Humboldt Forum in den Startlöchern: „Da muss man sich schon anstrengen“
Das Humboldt Labor, die Ausstellung der Humboldt-Universität im Humboldt Forum, soll Anfang Januar eröffnen. Kurator Gorch Pieken im Interview.
taz: Herr Pieken, im Dezember eröffnet nach derzeitigem Stand das Humboldt Forum, gleich darauf Ihre Dauerausstellung. Was wird man sehen?
Gorch Pieken: Das Humboldt Labor, also die Ausstellung der Humboldt-Universität, hat das Ziel, in einer Zeit wachsender Diskrepanz zwischen Wissenschaft und breitem Publikum zu vermitteln. Außerdem sagen wir ganz kühn, dass bei uns auch neues Wissen entstehen wird.
Wie das?
Die Besucher*innen sind gefragt sich via Twitter und Instagram an wissenschaftlichen Debatten zu beteiligen. Oder mit Alltags- oder lokalem Wissen zur Ausstellung beizutragen. Wenn es beispielsweise ums Insektenmonitoring geht.
Gorch Pieken
geboren 1961, ist bis Ende 2020 als Leitender Kurator der Eröffnungsausstellung der Humboldt-Universität zu Berlin im Humboldt Forum abgeordnet.
Wie wollen Sie Menschen ansprechen, die sich zunehmend die Welt aus dem Internet zusammenpuzzeln?
Indem wir das machen, was Wissenschaft seit der Frühen Neuzeit macht. Wir bauen auf die Neugier und aufs Erstaunen. Denn wir sehen ja gar nicht aus wie eine Wissenschaftsausstellung. Man rutscht da einfach so rein. Hinter dem Eosander-Portal locken wir schon zum ersten Mal mit dem Fischschwarm, auf einem Medienturm, dem Kosmographen, 25 Meter hoch.
Und dann?
Man wird von einem weiteren nun interaktiven Fischschwarm begrüßt, der auf die Besucher*innen reagiert. Das ist ein simples, aber zentrales Bild, das man intuitiv versteht: Was ich tue oder unterlasse, hat Auswirkungen auf die mich umgebende Welt. Vom Bild des Fischschwarms ausgehend erklären alle sieben Berliner Exzellenzcluster ihre Forschung. Hallo Besucherin, hallo Besucher! Was hat ein Fischschwarm mit der Intelligenzforschung, mit der Hirnforschung, der Forschung zu aktiven Materialien, mit Mathematik, Literatur oder Katalyseverfahren zu tun? Wie verhalten wir uns als Gruppe? Wie positioniere ich mich – und wie bleibe ich auch in einem Raum, in dem alle anderen eine andere Meinung haben, bei einer Meinung, von der ich überzeugt bin, dass sie richtig ist?
Und weiter?
Dann steht man vor einer großen, kinetischen Wand aus beweglichen Rollos. Bespielt wird sie derzeit von Nachhaltigkeitsforschern des Forschungsinstituts der Humboldt-Universität IRI THESys – mit Beiträgen zu nachhaltiger Land- und Ressourcennutzung, Klimawandel, Umwelt und Generationengerechtigkeit – und vom Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“, der sich mit den Anfechtungen befasst, denen sich das liberale Gesellschaftsmodell aktuell gegenübersieht. Es gibt keine Erzähler*innen, sondern die Wissenschaftler*innen sprechen selbst, erklären ihre Forschung und was ihre persönliche Perspektive ist. Es war uns ein Anliegen, diese drängenden Fragen zentral zu stellen.
Klingt, als wollten Sie sich einmischen?
Wir geben der wissenschaftlichen Perspektive auf diese überlebenswichtigen Themen unserer Zeit breiten Raum.
Humboldt Forum Nach derzeitigem Stand eröffnet das Humboldt Forum im Dezember 2020. Demnach soll das Humboldt Labor, die Ausstellung der Humboldt-Universität im Humboldt Forum, am 7. Januar 2021 eröffnen.
Humboldt Labor Personenzahl, Anmeldemöglichkeiten und Öffnungszeiten des Humboldt Labors werden noch bekannt gegeben, das Hygienekonzept ist noch in Arbeit. Die Ausstellung umfasst 750 Quadratmeter.
Die anderen Circa eine Woche nach dem Humboldt Labor eröffnet die Berlinausstellung im Humboldt Forum und die Kinderausstellung „Nimm Platz!", weitere Ausstellungen folgen im Laufe des Jahres, auch hier war bis Redaktionsschluss noch nichts Genaues bekannt. (sm)
Stiften Sie auch zum Handeln an?
Zukunft nur als optimierte Gegenwart zu denken wird nicht ausreichen, sie zu meistern. Und gerade weil der Weg vom Wissen zum Handeln lang ist, ermutigen viele Wissenschaftler*innen die Besucher*innen aktiv zu werden.
Was können in dieser Hinsicht Ausstellungen bewirken?
Im Grunde hat mich diese Frage schon bewegt, als ich noch im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden war. Ich habe dort die erste Ausstellung über rechtsextreme Gewalt auf deutschen Straßen gemacht, die in einem Bundesmuseum zu sehen war. 2013 war das. Da hatte ich mich im Vorfeld gefragt: Erreicht man nur diejenigen, die man sowieso erreicht? Am Ende sind wir fast schon in die Rolle von Sozialarbeiter*innen für Aussteiger*innen geraten. Wir haben ihnen einen geschützten Raum gegeben, wo sie zum Beispiel angstfrei und ungestört ein Theaterstück über ihre Erfahrungen proben und uraufführen konnten.
Zurück zur Ausstellung im Humboldt Forum. Sie befassen sich mit aktueller Forschung, aber auch mit alten Sammlungen. Wie geht das zusammen?
Gerade bei einer Auftaktausstellung finde ich es sehr wichtig, dass universitäre Forschung und Lehre in ihrer ganzen Bandbreite abgebildet ist, also auch unter Einbezug der historischen Sammlungen. Das prominenteste unserer Archive ist das Lautarchiv, in dem es drei große Sammlungsbereiche gibt, die alle vorgestellt werden. Aber mit einem beschäftigen wir uns besonders intensiv. Es ist eine 80 Jahre alte Sammlung deutscher Dialekte, mit denen sich vor uns niemand kritisch befasst hat.
Hört sich altmodisch an …
Es mag erst einmal verwundern, in diesem großen Forum, das sich zur Welt hin öffnet. Führt das nicht zu einer Verengung? Nein, tut es nicht, denn Sprache ist ein weltoffenes System. An dieser Stelle beschäftigen wir uns intensiv mit Wilhelm von Humboldt, der weniger bekannt ist als sein populärer jüngerer Bruder. Beim Studium der Weltgeschichte der Gedanken und Empfindungen darf nichts fehlen, sagte er, weil alles was den Menschen betrifft, den Menschen gleich nahe angeht.
Was für Aufnahmen sind das?
Wir haben zum Beispiel eine Aufnahme aus dem Jahr 1941 von einer Deutschen aus Wolhynien, die Jiddisch spricht. Jiddisch, ein deutscher Dialekt?
Eine falsche Zuordnung?
Die Aufnahme ist in einem Aufnahmelager für Wolhyniendeutsche entstanden, die im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts umgesiedelt wurden. Wissenschaftlerinnen für Jiddisch meinten, es sei sehr unwahrscheinlich, dass eine Nichtjüdin so gut Jiddisch sprach. Wir haben ein Foto von ihr, und dann singt sie noch sehr schön, sehr berührend. Etwa die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Luzk mit 40.000 Menschen, aus der diese Frau kam, waren Juden. Fast alle von ihnen wurden ermordet. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Aufnahme um das einzige Audiozeugnis einer vor achtzig Jahren ausgelöschten jüdischen Kultur. Das hat uns so berührt, dass wir intensiver nachfassten. Und die Biografie der Sprecherin bis weit in die Nachkriegszeit recherchierten. Sie war keine Jüdin. Als Händlerin hatte sie Jiddisch gelernt.
Ist die Herkunft aller Objekte, mit denen Sie sich befassen, erforscht?
Neben den Archivobjekten zeigen wir im Saal Sammlungsobjekte, die von einem Schnürboden herabgelassen und für Veranstaltungen unter die Decke gezogen werden können – Objekte, die mal interessante, mal fehlgeleitete oder furchtbare Antworten aus der Wissenschaftsgeschichte auf die aktuellen Forschungsfragen der Wand geben. Jedes Objekt wird befragt, was es hier macht.
Und was, wenn es Rückgabeforderungen geben sollte?
Die Universität geht ja mit der Frage der Rückgaben recht frei um. Die Ausstellung „Theatrum naturae et artis“, bei der vor 20 Jahren Objekte aus den Lehr- und Kunstsammlungen der Humboldt-Universität gezeigt wurden, könnte diese heute aus eigener Kraft nicht mehr realisieren, weil die meisten Objekte längst woanders sind. Darum ist es für uns kein Problem, Provenienz auch mit der Absicht zu erforschen, die Objekte zu restituieren.
Wie gehen Sie mit sensiblen Objekten um?
Besondere Anforderungen stellen sensible Sammlungen wie die Kriegsgefangenenaufnahmen im Lautarchiv, die in deutschen Kriegsgefangenenlager entstanden. In den Dialektaufnahmen ist von den politischen Zwecken, denen sie dienten, nicht die Rede. Deshalb brauchen wir das Hahne-Niehoff-Archiv aus dem Institut für Europäische Ethnologie. Dies ist ein sehr spannendes, aber wenig bekanntes Archiv, das in 35.000 Fotonegativen und zahlreichen Fragebögen die Arbeit einer zunehmend völkisch inspirierten Volkskunde der 1920er bis 1940er Jahre dokumentiert. Auf den Fotos sind Hakenkreuze zu sehen, die in den Dialektaufnahmen nicht thematisiert werden. So hilft das eine Archiv, das andere zu verstehen.
Und darum auch das Janheinz-Jahn-Archiv?
Genau. Der Nachlass des Autors und Übersetzers Janheinz Jahn, der als erster deutschsprachiger Vermittler afrikanischer Literaturen und Kulturen im Nachkriegsdeutschland gilt, ist ein wichtiges Archiv für die Demokratiegeschichte. Es geht um Empowerment, die erste Phase der Dekolonialisierung, die ja kein herrschaftsfreier Prozess war. Da ist etwa die Paris-Konferenz von 1956, die Jahn begleitet hat.
Wie nähern Sie sich diesem komplexen Thema?
Zum Beispiel mit einer Rede von Aimé Césaire, die er auf der Konferenz hielt. Seine Argumente gelten für viele Kritiker*innen des Liberal Scripts bis heute. Césaire sagte, Europa habe erbarmungslos alles vernichtet, jede Kultur, Philosophie und Religion, also alles, was die Bereicherung einer Gruppe privilegierter Menschen hätte verlangsamen oder aufhalten können.
Was halten Sie von der Kritik von Initiativen in Berlin, Dekolonisierung könne in einer Schlossattrappe nie beginnen?
Ich verstehe diese Kritik. Durch diesen Druck von außen sind Dialog und interkultureller Austausch sicher auch zu Leitprinzipien aller Akteur*innen im Humboldt Forum geworden. So wie die Provenienzforschung, und hoffentlich zunehmend auch die Restitution. Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands hat aber auch wichtige Impulse aus dem Humboldt Forum oder der Diskussion um das Humboldt Forum erhalten.
Mögen Sie eigentlich die Räume des Humboldt Forums?
Die leeren Räume verfügen über wenig Magie. Da muss man sich schon sehr anstrengen. Für einen Dauerfeldversuch eines Urban Gardening-Forschungsprojektes wären wir gerne auf das Dach des Hauses gegangen, um einen Schrebergarten anzulegen. Es gibt da Fotos des Ehepaars Schönfelder aus den 1930er Jahren.
Schönfelder?
Otto Schönfelder war der ehemalige Hofschlosspolierer. Die Schönfelders hatten eine Laube auf dem Dach des Schlosses. Diese Kombination aus dem Petit-Bourgeois-Leben oben und dieser Fassade …
Also dem Prunk und Protz …
… des kaiserlichen Deutschlands, bei dem ja nebenbei gesagt alle glücklich sein sollten, dass es untergegangen ist – das hätte mir sehr gefallen.
Ich nehme an, der Dachgarten wurde abgelehnt?
Die Idee wurde nicht weiter verfolgt, jedoch lächelnd zur Kenntnis genommen.
Als Sie 2018 die Einladung bekamen, im Humboldt Forum zu arbeiten, was haben Sie da gedacht?
Ich habe mich gefreut.
Mögen Sie Konfrontation?
Überhaupt nicht! Ich würde ihr aber auch nicht ausweichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“