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Humanitäre Lage im GazastreifenKinder sterben an Unterkühlung

Stürme und Regen belasten die vertriebenen Menschen in den Zeltlagern. Die Hamas stellt Waffenruhe in Frage und lehnt ihre Entwaffnung kategorisch ab.

Eine palästinensische Familie fährt im zerstörten Gaza-Stadt durch den Regen Foto: Jehad Alshrafi/AP

kna | Anhaltende starke Regenfälle und winterliche Temperaturen verschlechtern im Gazastreifen die Situation für Hunderttausende Vertriebene, die dort in Zeltlagern leben. Die Lage im dritten Winter seit Kriegsbeginn habe sich verschärft, sagte Yotam Polizer, Direktor der Hilfsorganisation IsrAID, der Zeitung Haaretz.

Ziel der Organisation sei es deshalb, umgerechnet 1,7 Millionen Euro für Winterhilfe für den Gazastreifen zu sammeln. Es werde „noch viel mehr Hilfe“ benötigt, als derzeit die Menschen erreiche. Polizer verwies unter anderem auf den Wintersturm Byron. Dieser habe, so Polizer, für erhebliche Schäden gesorgt.

Die meisten Gebäude im Gazastreifen sind zerstört oder beschädigt. Tausende Menschen leben daher in Zelten oder in anderen Behelfsunterkünften. Laut einem Bericht der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa wurden am Montag wieder mehrere Vertriebene verletzt, als eine Mauer auf ein Zeltlager südwestlich von Gaza-Stadt stürzte. Ferner habe der Regen ein weiteres kriegsbeschädigtes Haus zum Einsturz gebracht. Der anhaltende starke Niederschlag und heftige Winde überschwemmten demnach zahlreiche Zelte in verschiedenen Gebieten des Gazastreifens.

Viele Gefahren für die Gesundheit

Menschenrechtsgruppen und medizinisches Personal in Gaza warnten außerdem vor einer erhöhten Gefahr für Infektionskrankheiten durch Müll und Abwasser, die durch die Regenmassen in die Zeltlager gespült werden. Ferner sei bereits ein Anstieg von Unterkühlungsfällen insbesondere bei Kindern zu verzeichnen.

Am Freitag hatte die von der Hamas geführte Zivilschutzbehörde mitgeteilt, in den vergangenen 24 Stunden seien mindestens 16 Menschen in dem Palästinensergebiet gestorben. Darunter seien zwei Kinder in der Stadt Gaza und ein weiteres in Chan Yunis, die an Unterkühlung gestorben seien. Wegen starker Regenfälle im Gefolge von Sturm „Byron“ waren im Gazastreifen seit Mittwoch vergangener Woche Zelte und andere Notunterkünfte überschwemmt worden.

Das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza teilte mit, von den dort durch die Kälte gestorbenen Kindern sei eines neun Jahre und das andere erst ein paar Monate alt gewesen. Bei dem verstorbenen Kind in Chan Yunis handelte es sich laut dem dortigen Nasser-Krankenhaus um ein acht Monate altes Kind aus einer Zeltsiedlung in Al-Mawasi. Die übrigen Todesopfer waren nach Behördenangaben auf Einstürze von Gebäuden infolge der Überschwemmungen zurückzuführen.

Hilfsgüter werden weiterhin blockiert

„Die Matratze ist seit heute Morgen mit Wasser vollgesogen und die Kinder haben vergangene Nacht in nassen Betten geschlafen“, sagte Umm Muhammad Dschudah, eine Bewohnerin von Nuseirat im Zentrum des Gazastreifens, der Nachrichtenagentur AFP. „Wir haben keine trockene Wechselkleidung.“ Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef fielen die Nachttemperaturen im Gazastreifen auf etwa acht oder neun Grad. Die hygienischen Zustände im Gazastreifen seien „absolut entsetzlich“, sagte Unicef-Sprecher Jonathan Crickx.

Derzeit gilt eine Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel. Nach UN-Angaben treffen Hilfsgüter aber weiterhin nicht in ausreichendem Maß ein. Die erste Phase der Waffenruhe war auf der Grundlage des US-Friedensplans am 10. Oktober in Kraft getreten – mehr als zwei Jahre nach dem Überfall der islamistischen Palästinenserorganisation und verbündeter Milizen auf Israel. Im anschließenden Krieg wurden im Gazastreifen nach offiziellen Angaben mehr als 70.000 Menschen getötet – die meisten von ihnen Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Die Zahlen könnten deutlich höher sein, da der schmale Küstenstreifen weitgehend zerstört ist und unter den Trümmern der Gebäude vermutlich viele Tote verschüttet sind.

Die zweite Phase des von der UNO unterstützten Friedensplans für den Gazastreifen umfasst die Entwaffnung der Hamas. Die islamistische Miliz erteilte dieser Forderung jedoch eine deutliche Absage. Stattdessen pocht sie laut Hamas-Chef al-Hajja auf ihr „legitimes Recht“, Waffen zu besitzen. Durch die gezielte Tötung ihres ranghohen Kommandeurs Raed Saed durch Israel sieht sie zudem die ohnehin brüchige Waffenruhe in Gefahr.

Ranghoher Hamas-Kommandeur von Israel getötet

„Die fortgesetzten Verstöße Israels gegen das Waffenruheabkommen und die jüngsten Attentate, die Saed und andere zum Ziel hatten, gefährden die Gültigkeit des Abkommens“, erklärte al-Hajja am Sonntag. Die Hamas bestätigte, Saed sei bei einem israelischen Angriff am Samstag ums Leben gekommen. Er ist das ranghöchste Hamas-Mitglied, das seit Beginn der Waffenruhe gezielt getötet wurde.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz hätten die „Eliminierung des Terroristen Raad Saad angeordnet“, hieß es am Samstag in einer Erklärung Israels. Dies sei eine Reaktion auf die Aktivierung eines gegen die israelischen Streitkräfte gerichteten Hamas-Sprengsatzes in der von der Armee kontrollierten sogenannten gelben Zone geschehen.

Insgesamt wurden seit Beginn der Waffenruhe nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde im Gazastreifen mindestens 386 Menschen bei Angriffen des israelischen Militärs getötet. Israel gibt an, dass seither drei seiner Soldaten getötet wurden.

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