Homosexuelle in der Bundeswehr: Unehrenhaft entlassen
Bis ins Jahr 2000 war Homosexuellen eine Bundeswehrkarriere verbaut. Jetzt entschuldigt sich die Ministerin.
Doch aus der Reise wurde nichts, und aus den Karrierepläne genauso wenig: Kurz vor der Versetzung teilte der Standortkommandant dem eben noch angehenden Seemann mit, dass es für ihn doch nicht auf die Fregatte geht, sondern in die Schreibstube. Ein paar Wochen später wurde ihm schließlich mitgeteilt, dass er zum Matrosen degradiert und unehrenhaft aus der Marine entlassen wird. Binnen 48 Stunden hatte er die Kaserne zu verlassen. Der Grund für all das: eine kurze Affäre mit einem anderen Soldaten.
„Können Sie sich vorstellen, wie mir da zumute war?“, fragt Koch fast sechzig Jahre später. „Ich habe es einfach nicht geglaubt.“
Von den Wochen im Herbst 1964 erzählte Koch am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion im Berliner Verteidigungsministerium. Er ist kein Einzelfall: Jahrzehntelang wurden homosexuelle, vor allem schwule Soldat*innen in der Bundeswehr institutionell diskriminiert. Um ihre Schicksale geht es bei der Veranstaltung in Anwesenheit von Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und hochrangigen Generäle. Der Anlass: die Veröffentlichung der Studie „Tabu und Toleranz“, in der der Oberstleutnant und Militärhistoriker Klaus Storkmann den Umgang mit Homosexuellen von 1955 bis ins Jahr 2000 untersucht hat.
Die Praxis, die diese Studie beschreibt, sei beschämend, sagt Kramp-Karrenbauer gleich zu Beginn der Veranstaltung. „Die Haltung der Bundeswehr zur Homosexualität war falsch, auch wenn sie im Einklang mit dem damaligen Zeitgeist stand.“ Zur Wiedergutmachung kündigt sie einen Gesetzesentwurf an: Truppengerichtsurteile wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen will sie aufheben lassen. Betroffene der institutionellen Diskriminierung sollen rehabilitiert werden. Wer wegen seiner Homosexualität benachteiligt wurde, soll eine pauschale Entschädigungszahlung erhalten.
Keine Karriere bis 2000
Die Diskriminierungspraxis gliederte sich in verschiedene Phasen, die die Bundeswehr-Studie auf Basis von Archivrecherchen und Zeitzeug*innen-Interviews detailliert beschreibt. Bis 1969 galt im westdeutschen Strafrecht nach Paragraph 175 noch ein Totalverbot sexueller Handlungen zwischen Männern. Analog dazu wurden der Studie zufolge „bis in die späten 1960er Jahre die homosexuell ‚auffällig Gewordenen‘ in der Regel aus den Streitkräften entlassen“.
Auch nach der Lockerung von Paragraph 175 verurteilten Truppengerichte zunächst noch schwule Soldaten für einvernehmlichen Sex untereinander. Bis 1979 blieb Homosexualität ein genereller Ausmusterungsgrund. Aus Personalmangel – geburtenschwache Jahrgängen trafen auf eine zunehmenden Zahl von Kriegsdienstverweigerern – lockerte die Bundeswehr dann auch diese Regel. Karriere durften die Betroffenen in der Armee aber weiterhin nicht machen: Bis ins Jahr 2000 galten Homosexuelle als unbrauchbar für Ausbildungs- oder Führungsaufgaben. Schwule Offiziere mussten ihre sexuelle Orientierung verbergen.
