Humanitäre Hilfe für Syrien: Abhängig von Assads Gnade

Sechs Monate ist das Erdbeben her. Das Rebellengebiet in Syrien ist weiter auf Hilfe angewiesen. Doch ohne Assads Regime hilft die Uno nicht.

Menschen stehen mit am Grenzübergang Bab al-Hawa und protestieren. Sie haben ihre Forderungen auf weisses Papier geschrieben, die sie in der Hand halten

Protest gegen das Veto Russlands, das humanitäre Hilfe verhindert Foto: Rami Alsayed/NurPhoto/picture alliance

BEIRUT taz | Bab al-Hawa ist der wichtigste Grenzübergang für humanitäre Hilfe für das Rebellengebiet in Nordwestsyrien, das vom Rest des Landes abgeschnitten ist. Trotzdem ist er seit Wochen schon gesperrt. Am 10. Juli hatte Russland im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen die Verlängerung einer Resolution eingelegt, die bis dahin grenzüberschreitende Hilfe aus der Türkei direkt in die von Aufständischen gehaltenen Gebiete Syriens ermöglicht hatte.

Vier Millionen Menschen leben im syrischen Nordwesten, der besonders schwer von dem Erdbeben am 6. Februar betroffen war. Der syrische Präsident Baschar al-Assad verweigert der Region seine Hilfe. Schon lange vor dem Erdbeben hatte deshalb eine UN-Resolution es ermöglicht, Hilfslieferungen aus der Türkei über die syrische Grenze zu bringen – und zwar ohne Genehmigung des Assad-Regimes.

Zwar hat dieses nach der Blockade durch Russland zugestimmt, Bab al-Hawa für Hilfslieferungen zu öffnen – aber nur unter der Bedingung, dass Hilfslieferungen „in voller Zusammenarbeit und Koordination mit der Regierung“ erfolgen und dass die UN nicht mit von Syrien als Terrororganisationen eingestuften Gruppierungen wie den Aufständischen in der Region Idlib kommuniziert.

Dem haben die UN nicht zugestimmt. Die UN-Nothilfsorganisation Ocha stellte klar, dass sie mit „relevanten staatlichen und nichtstaatlichen Parteien“ zusammenarbeiten müsse, um Hilfe leisten zu können.

Karte von Syrien

Assad forderte zudem, dass die Verteilung der Hilfe durch das Internationale Rote Kreuz und den Syrischen Arabischen Halbmond überwacht wird. Dies, erwiderte Ocha, sei weder mit der Unabhängigkeit der UN vereinbar noch sei es praktikabel, da die beiden Organisationen in Nordwestsyrien nicht präsent seien.

Nach dem Erdbeben hatte die syrische Regierung zwei weitere Übergänge, Bab al-Salameh und Bab al-Ra’i, für UN-Hilfe freigegeben. „Bab Al-Salameh und al-Ra’i werden weiter für die grenzüberschreitende Beförderung von UN-Hilfslieferungen und Personal genutzt“, heißt es aktuell bei Ocha. Die Genehmigung läuft jedoch Ende August aus.

Die UN liefern keine grenzüberschreitende Hilfe in von Aufständischen kontrollierte Gebiete, ohne eine Zustimmung der Regierung des betroffenen Staats oder eine Resolution des Sicherheitsrats zu haben – auch nicht, wenn ein Staat wie Syrien Hunger als Waffe einsetzt.

Da alle grenzüberschreitenden UN-Hilfslieferungen mittlerweile von der Gnade der syrischen Regierung abhängen, haben die Menschen im Nordwesten nun Angst, dass Assad die Hilfslieferungen instrumentalisiert und sie von Hilfen abschneidet. „In der Vergangenheit wurde die Unterstützung für belagerte Gebiete immer wieder unterbrochen“, sagt Ola Batta, Syrerin aus Aleppo und Projektleiterin der Welthungerhilfe für Nordwestsyrien.

„Wenn die Hilfe von der Zustimmung der syrischen Regierung abhängt oder in irgendeiner Weise unter ihrer Kontrolle steht, ist die Manipulationsgefahr groß. Die Gemeinden im Nordwesten Syriens äußern bereits Bedenken hinsichtlich der möglichen Ausrichtung der humanitären Hilfe.“

Die Welthungerhilfe hat dieses Jahr bereits mindestens 120 Lkw-Ladungen (2.100 Tonnen) Mehl geliefert. Um trotz der Grenzübergangsfrage Hilfe leisten zu können, arbeitet sie aber in erster Linie mit Bargeld und Gutscheinen, die in Geschäften gegen Lebensmittel, Hygieneartikel oder Saatgut eingelöst werden können.

Auch Hilfspersonal muss über die Grenze

Geholfen werden könne auch mit Dienstleistungen, erklärt Sherine Ibrahim, für Syrien verantwortliche Länderdirektorin der Hilfsorganisation Care. Sie nennt in diesem Zusammenhang die Gesundheits- und Bildungsversorgung, Unterstützung für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt und Wasser- und Sanitärdienste. Diese Unterstützung sei „lebenserhaltend und lebensrettend“, allerdings „durch das Fehlen einer Resolution ebenfalls gefährdet“. Denn nicht nur Hilfsgüter kommen über die Grenze, auch Hilfspersonal muss die Grenzübergänge passieren.

Zwar leisteten Care und andere Organisationen ihre Hilfe unabhängig von den UN, doch seien sie bei der Koordinierung sowie den Zugangsverhandlungen auf die UN-Struktur angewiesen. „Unsere Sorge ist, dass NGOs und andere humanitäre Akteure nicht mit dem Umfang der UN-geführten humanitären Operationen mithalten können“, sagt Ibrahim, „viele Sektoren sind bei der Finanzierung und Koordinierung auf die Beteiligung der UN angewiesen.“ So sei Ocha etwa in der Lage, komplexe Finanzierungsstrukturen mehrerer Geber zu verwalten, mit allen Konfliktparteien über sicheren Zugang zu verhandeln und humanitäre Güter in großem Umfang zu beschaffen.

Dass die UN auf einer Sicherheitsratsresolution beziehungsweise der Zustimmung durch die syrische Regierung beharren, um Hilfe zu liefern, ist umstritten. Amnesty International hält das für falsch. Die Organisation argumentiert auf Basis des humanitären Völkerrechts, dass unparteiische humanitäre Hilfe für Zi­vi­lis­t*in­nen auch ohne Genehmigung des Sicherheitsrats oder der Regierung völkerrechtlich zulässig ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.