piwik no script img

IS-Prozess in HamburgBeweise aus dem IS-Büro

Vor dem Hamburger Landgericht ist ein mutmaßlicher IS-Kämpfer angeklagt. Doch der 27-Jährige will nur Hilfsgüter gebracht haben.

Die Prozesse gegen sie laufen weltweit: mutmaßliche IS-Kämpfer im nordsyrischen Gefängnis Foto: Carol Guzy/ZUMA Wire/dpa

Hamburg taz | Eine Schulklasse sitzt hinten im Zuschauersaal, als der Prozess gegen Lennart M. eröffnet wird. M., der als 17-Jähriger zum Islam konvertiert ist, soll, so heißt es in der Anklage der Hamburger Generalstaatsanwaltschaft, 2014 nach Syrien gereist sein und dort zwei Monate für den „Islamischen Staat“ (IS) gekämpft haben. Die Schulklasse ist still, während sie zuhört, wie Lennart M. bestreitet, sich jemals dem IS angeschlossen zu haben.

Nach einer Stunde beraumt die Richterin eine Pause an, die Schulklasse strömt ins Erdgeschoss und trifft dort auf weitere SchülerInnen, die in anderen Prozessen sehen sollten, wie die Justiz ihre Arbeit tut. „Ihr habt was verpasst“, ruft einer der Schüler aus dem IS-Prozess, aber er steht zu weit weg, als dass man verstehen könnte, was die anderen verpasst haben. Einen Eindruck davon, wie kleinteilig es ist, Schuld nachzuweisen? Einen Eindruck davon, dass die Umgänglichkeit eines Angeklagten nichts über sein Verhalten außerhalb des Gerichtssaals aussagt – und umgekehrt?

Lennart M., 27 Jahre alt, verbirgt sich in der Kapuze seines Sweatshirts, bis die Fotografen den Saal verlassen haben. Er trägt kurze, blonde Haare, einen kurzen Bart und spricht so gedehnt, dass nichts dagegen spräche, ihn als Protagonisten für norddeutsche Bierwerbung anzuheuern.

Tatsächlich geht es aber um die Frage, ob er sich im vollen Bewusstsein der Tätigkeiten des IS – „Mord, Totschlag und Kriegsverbrechen“, so sagt es der Staatsanwalt – der Terrormiliz angeschlossen hat. Die Anklage stützt sich unter anderem auf einen Registrierbogen, der mutmaßlich aus der IS-Bürokratie stammt. Die Richterin liest Lennart M. diverse Angaben daraus vor, Geburtsdatum, Name, Name der Mutter, Meldeadresse. Einiges ist identisch, einiges ähnlich mit den Daten von Lennart M. Wie er sich das erkläre? Der Bogen sei gefakt.

Eine sehr blauäugige Reise

Es hat vor dem Prozessauftakt im Landgericht ein Verständigungstreffen zwischen Richterin, Staatsanwalt und M.s Verteidiger gegeben. Angesichts des kurzen Aufenthalts in Syrien, der zudem einige Jahre zurückliegt, sei eine Bewährungsstrafe denkbar – dann aber müsse M. die Vorwürfe eingestehen. Das hat er abgelehnt – und er bleibt auch an diesem Montag dabei.

Lennart M. ist deutlich in seiner Weigerung, Namen von Freunden oder Helfern zu nennen, aber er schildert bereitwillig seine Version seiner Reise nach Syrien. Die wirkt in vielem so blauäugig, dass das Gericht immer mal wieder nachhakt. M. sagt, er habe 6.000 Euro von Freunden gesammelt, um angesichts der Situation in den syrischen Grenzgebieten zu helfen. Das Geld habe er persönlich bringen wollen, damit es tatsächlich ankäme, und weil Konten, von denen aus gespendet würde, eingefroren würden. „Ich hatte schon Probleme mit dem Verfassungsschutz.“

Er habe eine Kontaktperson am Flughafen in Gazi treffen wollen, die aber verpasst und dann mit zufälligen Bekanntschaften Hilfsgüter gekauft. Er sei mit den Bekannten für einen Tag illegal über die Grenze nach Syrien gereist, habe die Güter dort verteilt, sei dann zurück in die Türkei gefahren und nach einem Unfall zur medizinischen Versorgung zurück nach Deutschland geflogen.

Das Gericht wirkt mäßig überzeugt. Den Rest dieses ersten Prozesstages fragt es nach M.s Werdegang, seiner Konversion zum Islam, der abgebrochenen Schule, der abgebrochenen Uhrmacherlehre. Es wird nicht wirklich klar, was M. am Islam so angezogen hat – nur, dass ihn jedes Infragestellen dieses Glaubens empfindlich trifft. Einer Bekannten, die mutmaßte, er wolle nur muslimisch heiraten können, empfahl er, lieber ihr Kopftuch richtig zu tragen. Und seine Zeit an der Stadtteilschule schildert er als Spießrutenlauf, zu Unrecht als Salafist verdächtigt und von Lehrern verspottet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!