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Humanitäre Katastrophe in NahostTote nahe Hilfszentren in Gaza

Israels Militär soll erneut Menschen auf dem Weg zu GHF-Hilszentren getötet haben. Netanjahu nannte die Organisation erstmals eine Initiative Israels.

Palästinenser holen Hilfsgüter von der Humanitarian Foundation (GHF) in Rafah im Gazastreifen ab Foto: Abdullah Abu Al-Khair/APA/Zuma Press/dpa

Berlin taz | Es lag immer nahe, doch nun bestätigte Israels Premier Benjamin Netanjahu es jüngst in einem Interview mit dem US-Sender Fox News: Die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), die seit Ende Mai Lebensmittel an die Menschen im Gazastreifen verteilt, ist eine von Israel ausgehende Initiative.

Der Premier erklärte: „Wir haben mit Hilfe amerikanischer Firmen einen Plan ausgearbeitet, um die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung von der Kontrolle der Hamas zu trennen“. Immer wieder gab es an der GHF Kritik: Es sei wenig über ihren Ursprung bekannt, und ihre Arbeitsweise verletze humanitäre Prinzipien.

Außerdem reichten die verteilten Güter für den Bedarf der Menschen im Gazastreifen, in den Israel seit Anfang März abseits der GHF kaum Nahrungsmittel hineinlässt, nicht aus.

Immer wieder sterben Menschen auf dem Weg zu den Verteilzentren durch Schüsse. Sie müssen zu den Zentren kilometerlang durch aktives Kampfgebiet laufen, zu dessen Evakuierung eigentlich aufgerufen ist. Recherchen, etwa des US-Senders CNN, aber auch der taz selbst, legen nahe: Das israelische Militär ist wohl für die tödlichen Zwischenfälle verantwortlich.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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„Es wird jeden Tag schlimmer“

Auch in den vergangenen Tagen starben so Palästinenser: Am Montag berichtete der katarische Sender Al Jazeera von 38 Toten nahe den GHF-Verteilungszentren in Rafah. Die Nachrichtenagentur ap erklärte mit Bezug auf Augenzeugen, das israelische Militär habe gegen vier Uhr morgens an einem Kreisverkehr, nur wenige Meter von dem GHF-Zentrum entfernt, das Feuer eröffnet. „Es wird jeden Tag schlimmer“, zitiert ap eine Augenzeugin.

Auch am Dienstag fielen Schüsse: Laut der Nachrichtenagentur dpa wurden erneut Wartende in der Nähe eines Verteilzentrums getötet. Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen berichtete von mehr als 50 Toten und rund 200 Verletzten im Süden des Küstenstreifens, Details nannte es nicht.

Mit Bezug auf Augenzeugen berichtet dpa: Die Menschen seien teils zu Fuß, teils mit Fahrzeugen auf dem Weg zu einer Ausgabestelle gewesen, als die israelische Armee sie am Morgen zwischen den Städten Rafah und Chan Yunis mit Artillerie beschossen habe. Das israelische Militär gab an, den Vorfall zu prüfen.

Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa könnten die Verletzten kaum behandelt werden: Die Notaufnahmen seien überbelegt, auch an Medizin und lebensrettendem medizinischen Gerät mangele es. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO stehen die meisten Spitale in Gaza vor dem Kollaps. Insgesamt sollen laut Wafa bislang mehr als 300 Menschen bei dem Versuch, humanitäre Güter an Ausgabestellen zu erhalten, getötet worden sein.

Derweil halten auch die Luftangriffe im Gazastreifen an: Am Dienstag starben fünf Menschen bei Luftangriffen in Süd- wie Zentral-Gaza. Laut Wafa wurden vier von ihnen bei einem Angriff auf ein Zelt, in dem Vertriebene hausten, im Gebiet Mawasi getötet.

Festnahmen im Westjordanland

Die Zivilistinnen und Zivilisten im Gaza­streifen sind eigentlich aufgerufen, dorthin zu flüchten. Auch mit Bodentruppen ist das israelische Militär weiterhin im Gaza­streifen aktiv. Nach Angaben der Times of Israel haben diese am Dienstag den Tunnel, in dem laut dem israelischen Militär Hamas-Chef Muhammad Sinwar bei einem Luftangriff getötet wurde, versiegelt. Man habe 250 Kubikmeter Beton in den Tunnel gepumpt.

Auch im Westjordanland weitet das israelische Militär seine Aktivitäten aus: Am Dienstag stürmte es Teile der nördlichen Stadt Nablus und ein nahes Dorf, mindestens eine Person wurde wohl festgenommen. Auch nahe Jenin führte es eine Razzia durch.

Nach Berichten von Wafa wurden zwischen Montagabend und Dienstagmorgen mindestens 30 Palästinenser im Westjordanland festgenommen. Seit Beginn des Krieges zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel haben laut der palästinensischen Kommission für Gefangene und Ex-Gefangene die Festnahmen zugenommen.

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