: „Ich will in Frieden leben“
Houssam Remmo war nordbremischer Bürgerschaftskandidat der SPD. Nun ist er ausgetreten, weil er findet, dass die Bremer SPD sich zu wenig für die Polizei stark macht
Houssan Remmo, geb. 1981 in Beirut, in Berlin zur Schule gegangen, arbeitet in einer Druckerei und als Übungsleiter bei der Arbeiterwohlfahrt.
Interview Klaus Wolschner
taz: Herr Remmo, wieso sind Sie vor zwei Jahren in die SPD eingetreten?
Houssam Remmo: Das hing mit der Flüchtlingskrise zusammen. Es gab viele Beschwerden von meinen deutschen Freunden und Nachbarn, die Polizei war am Anfang überrascht von der Situation und überfordert. Ich habe erlebt, dass manche dieser Neubürger Frauen sexuell belästigt haben, das hat meine Familie auch direkt betroffen. Freunde von mir haben gesagt: Wenn wir dazu etwas sagen, gelten wir schnell als ausländerfeindlich.
Sie sind schnell in den Unterbezirksvorstand gekommen.
Während der Bundestagswahl war ich im Team von Uwe Schmidt, einem Mann, der Klartext redet. Danach bin ich gefragt worden, ob ich kandidiere.
Und jetzt sind Sie ausgetreten aus der SPD. Warum?
Die Mitglieder haben von der Vorsitzenden Heike Sprehe eine Mail bekommen mit dem Hinweis auf eine Antifa-Demonstration, mit dem Satz: „Es ist gut, wenn dort auch Sozialdemokraten Flagge gegen Rechts zeigen.“ Sie wollte auch mitkommen. Ich bin hingegangen, aber Heike hat 15 Minuten vorher abgesagt. Das hat mich schon irritiert. Als ich aus der Bahn ausgestiegen bin, habe ich schon die Vermummten gesehen. Als ich da war, hörte ich Rufe: „Da sind Nazis am Straßenrand.“ Da stand Oliver Meier, hat mir zugewunken und ist dann zu mir gekommen, um mich zu begrüßen. Da kam plötzlich eine Gruppe von Leuten auf ihn zu, er wurde geschlagen, bekam mehrere Tritte, ging zu Boden. Ich habe mich vor ihn gestellt und gerufen: „Keiner von euch berührt ihn.“ Zwei, drei Meter daneben standen Polizisten, die haben nichts gemacht. Das hat mich sehr getroffen. Warum greift die Polizei da nicht ein? Das kann doch nicht sein! Selbst wenn das ein Nazi wäre.
Oliver Meier war 2015 Kandidat für „Bürger in Wut“. Ist er für Sie ein Nazi?
Nein. Ich kenne ihn seit Langem. Er ist kein Nazi. Mein Verständnis von Rechtsstaat ist außerdem, dass man niemanden wegen seiner Gesinnung verprügeln darf.
Was passierte dann?
Dann kam ein Polizeibeamter. Oliver hat mir erzählt, dass der gesagt habe, er solle den Platz verlassen. Dann ist er mit ihm weggegangen. Ich habe dann die Demonstration verlassen, ich wollte mich distanzieren von diesen Leuten, die sich „Antifa“ nennen. Ich bin, als ich sieben Jahre alt war, aus einem Krieg im Libanon geflüchtet. Ich hasse Krieg. Ich will in Frieden leben. Unter uns Arabern gibt es viele Antisemiten. Ich will damit nichts zu tun haben, ich habe jüdische Freunde. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bremerhaven ist mein Freund.
Aber warum sind Sie aus der SPD ausgetreten?
Die SPD-Vorsitzende hat hinterher gesagt, sie hätte lediglich auf die Demonstration hingewiesen. Ich finde, das ist Doppelmoral.
Hatten Sie schon vorher Probleme in der SPD?
Ich war der einzige Kandidat für die Bürgerschaft mit arabischen Wurzeln in ganz Bremen. Es gab von zwei Genossinnen sehr merkwürdige Bemerkungen zu meiner Kandidatur. Aber in meinem Ortsverein Aumund-Vegesack hatte ich die meisten Stimmen. Er stand bis zuletzt hinter mir.
Sie sagen, die Polizei müsse klarer auftreten: Was meinen Sie damit?
Ich möchte, dass die Polizei mehr Befugnisse bekommt im Kampf gegen politische Kriminalität. Die meisten Schlägereien, die in Vegesack stattfinden, haben politische Hintergründe, Nordafrikaner gegen Syrer, Syrer gegen andere Syrer. Meistens gibt es da keine Anzeigen. Wir müssen der Polizei mehr Rückendeckung geben. Ich sehe zurzeit nicht, dass die SPD das ändern will. Auch deswegen habe ich sie verlassen. Wir, die Migranten, die seit 40 Jahren hier leben, wollen innere Sicherheit. Ich bin in Beirut geboren, aber in Berlin aufgewachsen. Ich bin ein Berliner.
Ihre Familie war dort gerade in den Schlagzeilen als „krimineller arabischer Clan“: 77 Immobilien der Remmos wurden beschlagnahmt, das Geld dafür soll aus Einbrüchen stammen.
Wenn das stimmt, müssen die Verantwortlichen dafür bestraft werden.
Wird darüber unter den Remmos diskutiert?
Ich weiß davon nur aus der Zeitung. So eng sind unsere Kontakte nicht. Wir kennen uns nur von den großen Hochzeitsfesten. Natürlich gibt es Kriminelle auch unter den Remmos. Gerade deswegen brauchen wir eine starke Polizei.
Gibt es im Libanon noch Remmos?
Wenige, vielleicht hundert. Die meisten sind hier. Wir sind vor dem Krieg geflüchtet. Inzwischen sind in Deutschland einige Remmos Ärzte, Ingenieure. Übrigens auch bei den Miris.
Die Remmos kommen wie die Miris auch aus der türkischen Provinz Mardin?
Ja, wir sind auch Mhallami. Das ist ein Stamm, so etwas wie eine Dörfergemeinschaft. Aber man hat in dieser Kultur nur untereinander geheiratet, die Gruppen haben sich nicht vermischt. Das war die Zeit des Osmanischen Reiches. Vor über hundert Jahren gab es unter den Mhallami arabische Muslime, Azuren, also syrisch-aramäische Christen und auch Juden. Viele sind in den Libanon ausgewandert.
Und dann wegen des Bürgerkriegs nach Deutschland?
Ja. Als meine Eltern nach Deutschland gekommen sind, waren sie staatenlos, sie durften nicht arbeiten. Jede Woche mussten sie zum Amt, um ihre Duldung zu verlängern. Über Jahre. Ich habe einen deutschen Pass – das hat 12 Jahre gedauert. Es war harte Arbeit. Zuerst eine Arbeitserlaubnis, dann einen Aufenthaltsberechtigung, dann die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Dann darf man die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen und es dauert noch einmal ein paar Jahre. Natürlich wird das Strafregister befragt. Unsere Eltern haben nichts gehabt. Aber Arbeit ist entscheidend für die Integration.
Könnten Sie sich vorstellen, wieder im Libanon zu leben?
Urlaub da zu machen ist schön. Aber es gibt keine Sicherheit. Ich hätte ständig Angst, wenn ich da leben müsste. Ich war das letzte Mal vor acht Jahren da. Wir könnten da nicht leben. Auch wenn ich nicht so aussehe – ich fühle deutsch.
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