Hologramme sind der neue Trend: Digitale Doubles
Politiker und andere Prominente lassen sich als dreidimensionale Hologramme auf Bühnen projizieren. Was macht das mit dem analogen Zuschauer?
Bei der diesjährigen französischen Präsidentschaftswahl wartete die linke Partei „La France insoumise“ mit einem besonderen technischen Spektakel auf: Ein gelb-türkiser Spiralnebel erleuchtete die Bühne und plötzlich stand da der Spitzenkandidat Jean-Luc Mélenchon auf der Bühne. Aber nicht der echte, sondern ein Double. Genauer gesagt: ein Hologramm.
Während der leibhaftige Mélenchon in Lille redete, wurden die Live-Bilder an 11 anderen Wahlkampforten in Frankreich auf einen Bildschirm projiziert, wo sie von einem transparenten Film in einem Neigungswinkel von 45 Grad reflektiert wurden. So entstand die Illusion einer dreidimensionalen Figur, die das Publikum glauben ließen, da stünde der echte Mélenchon. Mit der Technik, die bereits im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 zum Einsatz kam, konnte sich der Spitzenkandidat von „La France insoumise“ quasi vervielfältigen und simultan auf zwölf Bühnen stehen. Was im physischen Raum nicht möglich ist, wird im hybriden digitalen Raum zur Realität: Multilokalität.
Jean-Luc Mélenchon ist nicht der einzige Politiker, der sich digital verdoppeln ließ. So erschien kürzlich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bei Tech-Konferenzen als Hologramm. Der indische Premierminister Narendra Modi und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan traten vor ihren Wählern ebenfalls als 3D-Figur auf (letzterer ließ sich, recht unbescheiden, auf das überdimensionierte Format von drei Metern Körperlänge vergrößern).
Und auch die Queen präsentierte sich bei den Feierlichkeiten zu ihrem 70. Thronjubiläum als Hologramm: Aus der goldenen Kutsche winkte die junge Königin aus dem Jahr 1952. Dass die Menge einem Hologramm zujubelte, das ungefähr so authentisch wirkte wie die 3D-Sammelkarten aus dem Souvenirshop, fanden einige Beobachter irritierend – als würde da eine Retro-Show aus den 50er Jahren ablaufen. War das echt? Fake? Oder gar eine Simulation?
Original oder Kopie?
Der französische Philosoph Jean Baudrillard meinte, dass wir in einer Hyperrealität lebten, in der sich das Original von der Kopie schon gar nicht mehr unterscheiden ließe. Und der Medientheoretiker Paul Virilio sprach im selben postmodernen Fahrwasser von einer „Ästhetik des Verschwindens“: Durch die immer höheren Übertragungsgeschwindigkeiten elektronischer Medien löse sich die „Präsenz des Objekts in Echtzeit“ auf, trete die Virtualität an die Stelle der Aktualität.
Gewiss, auch klassische Medien wie das Fernsehen operieren mit der räumlichen Illusion, dass man direkt vor dem Tisch des Nachrichtensprechers sitzt. Trotzdem blendet man diesen Effekt aus. Nur ein Kind würde wohl auf die Idee kommen, hinter dem Flimmerkasten nachzuschauen, ob da wirklich jemand ist. Doch gegenüber zweidimensionalen Fernsehgesichtern besitzen Hologramme und Avatare eine gewisse Plastizität. Wer den virtuellen Mélenchon gesehen hat, wird später nicht sagen, dass er auf einer Public-Viewing-Veranstaltung gewesen sei, genauso wie die Besucher der Abba-Hologramm-Show nicht berichten werden, dass sie eigentlich nur einen Film aus der Konserve gesehen hätten.
Digitalität erzeugt – und darin besteht ihre immanente Paradoxie – trotz ihrer Körperlosigkeit eine neue Körperlichkeit, die in gewisser Weise über unsere physische Daseinsform hinausgeht. So wurden verstorbene Künstler wie der Rapper Tupac oder die Sängerin Amy Winehouse als Hologramme auf Bühnen projiziert, was eine ethische Debatte darüber auslöste, ob man Menschen nach ihrem Ableben digital reanimieren darf.
Es ist ja schon ein wenig gruselig, wenn da ein Toter auf der Bühne steht, vor allem, wenn dies als Live-Performance inszeniert wird. Andererseits können digitale Revivals auch eine Form der Trauerbewältigung sein. So hat in Südkorea eine Mutter ihre verstorbene Tochter in der virtuellen Realität als Avatar „wiedergetroffen“. Es sind rührende Szenen, wie die Mutter mit den Datenhandschuhen über die Wangen des Mädchens streicht und mit ihm Geburtstag feiert. Durch die Immersion entsteht der Eindruck, dass man diesen – fiktiven – Moment jetzt gerade mit seinem Körper erlebt. Was die Frage aufwirft, ob durch die Virtualisierung unserer Lebenswelten auch die Wirklichkeit zur Fiktion gerät.
Skurrile Beziehungen
In Japan hat vor ein paar Jahren ein Mann das Hologramm der virtuellen Sängerin Hatsune Miku geheiratet. Das Cyberwesen „lebt“ seitdem als Hologramm in einem Glaszylinder, einer sogenannten „Gatebox“. Der 1300 Dollar teure Projektor von der Größe einer Tischlampe ist so programmiert, dass er mithilfe von Sensoren die Anwesenheit des Ehemanns erkennt. Wenn der Mann von der Arbeit nach Hause kommt, schaltet die Cyberfrau das Licht ein, morgens weckt sie ihn. Fiktosexualität nennt man das Phänomen, wenn Menschen fiktive Charaktere lieben. Wer, wie viele Menschen in Japan, dem Animismus anhängt und glaubt, dass Gegenstände wie Steine belebt sind, braucht nicht viel Fantasie, um sich digitale Entitäten als lebendige Figuren vorzustellen.
Die skurrile Beziehung sagt viel aus über die Einsamkeit in einer kalten Digitalmoderne (die ja nicht nur in Japan ein Problem ist), in der sich Menschen immer häufiger über Bildschirme begegnen. In einer Welt des „Social Distancing“, in der Kontaktlosigkeit das Gebot der Stunde ist (kontaktloses Bezahlen, kontaktloser Check-in, kontaktlose Lieferung), und der algorithmisch vorgespurte öffentliche Raum von immer mehr Automaten bevölkert ist, kommt man sich auch als sehr analoger Mensch zuweilen wie ein Hologramm vor: transparent, gläsern, unnahbar und seltsam zweidimensional. Als wäre man bloß die Abziehfolie seiner Selbst, ein Profilbild mit zwei Beinen, das laufend gescannt wird.
Nach Mélenchons „Multimeeting“ fanden sich auf Twitter einige sarkastische Kommentare, wonach der Linkspopulist als Präsident sein Hologramm zum Premierminister ernennen oder 2044 als holografisches Abbild in den Elysée-Palast einziehen könnte. Das wäre die perfekte Verdopplung der Wirklichkeit. Bis dahin müsste man nur noch klären, ob man die 2017er- oder die 2022er-Version von Mélenchon verwendet.
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