„Viele Zeitzeugen berichten aber auch, dass ungeachtet der Vorschriften (…) die Toleranz in der Truppe tatsächlich viel größer war“, schreibt Storkmann in seiner Studie. Tatsächlich zeugen seine Recherchen von einer gewisse Ambivalenz im Alltag: Auf der einen Seite erzählen Zeitzeug*innen von blöden Sprüchen, Beleidigungen, Tabuisierung und Versteckspielen. So heißt es über einen schwulen Soldaten, der 1998 seinen Grundwehrdienst antrat: „Er, der sonst so selbstbewusst schwul lebende, wollte in der Kaserne nicht als Schwuler bekannt werden. Die Mimesis ging so weit, dass er sich Poster nackter Pin-up-Girls in den Spind klebte.“
Auf der anderen Seite sammelte Storkmann auch Beispiele für Toleranz und Solidarität unter Soldaten. So zum Beispiel der Bericht eines schwulen Zeitsoldaten, der in den 1970er Jahren zum Unteroffizier befördert wurde, „obwohl seine homosexuelle Orientierung in Kompanie und Bataillon (…) allgemein bekannt gewesen sei“. Er habe „in sechs Jahren Bundeswehr niemals Diskriminierung erlebt, nichts, gar nichts: keine Beleidigungen, keine Strafen, nicht mal böse Worte“. Nur ein einziges Mal sei er im Speisesaal homophob beleidigt worden. Seine Kameraden hätten ihn da aber sofort verteidigt, erst mit Worten, dann mit Fäusten.
Scharping lenkte ein
Für das Ende der Diskriminierung waren dennoch Anstöße von Außen nötig. 1998 wurde ein Zugführer wegen seiner Homosexualität von seinem Dienstposten abgezogen. Er zog vor Gericht und reichte Verfassungsbeschwerde ein, das Bundesverfassungsgericht forderte die rot-grüne Bundesregierung zu einer Stellungnahme auf. Der erste Entwurf des Antwortschreibens, in dem die Entscheidung gerechtfertigt wurde, stieß sowohl in einzelnen Referaten des Verteidigungsministeriums als auch in anderen Ministerien auf Skepsis.
Zeiten und Werte hatten sich geändert, auf europäischer Ebene gab es zudem erste Urteile zugunsten homosexueller Soldat*innen. Nach anfänglichem Zögern lenkte schließlich auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) ein, kam einem Urteil aus Karlsruhe zuvor und kündigte die vollständige Öffnung der Bundeswehr für Homosexuelle an – und das, wie aus der Studie hervorgeht, gegen den Willen der militärischen Führung.
Zwanzig Jahre später hat sich die Haltung auch an der Bundeswehrspitze verändert. Im Verteidigungsministerium sagt Generalinspekteur Eberhard Zorn am Donnerstag, dass die Bundeswehr beim Thema Homosexualität mittlerweile „institutionell gut aufgestellt“ sei. Jetzt gehe es darum, dass „die Vorgesetzten aller Ebenen diese Dinge umsetzen“ und „Toleranz auch nach außen zeigen“.
„Es hat sich sehr viel getan“
Seit 2016 hat das Verteidigungsministerium ein eigenes Stabselement für Vielfalt und Chancengerechtigkeit. Die Bundeswehr ist bemüht darum, sich auch für Homosexuelle als attraktiver Arbeitgeber auf- und darzustellen. Die Aufarbeitung der eigenen Diskriminierungsgeschichte ist ein Teil dieser Bestrebungen. Der Arbeitskreis QueerBW, ein Zusammenschluss von LGBTI-Personen in der Bundeswehr, ist mit dieser Entwicklung sehr zufrieden. „In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan“, sagt auf dem Podium Sven Bäring, der Vorsitzende der Organisation.
Er selbst habe in sieben Jahren Dienst erst zwei Mal diskriminierende Sprüche zu hören bekommen, sagt der 25-Jährige. Aber er könne auch nachvollziehen, wie es schwulen Soldaten bis ins Jahr 2000 ging: Sogar er habe es in der Grundausbildung noch für sinnvoller erachtet, seine Homosexualität für sich zu behalten. „Ich habe das in der Grundausbildung mitgemacht“, sagt Bäring. „Das ist ein enormer Druck.“
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