IQB-Studie zu Deutsch und Mathe: Viertklässler deutlich schlechter
Im Vergleich zu 2016 sind die Leistungen von Grundschülern abgestürzt. Der Lehrerverband fordert „eine schonungslose Bestandsaufnahme“.
In allen geprüften Kompetenzen – Lesen, Schreiben, Zuhören und Rechnen – sind die Leistungen deutlich abgefallen. Vor allem hat sich der Anteil der Schüler:innen, die die Mindeststandards verfehlen, nochmal deutlich erhöht: je nach Kompetenz ist die Gruppe der Leistungsschwachen zwischen acht und knapp zehn Prozent gewachsen. Nur in drei Bundesländern sind die Leistungen im Großen und Ganzen stabil geblieben: Hamburg, Bremen und Rheinland-Pfalz.
„Das ist eine signifikant ungünstige Entwicklung“, sagte Petra Stanat vom Institut zur Qualitätsentwicklung in der Bildung (IQB) bei der Vorstellung des Berichts. Nicht besser fällt ihr Urteil aus, wenn man die Ergebnisse von 2021 isoliert betrachtet. So verfehlt etwa jede:r fünfte Schüler:in in Deutsch die Mindeststandards. In Rechtschreibung trifft das sogar auf jede:n Dritten zu.
In Mathe hat fast jede:r Vierte Probleme bei grundlegenden Aufgaben. Der negative Trend, den das IQB bereits zwischen 2011 und 2016 festgestellt hat, hat sich seit 2016 „deutlich verstärkt“, so Stanat. Selbst in Bayern und Sachsen, die insgesamt mit guten Ergebnissen herausstechen, sei dieser Trend sichtbar.
Soziale Ungleichheit wächst
Eindeutig ist der Bildungsbericht, für den im vergangenen Jahr mehr als 26.000 Viertklässler:innen in rund 1.500 Schulen getestet worden sind, auch beim ungebrochenen Einfluss des Elternhauses auf die Bildungschancen. So schneiden Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Familien deutlich besser ab als Kinder aus ärmeren Familien. Das gleiche gilt für Kinder mit Migrationsgeschichte. Die Schere bei der Bildungsbenachteiligung geht also weiter auseinander.
Zu den Gründen der schlechten Ergebnisse äußert sich Bildungsforscherin Stanat zurückhaltend. Aus ihrer Sicht dürfte aber einerseits die gestiegene Heterogenität in den Klassenzimmern eine Rolle gespielt haben. So lag der Anteil der Kinder mit Migrationsgeschichte 2021 bei 38 Prozent und damit 5 Prozentpunkte höher als noch 2016. Zum anderen dürfe man die Nachwirkungen der Pandemie nicht vergessen, so Stanat.
„Natürlich hat die Pandemie eine Rolle gespielt“, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien. Die CDU-Politikerin will die „ernüchternden Ergebnisse“ aber nicht darauf schieben. „Wir dürfen uns als Gesellschaft nicht abfinden mit diesen Ergebnissen“, stellte Prien klar. Jedes Bundesland müsse sich nun im Detail mit den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends befassen.
Die KMK wolle nun Vorschläge erarbeiten, wie sich die Qualität an den Grundschulen verbessern lasse, so Prien. Im Dezember stellt die Ständige Wissenschaftliche Kommission im Auftrag der KMK dazu ein Gutachten mit konkreten Handlungsempfehlungen vor. Prien kündigte an, dass auch die Lehramtsausbildung auf den Prüfstand genommen werde.
Lehrerverband warnt
Insgesamt fielen die Reaktionen auf die IQB-Studie heftig aus. So bezeichnete Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger die Ergebnisse als einen „Beleg für einen ungebremsten dramatischen Bildungsabsturz“. Es sei jetzt höchste Zeit, die Phase der Schönfärberei zu beenden und „eine schonungslose Bestandsaufnahme“ vorzunehmen. Sollte die Politik nicht zusätzliche Personalressourcen bereit stellen, drohe in Folgestudien ein weiterer Absturz.
Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der derBiderldungsgewerkschaft GEW bezeichnete die Ergebnisse des Bildungstrends als „ernüchternd und skandalös“. Jetzt räche sich, dass der Primarbereich in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden sein, so Bensinger-Stolze: „der immer größer werdende Lehrkräftemangel, die ungleiche Bezahlung in den Bundesländern, große Klassen, fehlende Unterstützungssysteme, eine unzureichende Ausbildung – so legt man nicht die notwendigen Grundlagen für das zukünftige Leben der Kinder.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation