Humanitäre Lage in Gaza: Kaum Treibstoff und Hilfsgüter
Im Küstenstreifen spitzt sich die Situation weiter zu, der internationale Druck auf Israels Regierung steigt. Wie reagiert sie?
„Wir tun, was wir können, aber wir sind nur noch vier Fachärzte und es kommen täglich etwa 200 Verletzte in die Klinik“, hatte Fadel Naim, orthopädischer Chirurg und leitender Arzt der Klinik, in einer seiner letzten Sprachnachrichten am Tag zuvor der taz gesagt. Seitdem erreichen Naim keine Whatsapp-Nachrichten mehr. Die Internet- und Telefonverbindungen sind wegen des fehlenden Treibstoffs zusammengebrochen. Auch palästinensische Journalisten können nur noch unter schwersten Bedingungen arbeiten.
Mindestens 37 sind laut des Komitees zum Schutz von Journalisten, einer NGO mit Sitz in New York, seit Kriegsbeginn getötet worden. Eine Live-Kamera der Nachrichtenagentur AFP zeigte am Morgen des 17. November dichten schwarzen Rauch über dem nördlichen Gazastreifen. Israels Armee meldete die Einnahme einer Basis des Palästinensischen Islamischen Dschihad. Der Arzt Fadel Naim hatte am Mittwoch dieser Woche, rund sechs Wochen nach dem Hamas-Überfall auf Israel, gegenüber der taz dramatische Zustände in der Klinik geschildert. „Ich arbeite seit 20 Jahren im Ahli-Krankenhaus, aber ein solches Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie erlebt.“ Es fehle an allem: Narkosemittel, Verbandszeug, Blutkonserven. Hilfslieferungen habe das Krankenhaus bisher nicht erhalten.
Die Hilfsgüter für die Menschen in Gaza können laut dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) derzeit aus Mangel an Treibstoff nicht mehr verteilt werden, daher gebe es momentan keine humanitären Lieferungen mehr über den Rafah-Grenzübergang. Pro Tag braucht es laut UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rund 200.000 Liter Treibstoff für eine minimale Versorgung. Israel fürchtet, dieser könnte in den Händen der Terrororganisation Hamas landen. Am 16. November durfte ein Tanklaster 24.000 Liter Treibstoff nach Gaza bringen, am Tag darauf genehmigte Israel für humanitäre Zwecke die Einfuhr von Diesel mit zwei Tanklastern pro Tag aus Ägypten in den Gazastreifen.
Der Ruf nach einer Kampfpause wächst
Israels Führung wirft den extremistischen Gruppen in Gaza vor, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen als Schutzschilde für ihre militärischen Einrichtungen zu missbrauchen. Die Hamas und die Krankenhausleitungen bestreiten das. Israelische Soldaten durchkämmten ab dem 15. November das größte Krankenhaus Gazas, die Al-Shifa-Klinik. Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge befanden sich zu dem Zeitpunkt noch immer mehr als 600 Patienten in der Klinik.
In Gebäuden neben dem Krankenhaus bargen Soldaten die Leichen zweier Hamas-Geiseln: die 65-jährige Yehudit Weiss und die 19-jährige Noa Marciano. Über die anderen rund 240 Entführten ist weiterhin kaum etwas bekannt. In der Klinik selbst seien Waffen und Munition sowie der Eingang zu einem Tunnelschacht entdeckt worden. Die Angaben der israelischen Armee und der Hamas lassen sich häufig nicht überprüfen. Angesichts der humanitären Lage wächst international der Ruf nach einer Kampfpause.
Seit Beginn des Krieges wurden dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium zufolge mehr als 11.500 Menschen in Gaza getötet. In seltener Einigkeit erließ der UN-Sicherheitsrat am Abend des 15. November eine Resolution, die mehrtägige humanitäre Feuerpausen im Gazastreifen forderte. Die Feuerpausen sollen Hilfe für die Zivilbevölkerung ermöglichen. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter machten nicht von ihrem Vetorecht Gebrauch.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte die israelische Führung am Donnerstag dieser Woche nach seinem Besuch im Kibbuz Be’eri, einem zentralen Ort des Hamas-Massakers, sich nicht von „Wut aufzehren“ zu lassen. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk sagte, die getöteten Zivilisten in Gaza könnten nicht als „Kollateralschaden“ abgetan werden. Rund drei Viertel der gut zwei Millionen Einwohner von Gaza sind seit Kriegsbeginn vertrieben worden.
Anzeichen für Ausweitung der Angriffe
Anfang der Woche wandte sich Thomas White, der Direktor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge, an die Presse und warnte vor einem Zusammenbruch der humanitären Versorgung. In den Auffanglagern der UNO teilten sich im Durchschnitt 125 Menschen eine Toilette und mehr als 700 eine Dusche. Nötig seien 750 Lastwagen mit Hilfsgütern täglich.
Das Welternährungsprogramm (WFP) spricht davon, eine Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser sei praktisch nicht mehr gegeben. Während das Abwassersystem in Gaza schon jetzt nicht mehr funktioniert, könnten die beginnenden Winterregenfälle dem Küstenstreifen Überschwemmungen bringen. Die WHO hat 44.000 Fälle von Durchfallerkrankungen registriert – in früheren Jahren waren es um diese Jahreszeit 2.000.
Dass sich die israelische Führung des steigenden internationalen Drucks bewusst ist, ließ Außenminister Eli Cohen Anfang der Woche durchblicken. Sein Land habe noch zwei bis drei Wochen, um seine Militäroffensive voranzutreiben, sagte er. Dass Israel sich an die UN-Resolution halten wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan bezeichnete sie umgehend als „realitätsfern“ und „bedeutungslos“.
Stattdessen gibt es Anzeichen für eine Ausweitung der Angriffe: In der Nacht auf den 16. November warf Israels Luftwaffe über Chan Yunis im südlichen Gazastreifen Flugblätter ab. Die Bewohner und die zehntausenden Vertriebenen, die dort ausharren, wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und sich in „Schutzzonen“ zu begeben.
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