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IS-Feldzug im Irak und SyrienRamadi überrannt, Palmyra verteidigt

Der IS hat die irakische Stadt Ramadi eingenommen, das Militär flieht, es gibt Berichte über Massentötungen. Im syrischen Palmyra wurde die Miliz zurückgedrängt.

Bleiben noch ein wenig stehen: antike Ruinen in Palmyra. Bild: dpa

BAGDAD/FAMADI/DAMASKUS dpa/ap | Die Terrormiliz Islamischer Staat hat bei der Eroberung der westirakischen Stadt Ramadi offenbar Massenmorde an Zivilisten und Sicherheitskräften verübt. Dutzende Polizisten, Anhänger der Regierung und deren Frauen und Kinder seien auf den Straßen oder ihren Häusern erschossen worden, sagte Bürgermeister Dalaf al-Kubaisi am Sonntagabend.

Allein in den vergangenen zwei Tagen seien mehr als 250 Menschen getötet worden. In Scharen flohen irakische Truppen aus der Hauptstadt der Provinz Anbar. Verstärkte Luftangriffe der US-geführten Koalition auf Stellungen der IS-Miliz hatten den Rückschlag für die Regierung in Bagdad nicht abwenden können.

„Ramadi ist gefallen“, bestätigte Muhannad Haimour, der Sprecher des Gouverneurs der Provinz Anbar. „Das Militär flieht.“ Auf Internetvideos war zu sehen, wie gepanzerte Wagen Ramadi in hohem Tempo verließen. Soldaten ließen Augenzeugenberichten zufolge Artilleriegeschütze, Sturmgewehre und rund 30 Fahrzeuge, darunter Panzer, zurück.

Dennoch gab Regierungschef Haider al-Abadi den Befehl aus, die Armee müsse ihre Positionen in Anbar halten. Zudem ordnete er schiitische Milizen an, sich für einen dortigen Einsatz zu rüsten. Damit setzte sich Al-Abadi über US-Bedenken hinweg, dass die Präsenz von Schiiten in der überwiegend von Schiiten bewohnten Provinz zu religiös motivierter Gewalt führen könne.

Mangel militärischer Planung beklagt

Am Sonntagabend traf bereits ein Großaufgebot an schiitischen Milizen in einer Militärbasis nahe Ramadi ein - offenbar für eine mögliche Gegenoffensive, wie der Führer des Provinzrats von Anbar, Sabah Karhut, sagte.

Naeem al-Gauud, ein sunnitischer Stammesführer, begrüßte jedoch die Ankunft der Kämpfer. „Wir heißen jede Gruppe willkommen - darunter schiitische Milizen, die uns bei der Befreiung der Stadt von den Extremisten helfen. Heute ist eine große Niederlage passiert, die durch Mangel an guter Planung vonseiten des Militärs verursacht wurde“, sagte er. Al-Gauud beklagte den Tod von Stammeskämpfern, die versucht hätten, Ramadi zu verteidigen. Einige der teils verkohlten Leichen seien auf die Straßen geworfen, andere in den Fluss Euphrat geworfen worden.

Vergangene Woche hatten IS-Dschihadisten Ramadi überrannt und Regierungsgebäude sowie Schlüsselbezirke besetzt. Am Sonntag gab es dann die entscheidenden Gefechte zwischen den Extremisten und den irakischen Sicherheitskräften, die letzte Posten im südlichen Stadtteil Malaab verteidigten. Zuvor hatten sich mehrere Selbstmordattentäter mit ihren Fahrzeugen in die Luft gesprengt und mindestens zehn Polizisten getötet. Der IS besetzte auch die für ganz Anbar zuständige Kommandozentrale in Malaab.

Strategie der USA infrage gestellt

Der jüngste Rückschlag für die irakische Armee kommt nur einen Tag, nachdem die Regierung zusätzliche Truppen in die Stadt geschickt hatte. Noch am Samstag hatte ein Sprecher des irakischen Militärs verkündet, der IS werde „in den kommenden Stunden“ aus der Stadt gedrängt. Die US-geführte Militäraktion meldete am Sonntag sieben Luftangriffe auf Stellungen in Ramadi in den vergangenen 24 Stunden.

Die Niederlage stellt die Strategie der USA infrage, nur auf diese Attacken als Unterstützung der irakischen Armee zu setzen. Andererseits trugen Luftangriffe dazu bei, dass die Truppen und kurdische Kämpfer landesweit bereits einige Bodengewinne gegen den IS erzielen konnten, darunter die Rückeroberung der Stadt Tikrit. Der IS kontrolliert jedoch immer noch etwa ein Drittel des irakischen Territoriums.

Syrische Regierungstruppen in Palmyra erfolgreich

In Syrien wurde die IS-Miliz nach blutigen Kämpfen um die antike Oasenstadt Palmyra zurückgeschlagen. Bei erbitterten Gefechten zwischen Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und der Terrormiliz starben nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte vom Sonntag Dutzende Kämpfer beider Seiten.

Am Nachmittag sei der IS von Regimetruppen wieder aus Palmyra zurückgedrängt worden. Die US-Armee tötete indes bei einer Kommandoaktion im Nordosten Syriens den Verantwortlichen für die Ölindustrie des IS, einen Tunesier mit dem Kampfnamen Abu Sajjaf.

Die IS-Milizen waren am Wochenende zunächst weiter auf das Zentrum von Palmyra vorgerückt, das von Assad-Truppen gehalten wird. Sie gelangten damit in unmittelbare Nähe des berühmten Unesco-Weltkulturerbes. Nach Darstellung des regimetreuen Gouverneurs der Provinz Homs, Talal Barasi, drängten die Regierungstruppen den IS am Sonntag aber wieder aus seinen Positionen am Rand von Palmyra und von den umliegenden Hügeln zurück.

Bei den Kämpfen starben mindestens 47 Regierungssoldaten und 29 IS-Milizionäre, wie die Syrische Beobachtungsstelle meldete. Die Organisation, die ihre Berichte aus Informationen von Aktivisten in Syrien schöpft, bestätigte, dass die Regimetruppen die IS-Miliz aus Palmyra zurückschlugen. Dies sei vor allem dem Einsatz schwerer Artillerie zu verdanken gewesen, hieß es.

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1 Kommentar

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  • "Damit setzte sich Al-Abadi über US-Bedenken hinweg, dass die Präsenz von Schiiten in der überwiegend von Schiiten bewohnten Provinz zu religiös motivierter Gewalt führen könne."

     

    Berichtige: "...überwiegend von Sunniten bewohnten..."