INDUSTRIE TORPEDIERT EU-RICHTLINIE ZUR HAFTUNG BEI UMWELTSCHÄDEN: Verantwortungslose Unternehmer
Es ist immer dasselbe: Die Wirtschaft fordert marktgerechte Umweltgesetze. Und wenn sie die dann kriegt, sind die auch falsch. So ging es mit der Ökosteuer, so geht es jetzt mit der Umwelthaftung.
Seit in den frühen Sechzigerjahren mit der Lösung „Blauer Himmel über der Ruhr“ die Debatte um den technischen Umweltschutz begann, wehrte sich die Industrie immer wieder gegen „zu viel Regulierung“. Inzwischen hat selbst die rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag zugegeben, dass Regulierung nicht immer der beste Weg ist. Vorausgesetzt, die Industrie haftet klar für mögliche Schäden. Das aber will der Bundesverband der Industrie (BDI) auch nicht, ihm geht der aktuelle Richtlinienentwurf der EU-Kommission zu weit.
Bisher haftet die Industrie nur für reine Vermögensschäden, also etwa für den Einkommensverlust von Fischern, und dies in einer Maximalhöhe von ein paar hundert Millionen Mark. Den Rest übernimmt im Zweifel der Staat, was auf eine indirekte Subvention hinausläuft.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll die Industrie künftig nicht nur für Vermögensschäden, sondern auch für reine Umweltschäden haften – etwa für die Vergiftung eines Sees. Zwar will dieEuropäische Union eine solche Haftung nur inbesonders wertvollen Naturgebieten einführen. Doch schon das geht der Industrie zu weit.
Dabei ist dieser EU-Vorschlag so zurückhaltend, dass er sowieso keinen Sinn macht. Wenn zum Beispiel künftige Gentech-Pflanzen so schnell wachsend und widerstandsfähig werden, dass sie wilde Pflanzen massiv verdrängen, dann beschränkt sich deren Ausbreitung nicht auf Naturschutzgebiete.
Ein Problem der EU-Richtlinie ist auch, dass sie die geringen Haftungssummen der Industrie nicht angeht. Dies fällt besonders bei der Atomkraft auf. Ein Unglück wie in Tschernobyl könnte nach einer Prognos-Studie mehr als 10.000 Milliarden Mark kosten. Entsprechende Versicherungsprämien würden jedes AKW unwirtschaftlich machen. Dies ist auch ein Grund für die Abkehr der US-Stromversorger von der Atomkraft, wo der Staat nicht so großzügig das Restrisiko trägt.
Die Industrie muss sich eben entscheiden. Entweder setzt sie auf strenge Regularien, die aber ihren Handlungsspielraum stark einschränken würden, oder sie haftet, wenn es schief geht. Es spricht viel für letztere Variante, denn die Industrie weiß oft sehr viel früher, wo die Risiken liegen, als die Überwachungsbehörden. Und Haftungsregeln animieren sehr viel besser zu verantwortlichem Handeln. Doch daran ist der BDI offenbar nicht interessiert. MATTHIAS URBACH
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