Hongkongs Demokratiebewegung: Protestführer zusammengeschlagen
Der Demokratie- und Schwulenaktivist Jimmy Sham wurde von einem Schlägertrupp angegriffen. Seinen Protest will er weiterführen – friedlich.
Ein schreckliches Foto macht am Mittwochabend in sozialen Netzwerken und Hongkonger Medien die Runde: Ein Mann liegt blutverschmiert auf der Straße, seine Beine ragen unter ein weißes Auto. Auf den ersten Blick sieht es nach einem Verkehrsunfall aus. Der Mann schaut verstört in die Kamera. Es ist Jimmy Sham Tsz-kit, wie später bestätigt wird, der hier in einer Seitenstraße im Stadtteil Mongkok zu Boden geschlagen wurde. Er ist noch bei Bewusstsein und wartet auf Hilfe.
Sham ist als sogenannter Convenor eine der Hauptpersonen der Civil Human Rights Front (CHRF), eines 2002 gegründeten Bündnisses von rund 50 Gruppen, Organisationen und Parteien der Hongkonger Demokratiebewegung. CHRF ist Anmelder der großen friedlichen Demonstrationen gegen das inzwischen zurückgezogene Auslieferungsgesetz. Der Gesetzentwurf löste die seit mehr als vier Monaten andauernde Protestbewegung in Hongkong aus, die sich jetzt vor allem gegen Chinas wachsenden Einfluss im autonomen Hongkong richtet.
CHRF erklärt später, nachdem Sham ins Krankenhaus gebracht wurde, dass ein Schlägertrupp aus mindestens vier Personen auf den Kopf des 32-Jährigen mit Hämmern und Schraubenschlüsseln eingeschlagen hätte. Nach Polizeiangaben blutete Sham aus Kopf und Armen.
Sham war demnach gerade auf dem Weg zur CHRF-Generalversammlung. Augenzeugen, die Sham helfen wollten, seien von den Angreifern mit Messern bedroht worden, berichtete ein CHRF-Mitarbeiter. Die Täter seien später mit einem Auto geflohen.
„Weißer Terror“ zur „Einschüchterung“
CHRF verurteilt den Angriff als „weißen Terror“ und vermutet, dass er einschüchtern soll. CHRF plant für Sonntag die nächste Großdemonstration.
Es ist bereits der zweite tätliche Angriff auf Sham in den letzten zwei Monaten. Am 29. August war er mit einem Mitarbeiter von zwei Maskierten mit Baseballschlägern in einem Café angegriffen worden, kurz nachdem ihr geplanter Protestzug von der Polizei verboten worden war. Damals wurde der Mitarbeiter verletzt. Später nahm die Polizi zwei Personen fest, darunter einen 15-jährigen Jungen.
Am Donnerstag verurteilte Hongkongs Chefsekretär Matthew Cheung Kin-chun, die Nummer zwei der Hongkonger Regierung, den Angriff auf Sham als „völlig inakzeptabel“. Alle Formen der Gewalt, egal welchen Ausmaßes, seien inakzeptabel, so Cheung. Er versprach die Täter vor Gericht zu bringen.
In Hongkong streiten Regierung und Protestbewegung seit Wochen über die Gewalt bei Demonstrationen, für die sich beide Seiten gegenseitg verantwortlich machen. Zu den fünf Hauptforderungen der Protestbewegung gehört die Untersuchung der Polizeigewalt.
Sham erklärte am Donnerstag per Facebook, er werde seinen Kampf „friedlich, vernünftig und gewaltfrei“ fortsetzen. Seine Wunden wurden inzwischen genäht und sind nach Krankenhausangaben nicht lebensbedrohlich.
Der Angegriffene ist ein sehr erfahrener Aktivist
Sham ist ein erfahrener Aktivist, der auch für die im November anstehenden Lokalwahlen kandidiert. Der studierte Sozialarbeiter war als stadtbekannter Schwulenaktivist auch Radiomoderator eines LGBT-Programms und Sprecher der jährlichen Hong Kong Pride Parade. Er wurde schon von pekingtreuen Politikern wegen seiner Homosexualität verbal angegriffen.
Am Donnerstag kam es im Hongkonger Stadtparlament, dem Legislativrat, den zweiten Tag in Folge zu tumultartigen Szenen. Manche Abgeordnete werten den Angriff auf Sham als Einschüchterungsversuch. Die unbeliebte Regierungschefin Carrie Lam wurde erneut mehrfach durch Zwischenrufe gestört. Saalordner setzten etliche Abgeordnete vor die Tür. Am Mittwoch hatte Lam ihre Regierungserklärung abbrechen müssen.
Wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf ein chinesisches Logistikunternehmen berichtet, hat China jetzt den Export von schwarzen T-Shirts, Regenschirmen, Gesichtsmasken und anderen bei Hongkonger Demonstranten beliebten Ausrüstungsgegenständen in die chinesische Sonderverwaltungsregion gestoppt. Der Zoll erlaube auch nicht mehr die Ausfuhr von gelben Warnwesten, schwarzer Kleidung, Megafonen, Sprechfunkgeräten, Drohnen, Schutzgläsern, Taschenlampen, Eisenstangen oder Schlagstöcken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär