Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam: Die lahme Peking-Ente
Hongkongs Regierungschefin dementiert, von der Regierung in Peking am Rücktritt gehindert worden zu sein. Doch Macht hat sie kaum noch.
BERLIN taz | Sie kann einem schon fast leidtun. Hongkongs pekingtreue Regierungschefin Carrie Lam, 62, die einst als selbstbewusst, arrogant und hart galt, wirkt nur noch wie ein Schatten ihrer selbst. Zu einem Häuflein Elend ist Lam geschrumpft, hat kaum noch eigene Macht, sondern bleibt vor allem aus Pekinger Machtkalkül im Amt. Dies legt eine geleakte Audio-Aufnahme einer vertraulichen Rede Lams vor Geschäftsleuten nahe sowie Lams nicht wirklich überzeugende Reaktion auf den Leak am Dienstag.
Auf der Aufnahme aus der vergangenen Woche, die die Agentur Reuters in der Nacht auf Dienstag veröffentlichte, ist Lams mutmaßliche Stimme auf Englisch zu hören: „Wenn ich eine Wahl hätte, wäre es das Erste zurückzutreten, sich aufrichtig zu entschuldigen.“ Es sei „unverzeihlich, dieses große Chaos in Hongkong verursacht zu haben“.
Sie habe jedoch nur „sehr beschränkte“ Möglichkeiten, die Krise zu lösen, da die Proteste inzwischen für die kommunistische Regierung in Peking zu einer nationalen Sicherheits- und Souveränitätsfrage geworden seien.
Es ist bereits das zweite Mal, dass vertrauliche Gespräche Lams an die Öffentlichkeit gelangen. Vergangene Woche berichtete ebenfalls Reuters, dass Lam eigentlich auf die Forderungen der seit Wochen anhaltenden Massenproteste eingehen wolle. So habe sie das umstrittene Auslieferungsgesetz auch formal zurücknehmen und zugleich einer unabhängigen Untersuchung der Polizeigewalt zustimmen wollen. Doch sei ihr dieses Ansinnen von der Regierung in Peking abgeschlagen worden.
Lam will gar keine Rücktrittsabsichten gehabt haben
Am Dienstag dementierte Lam. Sie habe gegenüber Peking nie Rücktrittsabsichten geäußert. Dies kann sein, denn Peking hat sich in den vergangenen Wochen so demonstrativ hinter Lam gestellt, dass Hongkonger Kommentatoren stets geschrieben haben, die Regierungschefin sei dazu verdammt worden, das von ihr angerichtete Chaos selbst zu beseitigen.
Sie werde schließlich noch als Sündenbock benötigt, lauten die Kommentare, und ein zu früher Rücktritt würde nur ihren Nachfolger beschädigen. Peking könnte ihr also jeden Rücktrittsgedanken von vornherein verboten haben.
Die geleakten Aufnahmen nähren den lange gehegten Verdacht, dass Peking in der früheren britischen Kronkolonie längst den Ton angibt und die Lokalregierung eben nicht wie versprochen autonom ist.
In den vergangenen Wochen hat Chinas Regierung stets Härte gegen die Protestbewegung gefordert. Jedes Nachgeben wird von Peking als Ermutigung der Proteste gewertet.
Am Dienstag setzten Schüler und Studenten unterdessen in Hongkong ihren am Vortag begonnen Unterrichtsboykott fort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern