oktober hatte die Türkei deshalb Griechenland der Lüge bezichtigt.

Obwohl die Regierung in Athen die Pushbacks leugne, setze sich die Praxis „sowohl auf See als auch an Land fort“, hieß es in einer Erklärung des türkischen Außenministeriums. Damals war von rund 25.400 solcher Zurückschiebungen in den ersten zehn Monaten dieses Jahres die Rede. „Wir fordern die neue griechische Regierung auf, sich für eine Korrektur dieser völkerrechtswidrigen Politik einzusetzen, anstatt die vom Europarat ermittelten Pushback-Fälle zu leugnen“, schloss das Ministerium. Die Weitergabe der internen Ermittlungsberichte an den Spiegel dürfte Teil dieser Offensive sein.

Die Region um den Evros-Fluss ist weniger im Fokus als die Ägäis-Inseln, auf denen die EU und Griechenland insgesamt fünf Hotspots genannte Registrierungszentren betreiben. Diese Lager sind zwar völlig überfüllt, es herrschen katastrophale Zustände.

Wenig öffentliche Aufmerksamkeit

Abschiebungen aber gab es von den Ägäis-Inseln, wo alle Flüchtlinge mindestens ein abgespecktes Asylverfahren durchlaufen, vergleichsweise wenige: Von April 2016 bis Mai 2019 wurden insgesamt rund 2.460 Menschen in die Türkei abgeschoben – also ganz erheblich weniger als am Evros, wo es kaum öffentliche Aufmerksamkeit gibt.

Ein Grund dafür, warum die Zahl der Abschiebungen von den Inseln relativ gering ist, ist, dass die griechischen Asylbehörden die Türkei unter anderem deshalb nicht für sicher halten, weil sie in Länder wie Afghanistan abschiebt. Am Evros aber gibt es solchen Rechtsschutz nicht.

Salinia Stroux, freie Mitarbeiterin bei Refugee Suppurt Aegean in Athen, beobachtet die Lage am Evros seit Jahren. „Alle wissen es seit Jahren, auch Frontex ist Zeuge dieser Vorfälle.“ Schon 2013 hat Stroux für Pro Asyl eine Studie über die illegalen Zurückschiebungen aus Griechenland verfasst. „Die Zahlen schätzte man damals auch schon sehr hoch“, sagt sie.

Tatsächlich sei die Türkei der einzige Akteur, der halbwegs genaue Zahlen über das Geschehen habe „und auch schon immer hatte“, sagt Stroux. Am Evros Zurückgeschobene würden in der Regel aufgegriffen und in kleinen Polizeiwachen an der Grenze oder in der Stadt Edirne in Gewahrsam genommen. „Uns haben viele Flüchtlinge und Migranten berichtet, dass sie dabei befragt wurden.“ Dass die Türkei diese Statistiken nun erstmals so offensiv kommuniziert, nennt Stroux „ein politisches Spiel“, offenbar um den Druck auf Griechenland und die EU zu erhöhen.

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