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„Ich habe schon immer die Extreme geliebt“

Josi Miller ist DJ und Podcasterin, auf ihrem ersten Soloalbum verarbeitet sie Panikattacken und Albträume. Sie ist gerne im Nachtleben unterwegs, fragt sich aber: Ist das nicht alles viel zu laut?

Das Boot hat sie von ihrem Opa geerbt: Josi Miller am östlichen Stadtrand Berlins

Von Thomas Winkler (Gespräch)und Anna Tiessen (Foto)

Idylle am östlichen Stadtrand Berlins. Es ist ein schöner Tag, die Sonne schimmert im Wasser eines Kanals, auf der kleinen Insel gegenüber grasen zwei Schafböcke. Josi Miller kommt im Boot vorgefahren. An dem blättert der rote Lack ab, aber der Außenborder tuckert beruhigend. Der Müggelsee ist nicht weit, und auch die Clubs, in denen das berüchtigte Berliner Nachtleben zelebriert wird, sind nur eine S-Bahn-Fahrt entfernt. Miller ist in beiden Welten zu Hause. Die DJane ist vor anderthalb Jahren an die Stadtgrenze gezogen, hier hat sie ihr erstes Album fertiggestellt.

taz: Frau Miller, wie alt waren Sie, als Sie „La Boum – Die Fete“ zum ersten Mal gesehen haben?

Josi Miller: Ich muss 18 oder 19 Jahre alt gewesen sein.

taz: Mich hat überrascht, dass Sie auf Ihrem Album den Song „Reality“ covern. Eine Schnulze, die durch „La Boum“ berühmt geworden ist. Der Film ist von 1980. Ich hätte gedacht, den kennt niemand aus Ihrer Generation – und der Song „Reality“ geht schon mal gleich gar nicht mehr.

Miller: Der Film hat immer noch einen Kultfaktor, der sich durch alle Generationen zieht und der auch mich fasziniert hat. Aber dass ich den Song gecovert habe, hat vor allem zwei Gründe. Erst einmal passt die Refrainzeile „Dreams are my reality“ perfekt dazu, dass ich mich auf dem Album viel mit Träumen beschäftige, dass ich lange auf ein Soloalbum hingearbeitet habe und dass dieser Traum endlich wahr geworden ist. Und der zweite Grund war eine Begegnung, die ich im Zug hatte.

taz: Erzählen Sie!

Miller: Ich hatte einen DJ-Gig in Wien, für den Nachtzug zurück nach Berlin hatte ich mir das günstigste Ticket gekauft, in dem Abteil waren außer mir noch fünf Typen eingebucht. Zuerst hab ich richtig abgekotzt, ich dachte, ich ersticke. Aber dann bin ich mit denen ein bisschen ins Gespräch gekommen. Und da hat sich herausgestellt: Vier von denen waren Komponisten aus Wien, auf dem Weg zu einem Workshop an der Uni in Berlin, der so schlecht bezahlt war, dass sie sich auch nur das billige Abteil leisten konnten. Wir haben dann die halbe Nacht gejammt in dem Zug. So hab ich Stepan Sobanov kennengelernt. Für den hat „La Boum“ tatsächlich eine krasse Bedeutung in der Jugend gespielt. Ein paar Tage später habe ich ihn gefragt, ob er nicht Bock hätte, ein Streicherarrangement zu schreiben für das Cover von „Reality“. Als wir fertig waren, hatte er Tränen in den Augen.

taz: Dass Sie diesen alten Song nun neu interpretieren, habe ich als einen Abgesang auf das Nachtleben verstanden.

Miller: So kann man das natürlich auch sehen. Für mich ist es eher eine Ode an die Nacht, ich bin immer noch sehr gern unterwegs im Nachtleben. Aber ich bin älter geworden, und ich habe angefangen zu reflektieren: Was macht die Nacht mit mir? Was macht der Alkohol, was machen enttäuschte Sehnsüchte mit einem? Und ist das alles nicht einfach viel zu laut?

taz: „Can’t go to bed right now
 / My dreams too real, too loud“, singen Sie auf dem Album. Sie verarbeiten Ihre eigenen Albträume, die von Panikattacken ausgelöst wurden.

Miller: Zuerst kamen die Panikattacken.

taz: Was war der Anlass?

