Kommentar: Ideologiefrei
■ Karlsruhe: Regelungen zu DDR-Sonderrenten zum Teil verfassungswidrig
Die Wiedervereinigung ist so langsam geschafft – nicht nur bei den Renten. Mehr noch als die Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht gestern zur Behandlung von ehemaligen DDR-Privilegierten getroffen hat, zeigt das die emotionslose Herangehensweise der Karlsruher Richter. Ohne das „Rentenstrafrecht“ zu erwähnen, arbeiteten die Richter den ideologieüberladenen Wust von Einzelvorschriften ab, den ihnen die Nachwendezeit überlassen hatte. Daß sie sich dabei auf das Rentenrecht beschränkten, sollte beim Thema Altersversorgung selbstverständlich sein. Noch vor wenigen Jahren sah die politische Diskussion aber anders aus. Wenn sich jetzt der Gesetzgeber mit einigen der beanstandeten Vorschriften neu auseinandersetzen muß, sind erregte Diskussionen kaum noch zu erwarten. Denn vom Großteil der bewußt diskriminierenden Vorschriften – wie etwa dem Automatismus: hohe Einkommen im Staatsapparat gleich niedrige Altersversorgung – hatte sich auch das Parlament schon verabschiedet. Der Streit ging nur noch um die Vergangenheit. Auch daß Stasi-Mitarbeiter über Sozialhilfeniveau zu setzen sind, dürfte kaum noch jemanden erschüttern.
Die Entscheidung hat klargestellt: Die Vereinigung war kein rechtsfreier Raum. Sie durfte nicht zum Spielfeld für nachträgliche Korrekturen eines Systems werden, das sich wohl im Ganzen aber selten mit Wirkung für den einzelnen bewerten läßt. Wenn es trotzdem so etwas wie ein „Sonderrecht der Wiedervereinigung“ gibt, in dem auch mit gutem Grund erworbene Anwartschaften untergehen, ist das legitim. Das ist das Ergebnis eines für manche schmerzhaften Systemwechsels, der anders kaum möglich war. Was es nicht ist, ist die Ächtung ganzer Gruppen. Auch wenn sich der Anwalt einer Gruppe von klagenden Professoren erbost zeigte, daß keine speziellen Versorgungssysteme für seine Mandanten geschaffen werden müssen – unter dem Strich haben gestern alle gewonnen. Nicht nur die klagenden Professoren. Die bekommen als Altrentner ohnehin zum Teil Zehntausende Mark nachgezahlt. Auch daß ein großes Kapitel DDR-Aufarbeitung in durchdachter und schlichter Form zu Ende geht, war nötig. Es wäre schön, wenn es beim letzten großen Aufarbeitungskapitel ähnlich zuginge, das im nächsten Monat mit den Bodenansprüchen von Alteigentümern zur Verhandlung steht. Gudula Geuther
Bericht Seite 10
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