Hochwasser in West- und Süddeutschland: Milliarden-Schaden für Versicherer
Die Versicherungen rechnen nach der Flutkatastrophe mit Schadenszahlungen von rund fünf Milliarden Euro. Das Kabinett beschließt derweil Nothilfen für Flut-Opfer.
Bis zu fünf Milliarden Euro Schaden für Versicherer
Die deutschen Versicherer müssen nach ersten Schätzungen des Branchenverbandes GDV bis zu fünf Milliarden Euro für die Schäden zahlen, die das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz angerichtet hat. „Wir rechnen momentan mit versicherten Schäden von vier bis fünf Milliarden Euro“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, am Mittwoch. Die Schäden in Bayern und Sachsen seien dabei nicht eingerechnet.
Das Tief „Bernd“ wäre damit die teuerste Naturkatastrophe in Deutschland in diesem Jahrtausend. Die Schäden dürften sogar noch über den 4,65 Milliarden Euro liegen, die das Hochwasser an Elbe und Oder im August 2002 verursacht hatte. „Insgesamt dürfte dieses Jahr mit Stürmen, Überschwemmungen, Starkregen und Hagel zum schadenträchtigsten Jahr seit 2002 werden“, sagte Asmussen. Damals hatte der versicherte Schaden aus Unwettern bei 10,9 Milliarden Euro gelegen. (rtr)
Kabinett beschließt 200 Millionen Euro Nothilfe
Die Bundesregierung hat eine Woche nach dem Beginn der Hochwasserkatastrophe eine Soforthilfe von 200 Millionen Euro beschlossen. Mittel in derselben Höhe sollen die betroffenen Länder beisteuern, sodass insgesamt bis zu 400 Millionen Euro bereit stehen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) machte anschließend deutlich, dass der Bund bei Bedarf auch mehr Geld zur Verfügung stellen werde. „Wir werden das tun, was erforderlich ist.“
„An Geld wird es nicht scheitern“, betonte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). „Dafür zahlen die Leute ja Steuern, dass ihnen in solchen Situationen geholfen wird.“
Außerdem ist ein milliardenschwerer Aufbaufonds geplant. Der Aufbau werde Jahre in Anspruch nehmen, sagte Scholz. Über die genaue Höhe des Fonds soll erst entschieden werden, wenn das Ausmaß der Schäden besser absehbar ist. Scholz wies aber darauf hin, dass beim letzten Hochwasser bis heute für den Wiederaufbau rund sechs Milliarden Euro ausgegeben worden seien. Der Bund werde auch in diesem Fall die Hälfte davon zur Verfügung stellen. Mit dem Wiederaufbau solle jetzt sofort begonnen werden. „Es gibt also nichts, womit man zögern muss. Die Zusage, die wir jetzt geben wollen, ist, dass diese Aufbauhilfe gleich beginnen kann.“
Scholz betonte, dass der Wiederaufbau unbürokratisch geschehen soll. „Wir wollen das ohne neue planrechtliche Regelungen machen. Wenn eine Brücke wieder hergestellt werden muss, wenn ein Haus wieder neu gebaut werden muss, wenn eine Schule wieder neu gebaut werden muss, muss man nicht ein neues Planfeststellungsverfahren auf den Weg bringen.“ (dpa)
Kaum noch Hoffnung für Vermisste
Die Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner, sieht kaum Chancen, knapp eine Woche nach den Überschwemmungen im Westen Deutschlands noch Überlebende zu finden. „Wir suchen aktuell noch nach Vermissten, etwa beim Räumen der Wege oder Auspumpen der Keller“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Zu diesem Zeitpunkt ist es aber leider sehr wahrscheinlich, dass man Opfer nur noch bergen kann, nicht mehr retten.“
Die Zahl der Hochwasser-Todesopfer war innerhalb einer knappen Woche bis zum Dienstag auf mindestens 170 gestiegen. Aus Rheinland-Pfalz wurden 122 und aus Nordrhein-Westfalen 48 Unwetter-Tote bestätigt. Auch am Dienstag wurden noch Menschen vermisst – allein 155 im besonders betroffenen Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz. Rund 40.000 Menschen galten dort als betroffen von den Folgen des verheerenden Hochwassers und der Flut.
THW-Vize Lackner warnte vor schnellen Schuldzuweisungen, wonach ein besseres Warnsystem Tote hätte verhindern können. „Natürlich werden wir die Abläufe aufarbeiten müssen. Aber ich finde diese Debatte drei bis vier Tage nach der Katastrophe unglücklich.“ Sie riet davon ab, „jetzt von Versagen zu sprechen und Schuldige zu suchen“. Nach wie vor stünden viele Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz, viele Maßnahmen der Unterstützung liefen noch.
