Identitäre Bewegung in Österreich: Sellner und Kameraden vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft Graz klagt eine Reihe österreichischer Identitärer an. Darunter ist auch der „Promi“ Martin Sellner.

Die IBÖ nütze „die auch in der österreichischen Bevölkerung stetig zunehmende Angst vor radikalislamischen Terroranschlägen, um den Islam generell mit islamistischem Terror gleichzusetzen und jede in Österreich lebende, der muslimischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnende Person als potenziell terroristisch darzustellen“, so der Ankläger.
Erstmals waren im April 2016 Ermittlungen gegen die IBÖ aufgenommen worden, als Aktivisten in Graz beim Büro der Grünen ein Transparent mit der Aufschrift „Islamisierung tötet“ entrollten. Während über Lautsprecher die Grünen und die SPÖ für den Terror in Europa verantwortlich gemacht wurden, kippten die Aktivisten Theaterblut über das Spruchband. Es folgten Zwischenfälle in der Uni Klagenfurt, wo während einer Vorlesung über Asyl und Migration ein Transparent „Stoppt Zuwanderung“ aufgespannt wurde.
Im September 2016 sprühten Identitäre in der steirischen Ortschaft Maria Lankowitz Parolen wie „Integration ist Lüge“ auf Straßen und Gehsteige. Heiligenfiguren in der Kirche hüllten sie in Plastik-Burkas. Der letzte in den Strafantrag aufgenommene Vorfall ereignete sich im März 2017 in Wien, wo der türkische Präsident via Spruchband auf einem Wohnhaus aufgefordert wurde: „Erdogan, hol deine Türken ham“.
Nähe zur FPÖ
Die österreichischen Identitären stehen Teilen der FPÖ nahe. So wurde der Grazer Gemeinderat Heinrich Sickl bei einem Aufmarsch der IBÖ mit einer Fahne fotografiert. Auch Mario Eustacchio, FPÖ-Vizebürgermeister von Graz, ist schon bei den Identitären aufgetreten. Die Grünen fordern jetzt anlässlich der Anklageerhebung Sickls Rücktritt.
Johann Gudenus, Fraktionschef der FPÖ im Nationalrat, sieht keinerlei Verbindung zwischen seiner Partei und der rechtsextremen Vereinigung. Für Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) ist aber „ein enges Näheverhältnis schwer bestreitbar“. Auch Parteichef Heinz-Christian Strache hatte sich vor seiner Zeit als Vizekanzler als Fürsprecher der Identitären betätigt. Es handle sich um eine rechte Form der Zivilgesellschaft, sagt Strache. Das müsse legitim sein, solange die rote Linie des Strafrechts nicht überschritten werde.
Der Anwalt der Identitären will die Vorwürfe dadurch entkräften, dass die Aktionen seiner Mandanten „nicht planmäßig“ ausgeführt worden seien. Das hält Julian Bruns, Co-Autor eines Buches über die Bewegung, für „bizarr“. Denn penible Planung sei ja ein Charakteristikum der Propagandauftritte. Er hält die 2012 gegründete IBÖ für gefährlicher als traditionelle Neonazis, weil sie als „softe Rechte“ daherkämen und daher leichter Akzeptanz finden würden.
Auf ihrer Homepage berufen sie sich auf einen „Patriotischen Grundkonsens“: „Wir lieben unsere Heimat und müssen uns dafür nicht rechtfertigen. Denn Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ Das multikulurelle Experiment sei gescheitert: „Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch. Wir setzen uns daher für eine nachhaltige Bevölkerungspolitik und ein Ende der Massenzuwanderung ein.“
Die Meinungsfreiheit höre dort auf, wo Leib und Leben bedroht seien, sagt Autor Julian Bruns. Er und seine Co-Autoren hätten schon Morddrohungen erhalten, nur weil sie ein Buch über die Identitäre Bewegung schrieben.
Wann der Prozess beginnen wird, kann die Grazer Staatsanwaltschaft noch nicht sagen. Die Richterin müsse sich zuerst in die Akten einlesen. Der Strafrahmen reicht bis zu fünf Jahren.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel