Homeschooling im Homeoffice: Hausgemachter Wahnsinn

Homeschooling ist hart – für Kinder und Eltern. Inzwischen hat wohl jedeR die eine Geschichte darüber zu erzählen. Ein „Best of“ aus der Redaktion.

Ein Kind mit Laptop sitzt an einem Wohnzimmertisch, im HIntergrund die Mutter

Wäre es rein freiwillig, wäre vielleicht mehr Spaß dabei: Kind mit einer Lern-App Foto: dpa

Das liegende Klassenzimmer

Ab und zu höre ich aus dem Zimmer meines Sohnes die Zurechtweisung einer Lehrkraft, ansonsten scheint die Stimmung von Minute zu Minute zu steigen. Lautes Lachen und konzentrierte Nachfragen wechseln sich ab, Stimmendurcheinander, es klingt fast wie auf einer Klassenfahrt. Die Inhalte scheinen auf das Wesentliche reduziert, vor allem das Zusammensein zählt, jede und jeder kommt mal dran.

Werfe ich einen Blick ins Zimmer, bekomme ich eine Geste, die sagt: „Ich bin gerade in einem wichtigen Meeting, was willst du?“ Im Schlafoutfit und mit Mütze sitzt, nein, liegt mein 14-jähriger Sohn mit Rechner auf dem Sofa und ist voll dabei. Drumherum stapeln sich Müslischüsseln, Tassen, Obstreste und leere Süßigkeitenverpackungen.

Geht Unterricht auch, wenn man morgens einfach liegen bleibt? Anscheinend schon, zumindest solange alles online abläuft – und die Kamera ausgeschaltet ist, versteht sich.

Bis zum 14. Februar bleiben die Schulen in Berlin "grundsätzlich geschlossen". Das hat der Senat auf einer Sondersitzung in der vergangenen Woche vereinbart. Damit hält Berlin sich an die Linie, die die MinisterpräsidentInnen mit der Bundeskanzlerin am 19. Januar beschlossen haben. Seit Beginn des zweiten Lockdowns vor den Weihnachtsferien sind die Berliner SchülerInnen damit mindestens zwei Monate im Homeschooling.

Abschlussklassen dürfen weiter, wenn Schulen möchten, in Kleingruppen stundenweise in die Schule kommen.

Die Winterferien beginnen in Berlin am 1. Februar. Zeugnisse soll es danach geben. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will als erstes wieder die jüngeren Grundschulkinder in den teilweisen Präsenzunterricht zurückholen. (akl)

Erik Irmer

Beim Satz des Pythagoras

„Zur Wiederholung des Satzes von Pythagoras bastelt bitte eine Pyramide mit quadratischer Grundfläche. Welche Seitenlängen die Grundfläche hat, ist euch überlassen, die Pyramide soll aber genau 12 cm hoch sein. Nehmt wenn möglich festeres Papier, denkt an die Klebelaschen, arbeitet sauber und exakt und macht sie schön bunt.“ Mein 14-Jähriger sitzt völlig paralysiert vor dem Bildschirm. „Alter, das meint die nicht ernst!“ „Die“ ist seine Mathelehrerin.

Seit der Grundschule geht das so mit dieser – benoteten – Bastelei in allen Fächern. Dass es uns jetzt am Gymnasium ereilt, hatte ich nicht erwartet.

Es war der erste Monat Homeschooling, ich habe das noch alles sehr ernst genommen. Mithilfe eines „Pyramidenrechner“ im Internet haben wir irgendwann herausgefunden, wie es geht. Weil alle Läden dicht waren, mussten wir das feste Papier aus dem Container hinterm Haus holen. Das Ganze musste dann fotografiert und hochgeladen werden. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben – die Lehrerin hat sich nie zurückgemeldet. Das nehme ich ihr bis heute übel. Gaby Coldewey

Noch ein Butterbrot, bitte!

Homeschooling ist klasse. Der Tag beginnt mit stundenlanger Verspätung. Statt der sonstigen Hektik ab 6.30 Uhr mit Frühstück, Badstress, Anziehen, Loslaufen ist entspanntes Frühstücken im Familienkreis angesagt. „Kann ich noch ein Brot haben?“ – „Klar, wir haben doch keinen Stress.“ Schulbeginn, offiziell von den LehrerInnen empfohlen: 9 Uhr.

Dann die ersten beruflichen Mails, eine Zoom-Konferenz, daneben Mathetricks für die Subtraktion erklären. Zweite Zoom-Runde beim Kind, inklusive English „do and doesn’t“. Noch ein paar Mails, ein beruflicher Anruf, 15 Minuten Deutschdiktat 5. Klasse, Anruf der Lehrerin, erste Wortmeldung „Wir haben Hunger!“ Kochen, „Hofpause“, also kurzer Sprint auf den Spielplatz, schneller Blick auf die fertigen Übungsblätter, noch ein paar Mails und Anrufe. Gegen 15.30 Uhr: Kaffeepause fast in Ruhe.

Und dabei feststellen, dass ich heute noch nicht die Zähne geputzt habe. Nächster Tag. Gleiches Programm. Bert Schulz

Morgens im Papierstau

An Tag eins im zweiten Lockdown muss das Kind gleich „mal schnell“ was ausdrucken. „Darf ich kurz, Mama?“, fragt der Sohn, 6. Klasse, und schiebt den bereits geöffneten Familienlaptop neben meinen Arbeitsrechner. Zwei leuchtende Bildschirme morgens um neun Uhr, dazu das blinkende Smarthphone sind nicht das, was ich an einem Montag (noch zwei Zoom-Konferenzen heute!) in der Früh brauche.

Es geht natürlich nicht „mal ganz schnell“. Erst muss unser Drucker-Dinosaurier an den Laptop angeschlossen werden. Dafür muss man kompliziert unter den Schreibtisch krabbeln und irgendwelche Kabel umstecken und sich dabei den Kopf stoßen. Weil bei uns in der Familie das letzte Mal zu Studienzeiten jemand so etwas wie Homeoffice gemacht hat und sich seitdem nie mehr jemand um einen funktional organisierten Schreibtisch kümmern musste.

Der Drucker kommt planmäßig in Fahrt, rattert und röhrt. Dann Papierstau. 20 Minuten versuche ich den zu beheben, das Kind ist verzweifelt, es muss gleich „was hochladen“ auf die Online-Lernplattform. Der Kleine schlendert rein, Kita sind wir hier ja auch noch. „Was macht ihr da?“

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich vermute, es nennt sich Homeschooling.

Anna Klöpper

Stresstest

Am Abend kommt eine Mail der Klassenlehrerin. Darin der Satz: „Anders als als im vergangenen Schuljahr werden nicht oder zu spät erbrachte Leistungen mit 0 Punkten bewertet.“

Erster Impuls: Schuldbewusstsein. Wie oft stand der Sohn neben mir: „Mama, kannst du das noch einscannen?“ Und ich so: „Gleich, mein Schatz, bin hier gerade in einer Videokonferenz.“ Und dann habe ich es doch erst am nächsten Tag geschafft und manchmal, tja, auch vergessen.

Zweiter Impuls: Nachfrage. „Sag mal, hast du neulich eine Sechs bekommen?“ Hat er. In Bio. Weil er die Aufgabe zu spät abgegeben hatte. Dritter Impuls: Wut. Gepfefferte E-Mail aufgesetzt. Tenor: Kannjawohlnichtwahrsein! „Fühle mich von der Schule und meinen Sohn unter Druck gesetzt, das Internet schwächelt, kein Endgerät und überhaupt: Videokonferenzen wären auch mal schön.“ Die anderen Eltern gleich in cc gesetzt und abgeschickt.

Am nächsten Abend kommt ein Anruf der Lehrerin. Wieso ich die Mail gleich an alle Eltern schicken musste, man gebe sich solche Mühe, stehe mit allen Schülern in Kontakt, und wegen der Videokonferenzen: Man soll den Lehrern doch einfach ein wenig mehr Zeit geben. „Sehen Sie“, sage ich, „Sie den Schülern aber auch. Ich verteile ja auch keine Sechsen.“ Wir telefonieren noch eine halbe Stunde und erzählen uns, wie außergewöhnlich die Lage ist und wie belastet wir jeweils sind.

Vierter Impuls: Reue. Die Frau ist am Limit, merke ich. Dann legen wir auf. Wir müssen schließlich an diesem Abend beide noch arbeiten. Anna Lehmann

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