Miller: Es gab keinen. Die erste Panikattacke kam aus dem Nichts kurz nach dem Auflegen auf einem Festival. Es war noch helllichter Tag, ich bin gerade von der Bühne runter und hatte plötzlich das Gefühl, ich müsste sterben. Zuerst dachte ich, mir hat jemand was ins Glas getan. Ich hatte Herzrasen, hab am ganzen Körper gezittert. Es ist schwer zu verstehen, was mit einem los ist, wenn man das noch nie hatte.

taz: Kein Trigger?

Miller: Nein. Es war halt eine Zeit, in der ich viel zu viel gearbeitet habe, viel unterwegs war und sehr wenig geschlafen habe.

taz: Das hat man als DJ wahrscheinlich öfters.

Miller: Genau, das ist eigentlich immer so. Keine Ahnung, durch was das getriggert wurde. Es waren jedenfalls keine Drogen, nicht mal Alkohol. Im Sani-Zelt wurde ich durchgecheckt und da war nichts. Das war das erste Mal, dann wurde es teilweise so schlimm, dass ich das Haus nicht verlassen konnte, weil ich Angst hatte vor neuen Panikattacken. Oft habe ich auch während des Auflegens eine Attacke bekommen, einmal musste ich einen Gig komplett abbrechen. Das ging an die Existenz, ich lebe ja von den DJ-Jobs – und das löst dann noch zusätzliche Ängste aus. Ich war mitten drin in einer Angstspirale.

taz: Drogen haben keine Rolle gespielt? Ein Song auf Ihrem Album heißt: „You have a drug problem“.

Miller: Der Song spricht das Thema an, weil es eines ist in meinem Umfeld. Aber ich selbst hatte nie ein Drogenproblem. Ich finde es sogar übergriffig, wenn Leute sich direkt neben mir was reinziehen. Andererseits würde ich schon sehr gerne Drogen nehmen. Ich habe Bock, aber ich kann das nicht, aus Angst vor Kontrollverlust. Ich trinke gern ein bisschen was, aber gekifft hab ich das letzte Mal als Minderjährige, und sonst habe ich nichts ausprobiert, auch wenn die Lines da lagen. Es ist schon krass, die einzige zu sein, die nüchtern bleibt, und die erste zu sein, die nach Hause geht. Die berühmte Afterhour ab morgens um sieben hab ich noch nie erlebt.

taz: Trotz der psychischen Probleme haben Sie weiter aufgelegt?

Miller: Ja, ich habe die Zähne zusammengebissen, ich glaube, so bin ich halt sozialisiert. Ich habe mir Strategien zurechtgelegt, trinke Apfelschorle, ich weiß immer, wo der Ausgang ist, wo ich mich notfalls hinlegen könnte. Und wenn die Panikattacke kommt, setze ich mich hin, kippe literweise Zuckerwasser in mich rein, klopfe mich ab, zähle Menschen. Solche Techniken wende ich recht erfolgreich an. Das sind dann vier, fünf schlimme Minuten, aber mittlerweile weiß ich ja, dass es vorbeigeht. Ich hatte allerdings gehofft, es wird durch Konfrontation besser. Wurde es aber kein Stück.

taz: Haben Sie sich Hilfe gesucht?

Miller: Ich hab eine Therapie gemacht und viel in der Kindheit rumgewühlt. Da wurde schnell klar, dass ich eine Angststörung habe und Agoraphobie, also Platzangst. Das war schon mal hilfreich zu wissen, dass ich kein Rad ab habe, sondern dass es eine Krankheit ist, mit der viele leben. Ich habe dann lange versucht, mit Therapie, mit Selbsttherapie und Büchern klarzukommen, aber wirklich geholfen haben erst die Antidepressiva. Die haben zwar sofort angeschlagen, aber von denen habe ich die schlimmen Albträume bekommen.

taz: Vom Regen in die Traufe?

Miller: Aber echt. Übergriffe, Morde, Terror – und alles dermaßen real, als würde ich jede Nacht einen zweiten Tag durchleben, aber als Horrorfilm.

taz: Geht das immer noch so?

Miller: Zwischenzeitlich habe ich runterdosiert, doch dann kamen bei den Auftritten die Angstzustände wieder. Also hab ich wieder höher dosiert, um arbeiten zu können. Ich bin jetzt ganz gut eingestellt, aber ich weiß noch ganz genau, wo die Angst sitzt, sie löst nur nicht mehr so krass aus. Dafür sind jetzt die Träume zurück. Ich lebe damit, aber abends denke ich schon: Oh nee, ich habe keinen Bock auf den Horror. Immerhin habe ich dadurch viel über mein Unterbewusstsein gelernt, zum Beispiel welche Menschen mir in der Vergangenheit nicht gutgetan haben. Die sind immer wieder in meinen Träumen aufgetaucht.

taz: Mental Health ist im Musikgeschäft spätestens seit 2018 ein Thema, als der schwedische DJ Avicii, der auch an einer Angststörung litt, Suizid beging.

Miller: Das stimmt. Ich habe das Gefühl, dass sich immer mehr Leute öffnen. Es gibt eine Sensibilisierung für das Thema. Zumindest kann man jetzt relativ frei sagen, dass man Antidepressiva nimmt. Ich hab jedenfalls keine negativen Reaktionen bekommen, obwohl ich sehr offen damit umgegangen bin.

taz: Sind Sie ein Einzelfall?

Miller: Ganz und gar nicht. Als ich anderen erzählt habe, dass ich die Pillen nehme, habe ich ganz schnell viele Lei­dens­ge­nos­s*in­nen gefunden. Damals war ich bei einer Psychologin, die spezialisiert ist auf die Musikindustrie. Bei unserem letzten Gespräch fragte sie mich: Möchtest du, dass ich dich erkenne auf einer Party oder nicht? Wenn ich sie jetzt treffe und sehe, wen sie alles begrüßt, dann weiß ich: Du und du, wir sitzen alle im selben Boot. Ich glaube, dass ein überwiegender Teil von DJs und anderen Artists in der Musikindustrie mit psychischen Störungen zu kämpfen hat. Das Imposter-Syndrom ist weit verbreitet, also dass Leute trotz ihrer Erfolge an sich selbst zweifeln. Die, die das nicht haben, haben dafür eine narzisstische Störung. Dieses Leben in der Nacht, der wenige Schlaf und die Drogen, dazu die Aufmerksamkeit, die übers Internet noch potenziert wird – das ist halt ein unnatürlicher Zustand.

taz: War das auch der Grund, warum Sie quasi aufs Land gezogen sind?

Miller: Eigentlich nicht. Ich bin hier, weil in Berlin akute Wohnungsnot herrscht. Wir haben zwei Jahre lang nichts Bezahlbares gefunden. Ich wollte nie hierher. Immerhin ist es offiziell ja noch Berlin, aber halt Stadtrand.

taz: Und, gute Entscheidung?

Josi Miller

Die Künstlerin

Josi Miller wird im Wendejahr 1989 geboren, wächst in Leipzig mit Punk und Hip-Hop auf und studiert Medienkunst in Weimar. Sie singt und ist als Hip-Hop-DJ unter anderem auf Tour mit Trettmann, als der Rapper zum Star wird. Seit 2020 ist Miller Teil des Elektropop-Duos „Import Export“. Bis 2024 moderierte Miller gemeinsam mit Helen Fares den Podcast „Homegirls“. Zuletzt war sie Co-Autorin der Podcast-Serie „Otze – Stasi, Punk & Mord“. Seit zwei Jahren spricht sie auf Arte in der Reihe „Chat with a DJ“ mit Kolleg*innen.

Das Album

Seit Jahren legt Miller neben Hip-Hop vermehrt auch elektronische Musik auf. Nach mehreren Singles erscheint am 24. Oktober ihr erstes Album: Auf 4 Stages Of Sleep“ (Grönland/Rough Trade) durchläuft Miller eine Nacht zwischen Wachen und Traum, sie verarbeitet Albträume und Angstattacken.

Miller: Ja. Mittlerweile finde ich es mega schön. Der See, der Wald, die Natur, ich bin plötzlich mega naturverbunden, ich könnte jeden Tag Bäume umarmen. Ich liebe immer noch das Gewusel der Großstadt, mir fehlen die Subkultur und die kurzen Wege, ich bin eine leidenschaftliche Kneipensportlerin, und hier draußen fehlt natürlich Kultur. Man kann sich abends nicht mal was zu essen bestellen. Ich musste meine großstädtische Arroganz erst mal ablegen, als ich hier rausgekommen bin. Jetzt muss ich selber kochen, und man hat nicht diesen ständigen Entscheidungsdruck: Es gibt nur einen Supermarkt, es gibt ein Restaurant, es gibt eine S-Bahn – und das tut mir ganz gut. Das Überangebot in Friedrichshain hat schon auch gestresst.

taz: Dafür besitzen Sie jetzt ein Boot.

Miller: Ja, das habe ich von Opa geerbt. Ich habe keine Ahnung vom Bootfahren, aber ich liebe es. Ich liebe Berlin ja schon an Land, aber vom Wasser aus liebe ich es fast noch mehr. Nur: Einen Liegeplatz zu finden, war fast genauso schwierig wie eine Wohnung.

taz: Meinen Sie, Sie hätten diesen Ausgleich zum Nachtleben schon früher gebraucht?

Miller: Nach einem Gig brauche ich auf jeden Fall erst mal einen Tag, an dem ich nur in den Wald gucke.

taz: Wenn ich das höre, frage ich mich: Warum ist dieses Nachtleben so toll, wenn es einen dermaßen fertigmacht?

Miller: Ich glaube, ich habe schon immer die Gegensätze geliebt, die Ex­treme. Es ist natürlich auch eine Sucht, von der ich nicht loskomme. Und es ist mein Beruf. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwas anderes zu arbeiten, in ein Angestelltenverhältnis zu gehen und um acht Uhr morgens aufzustehen. Ich liebe die Selbstständigkeit, alleine herumzureisen.

taz: Allein waren Sie auch in der HipHop-Szene. Sie waren lange unterwegs als Live-DJ mit dem sehr erfolgreichen Trettmann. Wie war das, oft als einzige Frau auf Tour?

Miller: Na ja, das war damals halt so. Als ich angefangen habe, in Dorfdiscos aufzulegen, war ich 16 und lebte in einem Kaff im Osten. Ich hatte Kumpels, die haben gerappt, die haben gesprüht, ich fand das cool und bin da so reingerutscht. Ich habe meinem Frausein gar keine Wichtigkeit beigemessen. Ich habe einfach gedacht: Auflegen ist übel geil, scratchen ist geil, ich will das alles machen, ist doch egal, ob ich eine Frau bin oder nicht. Bis Leute außerhalb der Szene mir das gespiegelt haben, hatte ich dafür überhaupt kein Gefühl, dass ich allein unter Männern war.

taz: Wer hat Ihnen das zuerst gespiegelt?

Miller: Booker und Veranstalter, die meinten: Wir brauchen eine Frau für eine Party. Da war ich vor den Kopf gestoßen, dafür bin ich ja nicht angetreten. Entweder ihr braucht einen soliden DJ oder ihr lasst es bleiben.

taz: Feministin waren Sie damals offenbar noch nicht?

Miller: Da noch nicht, da gab es keinen Feminismus weit und breit. Da gab es nur Booker und Security und Barkeeper. Es war sehr männlich dominiert, aber ich war da auch abgehärtet. Ich dachte: Ich will das, das macht mir Spaß und ihr legt mir hier nichts in den Weg – auch nicht mit eurem übergriffigen Verhalten. Ich bin einfach da. So!

„Ich glaube, dass ein überwiegender Teil der Artists in der Musikindustrie mit psychischen Störungen zu kämpfen hat. Der wenige Schlaf und die Drogen, dazu die Aufmerksamkeit – das ist halt ein unnatürlicher Zustand“

taz: Welche Art von übergriffigem Verhalten haben Sie erlebt?

Miller: Die Leute haben damals Drinks bei mir bestellt, während ich aufgelegt habe, sie fragten mich, wann der echte DJ kommt. Das war Alltag. Es gab Booker, die plötzlich das Büro zuschließen und noch mal über den Preis verhandeln wollen: So, Mäuschen, jetzt reden wir noch mal, ob das wirklich 150 Euro sind. Das war manchmal schon sehr beängstigend und natürlich saumäßig übergriffig. Die krassesten Geschichten hab ich aber mit älteren DJs erlebt, die 30, 40 Jahre jedes Wochenende auflegen.

taz: Was waren das so für Geschichten?

Miller: Die haben mir in die Plattentasche gekotzt oder ins Deck gegriffen. So was habe ich am laufenden Band erlebt, aber ich war weder verletzt noch beleidigt, mich hat das nur angespornt. Erst viel später habe ich verstanden, was da passiert ist, warum ich nachts Angst habe vor Männern. Und noch viel später erst habe ich ein Bewusstsein dafür bekommen, dass ich auch eine Vorbildfunktion habe. Deshalb gebe ich Workshops für junge Frauen und FLIN­TA* und vernetze mich. Es gibt Rapper, für die ich heute nicht mehr auflegen würde.

taz: Zum Beispiel Frauenarzt, mit dem Sie mal auf Tour waren? Der ist bekannt für seinen zwar halb ironischen, aber dann halt doch frauenfeindlichen Act.

Miller: Ich würde ganz sicher nicht noch mal mit ihm auf Tour gehen. Das war schon damals eigentlich nicht meine Musik, aber ich war jung und habe das als witzige Erfahrung gesehen. Man muss zur Ehrenrettung von Frauenarzt sagen: Er selber ist ein übelst netter Mensch. Und auf der Tour damals waren außer ihm eigentlich nur Frauen mit dabei: Wir hatten eine Tourmanagerin, es gab die zwei Tänzerinnen und im Vorprogramm waren SXTN

taz: … ein sehr selbstbewusstes Duo aus zwei Rapperinnen.

Miller: Das war tatsächlich ein sehr safes Umfeld, da gab es keine übergriffigen Männer. Jedenfalls, solang man nicht durchs Publikum ging.

taz: Wie war es dann, mit dem Rapper Trettmann unterwegs zu sein? Für den haben Sie aus Überzeugung auflegen können.

Miller: Auf jeden Fall. Da war es witzigerweise genau umgekehrt. Das Publikum war viel angenehmer, aber in der Crew gab es nur Männer. Das war die beste Zeit meines Lebens. Trettmann kommt wie ich aus Leipzig, wir kannten uns schon eine Weile, ich fand richtig krass, war er gemacht hat, und dann ist er noch mit „Grauer Beton“ abgehoben. Das war ein toller Moment. Aber mittlerweile hab ich mich aus der Rap-Bubble entfernt und mich hin zum Techno entwickelt.

Foto: Das Boot hat sie von ihrem Opa geerbt: Josi Miller am östlichen Stadtrand Berlins

taz: Warum?

Miller: Alles wurde musikalisch immer ähnlicher, mit vielen Texten konnte ich mich nicht mehr identifizieren, und ich hab mich auch Backstage nicht mehr wohl gefühlt. Das ist was ganz anderes als ein Safer Space in einem Technoclub. Man merkt einfach, dass es in der elektronischen Musik diese queere Tradition gibt – aber klar, da ist auch nicht alles super.

taz: Zuletzt wurden selbst aus dem Berghain Übergriffe gemeldet. Wie stark hat sich die Partyszene verändert?

Miller: Ziemlich deutlich. In den vergangenen Jahren haben Clubs Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, setzen vermehrt auf Awarenesskonzepte, aber offensichtlich reicht das immer noch nicht, um Übergriffe komplett zu verhindern. Außerdem stresst mich die zunehmende Tiktokisierung.

taz: Was meinen Sie damit?

Miller: Es läuft anders in den Clubs als vor Corona. Im Berghain kann der DJ noch einen Spannungsbogen über acht Stunden bauen, da gehen alle zusammen auf eine Reise. Aber sonst muss alles schnell gehen. Auf Festivals und den Mainstreampartys legst du eigentlich nur noch für die Social-Media-Highlights auf. Die Tracks werden immer kürzer, die Leute gehen nur noch ein paar Stunden feiern, stattdessen filmt sich der DJ beim Auflegen, die Leute filmen sich beim Tanzen, und alle treffen sich dann auf Tiktok, um viral zu gehen.

taz: Und demnächst legt dann gleich die KI auf.

Miller: Ich gebe zu, künstliche Intelligenz ist in der Produktion ein extrem hilfreiches Tool, das ich auch viel verwendet habe. Natürlich gibt es KI-Artists, sogar Timbaland macht da mit, es gibt KI-Bands. Noch hoffe ich, dass die KI einen Artist nicht wird ersetzen können, weil die Leute etwas Echtes wollen. Aber das ist schon auch ein Thema, das mir Angst macht.

Thomas Winkler, 60, ist freier Autor und wohnt in Brandenburg. Er lebt auch ohne Boot sehr gern am Wasser.

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