Ian Penman „Fassbinder“: Radikalität hat ihre Zeit
Der Autor Ian Penman denkt sich in einem Mosaik aus Splittern durch Rainer Werner Fassbinders Filme und das eigene Leben: „Fassbinder“.
Dies ist kein Buch, dessen Autor sich seinen Gegenstand mit akademischer Distanz ausgesucht hat. Der Gegenstand hat ihn vielmehr selbst in prägenden Jahren gepackt, daran lässt Ian Penman keinen Zweifel: „In meinem Leben hat es eine Zeit gegeben (gegen Ende meiner Teeniejahre, Anfang zwanzig), da war ich von Fassbinder komplett besessen.“ Penman ist Jahrgang 1959, es geht also um die späten siebziger Jahre, da hat Fassbinder noch gelebt.
Er war in den Medien und weit über Deutschland hinaus präsent, berühmt, berüchtigt, wie verrückt produktiv, hat einen Film nach dem anderen gedreht, bevor er dann 1982 starb, an einem Schlaftabletten- und Drogen-Cocktail, an der Intensität eines Lebens, das er in den 37 Jahren, die er hatte, ausgekostet hat bis zum Letzten.
Dies ist ein Buch, das sich allen Genres entzieht. „Fassbinder“, so lautet der Titel, mag sein Alpha und sein Omega sein, aber es passt weiß Gott alles mögliche Andere mit hinein. Der Untertitel, „Tausende von Spiegeln“, beschreibt ein zentrales Motiv von Fassbinders Filmen, aber es sind auch Tausende Spiegel, in denen Ian Penman sich selbst, und sich selbst in seiner Zeit, reflektiert.
Nur sind diese tausend Spiegel vielfach gesplittert, das Buch ist eine große Konfession, ein Memoir, ein von poststrukturalistischer Theorie grundiertes Assoziationsineinander, die Wiederbegegnung mit dem eigenen Leben, unterteilt in 450 Abschnitte, viele davon rasend kurz. Der letzte wird lauten: „Es ist schon spät. Geh schlafen, Mann.“
Mittendrin in der eigenen Zeit
Ian Penman: „Fassbinder“. Aus dem Englischen von Robin Detje. Suhrkamp, Berlin 2024. 243 Seiten, 20 Euro
Hierzulande ist Penman wenig bekannt. In Großbritannien ist er aber eine Größe, etwas wie ein pop writers’ writer, einflussreich als Autor der damals legendären Musikzeitschrift NME (New Musical Express), bei der er nicht der einzige war, der sich für die neue Musik, Punk, Post-Punk, New Wave etc. öffnete, und immer zugleich auch für Schreibweisen, die Theorie mit Drogenkonsum und Slang und Pun und radikaler Subjektivität mixten, ein wenig wie in Deutschland dann Sounds und Spex, einerseits esoterisch, nichts für die Masse, aber doch mittendrin in der eigenen Zeit.
Und dadurch mit einem wie Fassbinder in direkter Verbindung, der aus einer ganz anderen Welt, nämlich der damals aufregenden Münchner Provinz kam, im Theater mit seiner Truppe, die selbstverständlich antitheater hieß, kurz Anlauf nahm und dann im Kino, auch im Fernsehen, nicht nur in Deutschland, eine Schneise des Hasses und der Bewunderung hinterließ.
Dieses Buch hat 450 Abschnitte und tausendundeinen Gedanken, es ist ein Mosaik aus Splittern, die nur bedingt nach einem Zusammenhang suchen. Fassbinder ist der magnetische Pol, der ein wenig Ordnung hineinbringt, Fassbinder als Zentrum von Penmans Porträt seiner selbst, seiner Zeit, der „Fassbundesrepublik“, aber der Weg ist nie weit zu Genet, zu Kippenberger, zu Artaud und zu Straub und Huillet, von der eigenen Biografie zum Fassbinder-Psychogramm, in dem diese sich womöglich ihrerseits spiegelt: „Was er sucht, ist nicht ein fernes Ideal, es ist sein eigenes echtes, wahres, uneingeschränktes Selbst. Eines, das von sich selbst nicht entfremdet ist, in seinem Begehren frei, unangetastet, wach und lebendig in allen Nervensträngen, unverwickelt in Herrschaftsverhältnisse.
Das Problem: Er entdeckt, dass sein wahres Selbst streitsüchtig ist, unzufrieden, mit einem unstillbaren Durst.“ (Für Penmans artifizielles Pop-Idiom hat Robin Detje in seiner Übersetzung ein unangestrengtes deutsches Pendant nacherfunden.)
Fasziniert vom Werk Fassbinders
Es kann nicht anders sein: Das Ich, das von Fassbinder besessen war, erkennt Penman beim Wiedersehen der Filme nur in Teilen noch wieder. Er bleibt fasziniert, von der Figur wie vom Werk, aber gerade die konsequente Abwesenheit des Glückenden, ja, der Transzendenz und des Sakralen, auch der Natur, befremdet ihn nun: „Als ich jung war und vom Leben keine Ahnung hatte, kam mir so etwas hellsichtig und wahrhaftig vor. Heute frage ich mich: Ist diese Art Weltsicht nicht allzu typisch und allzu bequem für einen in seiner Entwicklung steckengebliebenen Mann?“
Es gibt viele Arten, vom Leben eine und keine Ahnung zu haben. Und vielleicht ist das Interessanteste an dem manchmal auch etwas selbstverliebt geschwätzigen, nichts zu Ende denkenden Text, dass es diese Differenzen performt und umkreist. Keine Abrechnung, aber doch eine Reflexion auf die Umwertung mancher Werte, dazu die Einsicht, dass Radikalität ihre Zeit hat. Und zugleich die Frage danach, was von Fassbinder, nein, nicht bleibt, sondern: heute noch lebt. Vielleicht nicht das Schlechteste, was man über dieses Buch sagen kann: Es macht große Lust, sich auf Fassbinders Filme zu stürzen, um das am eigenen Selbst zu prüfen.
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