Human Rights Watch über Folter-Prozess: „Alle schauen hier sehr genau hin“
Der Koblenzer Prozess gegen mutmaßliche Folter-Schergen des Assad-Regimes hat Vorbildcharakter. Ein Gespräch mit Lotte Leicht von Human Rights Watch.
taz: Frau Leicht, am Montag geht in Koblenz der Prozess gegen Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter. Er soll in Syrien verantwortlich für Folterungen von mindestens 4.000 Menschen gewesen sein, 58 Menschen sollen an den Folgen gestorben sein. Welche Bedeutung hat dieser Prozess?
Lotte Leicht: Das ist ein historischer Prozess, weil er weltweit der erste gegen Verbrechen des syrischen Staates ist. Er wird Auswirkungen auf weitere Ermittlungen und weitere Gerichtsverfahren auch in anderen Ländern haben. Als Juristin sehe ich natürlich diese Ebene, sie ist enorm wichtig.
Aber ich habe auch Freunde, die aus Syrien kommen und selbst Opfer dieses Regimes geworden sind, einer von ihnen beobachtet den Prozess im Zuschauerraum. Für ihn, für Überlebende und die Angehörigen der Opfer zeigt der Prozess, dass die Justiz sie und das, was sie erlitten haben, ernst nimmt. Das ist außerordentlich wichtig.
Warum gibt es keine internationale juristische Aufarbeitung der Verbrechen des syrischen Regimes?
Frankreich hat, mit Unterstützung zahlreicher anderer Länder, versucht, diese Verbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof, den ICC, zu bringen. Weil Syrien sich diesem aber nicht unterstellt hat, hätte der UN-Sicherheitsrat zustimmen müssen. Das haben Russland und China durch ein Veto verhindert. Deshalb gibt es keine juristische Aufarbeitung durch den ICC – und es ist klar, dass sich das auch in naher Zukunft nicht ändern wird.
Doch immerhin gibt es, und das ist vielleicht die zweitbeste Möglichkeit, den so genannten internationalen, unparteiischen und unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Verbrechen in Syrien. Dieser wurde mit großer Mehrheit in der Generalversamlung der Vereinten Nationen im Dezember 2016 verabschiedet.
Was bedeutet das genau?
Kurz gesagt ist das ein internationaler Ermittler ohne Gericht. Es werden die Verbrechen in Syrien ermittelt – zurück bis 2011. Die Ermittlungsergebnisse und Beweise werden Ermittlern und Anklägern in anderen Ländern zur Verfügung gestellt, möglicherweise auch irgendwann in Syrien.
Spielen Informationen von dort in dem Verfahren in Koblenz eine Rolle?
Das weiß ich nicht. Aber es gibt Kontakte zwischen dem zuständigen Büro in Genf und den deutschen Behörden.
Lotte Leicht ist EU-Direktorin von Human Rights Watch. Sie ist ausgebildete Rechtsanwältin mit Schwerpunkten im Bereich der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und Vorstandsvorsitzende des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
Hat der Prozess in Deutschland eine Vorreiterfunktion für andere Länder?
Das hat er zweifellos, er ist für viele andere europäische Länder eine Art Präzedenzfall. Länder wie Schweden, wo ebenfalls nicht nur Ermittlungen in so genannten Strukturverfahren, in denen alle Informationen gesammelt werden, sondern auch in individuellen Fällen durchgeführt werden, schauen sehr genau hin, was in Koblenz passiert.
Geht es dabei auch um neue Erkenntnisse, die durch den Prozess zu Tage kommen könnten?
Ich glaube nicht, dass da große Überraschungen zu erwarten sind. Aber es wird viele Details über die Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes und das Al-Khatib-Gefängnis geben, wo der Angeklagte gearbeitet hat. Vielleicht auch neue Beweise. Und ich bin sicher, dass wir bedeutende Beweise für die allgemeine, systematische und weit verbreitete Politik und Praxis der vom syrischen Regime begangenen Gräueltaten sehen werden, einschließlich Folter, Vergewaltigung, Verschwindenlassen und Tötung von Gefangenen.
Es gibt Ermittlungen in verschiedenen europäischen Ländern – wo laufen sie gut, wo weniger?
Vorne liegt eindeutig Deutschland und dann kommt Schweden. Diese Länder sind bereit, unter dem so genannten Weltrechtsprinzip weitere Schritte zu gehen. Sie führen nicht nur Strukturverfahren, sondern auch Ermittlungen in individuellen Fällen, auch wenn die Verdächtigen sich gar nicht in ihrem Land befinden. Deutschland hat einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan erlassen, den ehemaligen Chef des Luftwaffengeheimdienstes, der noch immer in Syrien ist. Das ist neu. Und wäre in vielen anderen Ländern auch gar nicht möglich gewesen.
Jamil Hassan hat in der Zeit, seit der Haftbefehl läuft, Syrien verlassen, er ist im Libanon medizinisch behandelt worden. Festgenommen wurde er nicht. Welche Bedeutung hat dann ein solcher Haftbefehl?
Das ist natürlich ärgerlich. Ich weiß, dass deutsche Behörden versucht haben, auf die Libanesen einzuwirken, aber sie hatten damit keinen Erfolg. Das alles ist nicht leicht. Aber ich glaube, der Haftbefehl hat Hassans Möglichkeiten zu reisen eingeschränkt, er weiß, dass dies für ihn nicht mehr sicher ist. Das ist eine Botschaft, nicht nur an ihn.
Wie bewerten Sie die internationale Zusammenarbeit bei diesen Ermittlungen?
Das ist Learning by Doing. Es gibt in der EU dieses so gennante Völkermord-Netzwerk bei den Staatsanwaltschaften und den Polizeieinheiten, die schwere Menschenrechtsverbrechen ermitteln. Da werden Informationen und Erfahrungen ausgetauscht.
Deutschland liegt bei den Ermittlungen vorn und hat auch zugesagt, die Ergebnisse der forensischen Auswertung der so genannten Caesar-Fotos, die in Deutschland durchgeführt wird und die sehr aufwändig und teuer ist, an die anderen weiterzugeben. Das zeigt, wie die Ermittler sich in diesem schwierigen Feld gegenseitig unterstützen.
Welche Blockaden gibt es?
Über die Blockaden im UN-Sicherheitsrat haben wir bereits gesprochen. Auch die Trump-Administration findet internationale Gerichtsbarkeit nur gut, wenn sie diese kontrollieren kann. Aber es gibt auch positive Entwicklungen – zum Beispiel mit Blick auf den Sudan oder auch Myanmar.
Welche?
Nach dem Machtwechsel im Sudan haben die Angriffe der Afrikanischen Union auf das ICC aufgehört, der ehemalige Machthaber al-Baschir wird sich wegen der Verbrechen in Dafur hoffentlich bald vor dem ICC verantworten müssen. Und das ICC hat Ermittlungen gegen Myanmar wegen der Vertreibung der Rohingya eingeleitet, obwohl Myanmar kein Vertragsstaat des ICC ist. Aber Bangladesh ist es, wohin hundertausende Rohingya geflohen sind.
Trotz aller Probleme kann man sagen, dass es voran geht. Dies ist wichtig für die internationale Achtung des Völkerrechts und sendet eine starke Botschaft an die Täter, dass Straflosigkeit nicht mehr die Regel ist. Und, es ist von zentraler Bedeutung für alle, die unter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelitten haben und davon betroffen sind. Gerechtigkeit ist kein moralischer Luxus, sondern ein Recht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter