Homophobie in Berlin: „Die Gewalt gegen Lesben nimmt zu“
Seit einem Jahr unterstützt die Telefonhotline L-Support Frauen, die lesbenfeindliche Gewalt erlebt haben. Doch viele Betroffene behalten solche Erfahrungen für sich.
taz: Ist es ein Unterschied, ob ich als Frau angegriffen und diskriminiert werde oder ob ich das als lesbische, queere oder bisexuelle Frau erlebe?
Katrin Salloch: Grundsätzlich nicht. Aber lesbische Frauen werden zusätzlich in der Art, wie sie leben, beleidigt. In der Gesellschaft fehlt oft die volle Akzeptanz, sie sind daher besonders verletzlich und Angriffe und Diskriminierung wiegen schwer.
Welche Erlebnisse melden Frauen bei L-Support?
Sie berichten meist von antilesbischer Gewalt in Form von Sprüchen, aber auch, dass sie körperlich angegriffen oder von einer Gruppe Menschen umzingelt worden sind. Wir hatten Anrufe und Meldungen per Mail, auch bei Facebook schreiben uns Frauen, zwei haben uns auf einer Party Vorfälle gemeldet.
Auf einer Party?
Wir gehen inzwischen verstärkt in die Szene, um die Frauen zu sensibilisieren und um bekannter zu werden. Auf Partys kommen wir leicht mit ihnen ins Gespräch. Dabei fällt uns immer wieder auf, wie vielen etwas passiert – ohne dass sie das melden.
Warum tun sie das nicht?
Sozialpädagogin, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der Telefonhotline und Beratungsstelle L-Support.
Ich glaube, dass Frauen anders mit solchen Vorfällen umgehen als Männer. Sie haben eine große Scham, darüber zu sprechen, und bearbeiten ihre Erlebnisse eher im privaten Bereich, mit Freundinnen, Partnerinnen oder ihrer Familie. Ich dachte immer, dass ich Übergriffe und Diskriminierung sofort melden würde. Als ich dann selbst als Lesbe betitelt und mir klargemacht wurde, dass ich meine Liebe und meine Partnerschaft nicht zeigen soll, ging es mir genauso: Ich wollte es erst nicht nach außen tragen und habe mich geschämt, denn ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte. Daher kann ich gut nachvollziehen, warum viele ihre Gewalterlebnisse mit sich ausmachen. Deshalb ist es umso wichtiger, Frauen zu ermutigen, damit nach außen zu gehen.
Was haben Sie erlebt, wollen Sie das erzählen?
Ich bin mit meiner damaligen Freundin darauf hingewiesen worden, dass wir uns nicht anfassen oder küssen sollen. Das war in einem vietnamesischen Schnellimbiss: Ein Mann kam auf uns zu und sagte, dass er das nicht möchte und wir an die anderen Gäste denken sollen. Als ich mich umgedreht habe, saß da ein weiterer Mensch. Ich fand uns auch nicht übermäßig auffällig, sondern sehr verbunden. Wir haben uns unterhalten, dabei habe ich meine Hand auf ihr Bein gelegt, zwischendurch haben wir uns geküsst.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mich nicht mehr wohl gefühlt. Wir haben dann beschlossen, uns genauso weiter zu verhalten, zu Ende zu essen und dann zu gehen. Aber in dem Laden war ich seitdem nie wieder.
Warnen Sie in der Beratung bei L-Support vor Situationen oder Gegenden, in denen lesbische, queere oder bisexuelle Frauen besonders gefährdet sind?
Nein, wir warnen nicht explizit vor bestimmten Wegen oder Situationen. Das kann man nicht verallgemeinern. Diskriminierung und Gewalt passieren in unterschiedlichen Ecken Berlins und in unterschiedlichen Institutionen. Ich denke, dass man einfach grundsätzlich darauf hinweisen muss, dass es solche Vorfälle gibt und dass sie verstärkt passieren.
Fordern Sie die Frauen, die sich bei Ihnen melden, auf, zur Polizei zu gehen?
Über die Telefonhotline L-Support können Frauen homophobe Gewaltvorfälle melden, werden telefonisch beraten und können einen Gesprächstermin vereinbaren. L-Support ist samstags und sonntags zwischen 17 und 19 Uhr erreichbar, Vorfälle können auch über die Webseite oder soziale Medien gemeldet werden. Das Opferhilfetelefon gibt es seit einem Jahr, dort engagieren sich zehn Frauen ehrenamtlich. Langfristig wollen sie eine feste Stelle und ein Büro einrichten und die telefonischen Beratungszeiten ausweiten.
Homophobe Beleidigungen werden in der Statistik unter Hasskriminalität geführt. Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin haben jeweils AnsprechpartnerInnen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte 2016 einen Mann, der eine Frau als „Dreckslesbe“ beschimpft hatte, zu einer Geldstrafe von 450 Euro. (usch)
Wenn uns Frauen anrufen oder ansprechen, beraten wir sie auch dazu, was sie machen können und dass es die Möglichkeit gibt, Anzeige zu erstatten. Aber es ist klar, dass wir das jedem selbst überlassen. Aus unserer Perspektive sagen wir natürlich: Es wäre gut, das zu tun.
Damit Gewalt gegen lesbische Frauen in den Statistiken auftaucht?
Damit man Zahlen hat und weiß, was hier in Berlin passiert. Von der LSBTI-Beraterin der Polizei wissen wir, dass pro Jahr höchstens zehn Frauen anzeigen, wenn sie homophob beleidigt oder angegriffen worden sind.
Bei Männern sind es mehr?
Die Beratungsstelle für Männer, unser Partnerprojekt Maneo, ist schon etabliert, sie hat viel mehr Fälle. Abgesehen davon gehen Männer anders mit Gewalterfahrungen um, sie tragen ihre Wut und Enttäuschung eher nach außen als wir Frauen. In der Öffentlichkeit wird homophobe Gewalt außerdem oft als Gewalt gegen schwule Männer wahrgenommen, über homophobe Gewalt gegen Frauen wird weniger gesprochen.
Warum ist es denn wichtig, auf homophobe Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen gesondert zu gucken?
Das Dunkelfeld der Übergriffe ist nach wie vor sehr groß. Wenn wir auf Infoveranstaltungen erklären, was wir machen, sagen meist mehrere der Anwesenden, ja klar, das ist mir auch schon mal passiert. Deshalb dokumentieren wir die Vorfälle. Denn wir hören immer: „Die Zeiten werden härter.“ Aber wir haben es nicht greifbar, wir brauchen dazu Zahlen – auch um Maßnahmen und Gewaltprävention anbieten zu können.
Würden Sie denn sagen, dass homophobe Gewalt zunimmt?
Ich habe den Eindruck, dass sich die veränderte politische Situation auch auf der Straße zeigt, man ist nicht mehr so offen für alles, was an Menschen durch die Welt läuft – und dass damit auch homophobe Gewalt zunimmt, ja. Wir müssen Frauen darin bestärken, das, was sie erlebt haben, ernst zu nehmen, weil sie selbst es oft bagatellisieren. Sie sagen sich, na ja, dann hat der mich Scheißlesbe genannt und mich mal kurz geschubst. Viele gehen davon aus, dass es nicht wichtig genug ist. Das ist auch Teil unserer Arbeit: zu sagen, dass es wichtig ist und nicht in Ordnung, wenn jemand so mit dir umgeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern