piwik no script img

Holocaustgedenkstätte Yad VashemEffi aus Israel

Ob Jana aus Kassel oder der ultrarechte Effi Eitam, der Leiter der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem werden soll: Erinnerungspolitik kann jeder machen.

Effi Eitam im blauen Hemd als Infrastrukturminister in der illegalen Siedlung Mitzpeh Assaf, 2002 Foto: AP

E rinnerungspolitik ist eigentlich ganz einfach, könnte man meinen. Folgt man Theodor W. Adorno, ist ihre einfachste Definition, Erziehung so einzurichten, dass sich Auschwitz nicht wiederhole, nichts Ähnliches mehr geschehe. Eine Forderung, die so offenkundig ist, dass der Philosoph schon die Frage nach ihrer Begründung als Fortsetzung des Unheils empfand.



Erinnerungspolitik ist gleichzeitig sehr kompliziert – sofern sie eben das ist: Politik. Die vor Kurzem gestorbene Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger prägte den Begriff „KZ-Kitsch“, als sie inhaltsleere ­Erinnerungsrituale und Instrumentalisierungsversuche der Schoah kritisierte. Ein Glück, dass sie nicht erleben musste, wie sich aktuell eine Jana aus Kassel als Sophie Scholl inszeniert und ein Mädchen aus Karlsruhe glaubt, wie Anne Frank zu leben, weil ihr Geburtstag im kleinen Kreis gefeiert werden musste.

Die Erinnerungspolitik ist ein Meer, in dem Fische aller Sorten schwimmen, linke, rechte, Querdenker und Veganer gleichermaßen. So wurde der AfD-nahe Siegfried Reiprich zum Vorsitzenden der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten, der #Black­Lives­Mat­ter-­Proteste in Stuttgart mit der „Kristallnacht“ verglich. Man denke auch an die Nichtjüdin Lea Rosh, die Initiatorin des Berliner Holocaustmahnmals, die eine Einmischung jüdischer Organisationen empört zurückwies, als sie mit der geschmacklosen Idee aufwartete, im Stelenfeld einen Backenzahn zu beerdigen. „KZ-Kitsch“ produzierte auch ein linkes Künstlerkollektiv, das angebliche Asche von Holocaustopfern vor dem Bundestag zur Schau stellte.

Die Instrumentalisierung der Holocausterinnerung ist aber keinesfalls eine deutsche Erfindung. In Israel erleben wir seit Jahrzehnten, wie die „Lehre“ aus der Schoah als Begründung für nationalistische und rassistische Ideologie verwendet wird. Der aktuelle Plan des israelischen Premiers Netanjahu, den ultrarechten Effi Eitam zum Vorsitzenden von Yad Vashem zu ernennen, ist eine Sternstunde dieser Ideologie.

Was Eitam für diese Stelle qualifiziert? Er hat sich noch nie mit Holocaustforschung oder Erinnerungskultur beschäftigt. Ihm gebührt nur ein über Jahrzehnte erarbeiteter Ruf als Araberhasser. Unter Befehl des Kommandanten Eitam wurde während der ersten Intifada ein palästinensischer Zivilist zu Tode geprügelt. Arabische Israelis seien „eine tickende Bombe innerhalb der Grünen Linie“ und eine „tückische Bedrohung wie Krebs“, sagte er. Mehrfach forderte er ihre Vertreibung aus Israel und aus „Judäa und Samaria“ (wie er die besetzten Gebiete nennt).

Die Vorstellung, dass die wichtigste Holocaustgedenkstätte der Welt, Yad Vashem, künftig von einem Rechtsextremen geleitet werden könnte, ist so aberwitzig, dass auch der Protest dagegen eigentlich keiner Begründung bedürfte. Und das ist nicht nur eine inner­israe­lische Angelegenheit: Yad Va­shem definiert sich als internationale Holocaustgedenkstätte und beansprucht für das „jüdische Volk“ zu sprechen, also auch im Namen aller Jüdinnen und Juden in Deutschland, auch in meinem.



Zahlreiche jüdische Organisationen haben gegen diese Ernennung protestiert, darunter die Anti-Defamation League und der Dachverband israelischer Holocaustüberlebender. Auch ich habe mich einem entsprechenden Aufruf angeschlossen. Für mich als Israeli fühlt sich die Berufung Eitams ungefähr so an, als würde die Gedenkstätte Buchenwald künftig von Björn Höcke geleitet.



Als ich mit meiner Familie in Israel über die Personalie Eitam gesprochen habe, war die Resonanz erstaunlich leise. Auch in der israelischen Öffentlichkeit wird wenig darüber gesprochen. Man hat sich schon so sehr an die populistischen Eskapaden Netanjahus gewöhnt, dass selbst in linken Kreisen abgewunken wird. Das ist der Trump-Effekt: Ständige Provokationen ermüden – und senken die Widerstandskräfte.