Künftig benötige man wieder mehr bewährte Alarmsysteme, so Lackner. „Wieso nicht mit Lautsprechern vor Ort auf den Straßen warnen, wie zum Beispiel auch bei einem Bombenfund? Auch viele Sirenen sind in den letzten Jahren abgeschafft worden, die braucht es.“ (dpa)
Kabinett tagt zu Flutkatastrophe
Eine Woche nach Beginn der Hochwasserkatastrophe will die Bundesregierung an diesem Mittwoch millionenschwere Soforthilfen auf den Weg bringen. Damit sollen die schlimmsten Schäden an Gebäuden und kommunaler Infrastruktur beseitigt und besondere Notlagen überbrückt werden. Insgesamt geht es um etwa 400 Millionen Euro, die je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden sollen. Außerdem ist ein milliardenschwerer Aufbaufonds geplant. Über dessen Höhe soll erst entschieden werden, wenn das Ausmaß der Schäden genauer absehbar ist.
Die Katastrophe ist am Mittwoch zum ersten Mal Thema im Bundeskabinett. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagten den Flutopfern bereits unbürokratische Hilfen zu. „Ich hoffe, dass das eine Sache von Tagen ist“, sagte Merkel am Dienstag bei einem Besuch im stark zerstörten Bad Münstereifel. Finanzminister Scholz versprach in der Rheinischen Post: „Der Bund wird alles tun, um alle Betroffenen schnell und möglichst unbürokratisch zu unterstützen.“
Nordrhein-Westfalen wird nach Angaben von Ministerpräsident Armin Laschet 200 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Der Bund habe zugesagt, die Landeshilfe zu verdoppeln, sagte der CDU/CSU-Kanzlerkandidat am Dienstagabend im ZDF-“heute journal“. Manche Kommunen hätten bereits mit der Auszahlung von Bargeld begonnen. Zuvor schon hatte Rheinland-Pfalz Soforthilfen bis zu 3.500 Euro pro Haushalt beschlossen. Bayern will 50 Millionen Euro für Hochwasseropfer im Freistaat bereitstellen.
Das Kabinett will außerdem den ersten Teil einer neuen Strategie für den Bevölkerungsschutz beschließen. Zunächst soll eine „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ aufgebaut werden. Mittelfristig soll aber auch die Vorsorge für Krisen wie Hochwasser und größere Brände verbessert werden. Geplant ist ein gemeinsames Krisenzentrum von Bund und Ländern, in dem auch Hilfsorganisationen mitwirken.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sprach sich in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv ebenfalls für eine baldige Auszahlung der Hilfen aus. Damit Betroffene „nicht monatelang“ warten müssten, solle es eine Sondersitzung des Bundestags geben. FDP-Chef Christian Lindner forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe einen Aufbaufonds in Milliardenhöhe wie nach der Hochwasserkatastrophe 2013.
Insolvenzverwalter hatten zudem eine Aussetzung der Insolvenzpflicht gefordert, um Unternehmen zu entlasten. Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner betonte, durch das Hochwasser hätten viele Firmen große Schwierigkeiten, rasch zum normalen Betrieb zurückzukehren. „Wenn Menschen in den Hochwassergebieten ihr Hab und Gut verloren haben, sollen sie nicht auch noch um den Arbeitsplatz bangen.“ (dpa)
Debatte um Warnungen per SMS
Inzwischen gibt es auch eine Debatte, ob die Bevölkerung mit SMS-Warnmeldungen aufs Handy besser geschützt werden könnte. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sagte der Bild: „Wir brauchen ein passives System zum Bevölkerungsschutz, das auch warnt, ohne dass man eine App aktiv herunterladen muss.“ Dazu wird in anderen Ländern ein System namens Cell Broadcast benutzt. Die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg sprach sich im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) für die schnelle Einführung auch in Deutschland aus.
Der Präsident des Städtetags, Burkhard Jung, warnte unterdessen vor einer Zentralisierung der Kompetenzen beim Katastrophenschutz. „Wir warnen vor unüberlegten Schnellschüssen. Die föderale Struktur mit den unterschiedlichen Rollen von Bund, Ländern und Kommunen bleibt richtig, weil Katastrophen vor Ort auftreten und rasch bewältigt werden müssen“, sagte Jung der Rheinischen Post. (dpa)
Altmaier: „Am Geld wird es nicht scheitern“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier unterstreicht, dass bei den geplanten Hilfen nach dem Hochwasser erstmals auch die Überbrückung von Umsatzausfällen möglich sein soll. Die Einzelheiten, ob die Corona-Flut-Pauschale tatsächlich auf 10.000 Euro pro geschädigtes Unternehmen begrenzt wird oder ob es eine andere Regelung geben werde, wolle der Bund in den nächsten vier bis fünf Tagen mit den Ländern regeln, sagt der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.
„Wir werden heute Klarheit schaffen, dass es am Geld nicht scheitern wird.“ Die Inhaber von Restaurants, Cafés oder Friseurbetrieben sollten am Ende die Gewissheit haben, dass sie nicht durch die Katastrophe in die Insolvenz getrieben würden. (rtr)
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