Erinnerungspolitik ist kompliziert, in Israel wie in Deutschland. Sie ist gleichzeitig einfach: Alle finden darin etwas wieder. Sie hat Platz für eine Jana aus Kassel, die sich für Sophie Scholl hält, und für einen Effi Eitam, der mit Nazijargon gegen israelische Bürger wettert. Allerdings: Ob eine Erinnerungskultur, aus der wirklich jede Weltanschauung etwas Positives für sich beziehen kann, Adornos Forderung noch Genüge tut, das weiß ich wirklich nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Meron Mendel
Meron Mendel ist Pädagoge, Historiker und Publizist. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Progressive Juden sollten Israel aufgeben: Failed State mit lustigem Folklorefaktor. Frei nach 'nem Hit der 70s-Band 10cc: Schläfenlock Holiday...

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      welches land würden sie als alternative empfehlen, wo jüd!nnen halbwegs sicher sein können, vor antisemitismus und antisemit!nnen ernsthaft geschützt zu werden? in welchem westlichen land gibt es keine welle mörderischen antisemitismus?

      ps grüsse an jim hawkins, pegida hat leider längst ihre mission erfüllt

      • @90564 (Profil gelöscht):

        Es gibt viele Länder als Alternativen: de.statista.com/st...waehlten-laendern/

        • 9G
          90564 (Profil gelöscht)
          @Linksman:

          hahaha, ich weiss, dass es "andere länder" gibt, aber sie vergessen die formulierte bedingung, wir haben in deutschland eine welle antisemitischer gewalt, wir haben ein frankreich eine antisemitische welle, wir haben in den UK eine antisemitsche welle, wir haben in ganz euroa eine antisemitische welle, wir haben in den usa eine antisemitische welle und israel ist der einzige staat der welt, wo jüd!nnen jüd!nnen vor antisemitschem terror beschützen und jüd!nnen eben NICHT auf die "gnade" der mehrheitsbevölkerung angewiesen sind

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich war 1985 in Yad Vashem. Es fällt schwer, die Tränen zu unterdrücken. Wer da Leiter ist, das ist Sache Israels. Mich geht das nichts an.

  • Zitat: „Ob eine Erinnerungskultur, aus der wirklich jede Weltanschauung etwas Positives für sich beziehen kann, Adornos Forderung noch Genüge tut, das weiß ich wirklich nicht.“

    Das ist kein großes Wunder, finde ich. Denn diese Frage lässt sich nicht einfach mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Die Frage ist einfach verkehrt gestellt. Gefragt werden sollte nicht „ob“, sondern wann „eine Erinnerungskultur, aus der wirklich jede Weltanschauung etwas Positives für sich beziehen kann, Adornos Forderung noch Genüge tut“.

    Momentan offenbar nicht. Momentan führt Erziehung (auch die zum Antifaschismus) offenbar eher dazu, dass (auch) Weltanschauungen entstehen, die das Erinnern nur missbrauchen können. Weil sie schlicht implodieren würden unter dem Druck der eigenen Unmenschlichkeit, wenn sie ernsthaft über sich nachdenken würden.

    Nein, Erziehung ist längst noch nicht so eingerichtet, dass sich Auschwitz nicht wiederholen kann. Und zwar auch deswegen nicht, weil Auschwitz mit Dan Diner als „Zivilisationsbruch“ aufgefasst wird, nicht als extreme Ausformung dessen, was hier und heute immer noch als Zivilisation gilt. Der Nationalsozialismus hat(te) ja schließlich Ursachen, nicht nur Auslöser und Profiteure.

    Das Erziehung zur Menschlichkeit immer noch zu oft versagt, ist allerdings nicht Adornos Schuld. Folgt man Adorno, gibt es gar keine einfachen Definitionen. Das halten seine Fans bloß nicht gut aus. Sie wollen Sicherheit, und zwar ein bisschen plötzlich. Sie wollen Adorno folgen, ohne dabei all zu viel denken zu müssen. Sie wollen Instant-Adorno, Fastfood-Adorno, Adorno zum zitieren. So einen Adorno gibt es allerdings nicht.

    Halbwegs fehlerfrei denken ist Schwerstarbeit. So etwas geht nicht nebenbei. So wenig, wie man fehlerfrei Kinder erziehen kann nebenbei. Vernunft ist ein Profi-Vollzeitjob, wenn auch ein lausig bezahlter. Die Frage aber, ob dieser Behauptung begründbar ist, lässt sich als Fortsetzung des Unheils empfinden, das 1933 begonnen hat.

  • .... Für mich als Israeli fühlt sich die Berufung Eitams ungefähr so an, als würde die Gedenkstätte Buchenwald künftig von Björn Höcke geleitet.....

    Diesen Satz kann ich verstehen und mich ihm anschließen.

    Ich habe als Jugendlicher und Erwachsener Buchenwald besucht, Betrachtungen aus zwei Systemen zum Thema Buchenwald erlebt.

    Mit der Person Effi Eitam habe ich mich jetzt beschäftigt .

    AFD- Kultur der Schande-Ultrarechte Effi Eitam.

    Ich finde es kann nicht jeder Erinnerungspolitik machen.

  • Danke für den Artikel. Hoffen wir mal, dass der Protest gegen die Ernennung Eitams fruchtet.

    Was die Corona-Leugner und ihre durchgeknallten Nazi-Opfer-Vergleiche angeht, wage ich zu hoffen, dass sich dieses ganze Elend durch seine fortschreitende Radikalisierung weiter isoliert und möglicherweise marginalisiert.

    Wer redet heute noch groß von Pegida?