Hochwasser in Slowenien: Viel Schaden und Hilfsbereitschaft
Der Zivilschutz hat beim Hochwasser in Slowenien gute Arbeit geleistet, sagen die Ortsansässigen. Aufatmen können sie noch nicht.
U rša Prevalnik, 44 Jahre alt, tiefe Augenringe, Jogginghose, steckt mitten in den Aufräumarbeiten. „Ich wünschte, Sie hätten unseren Ort vor der Katastrophe gesehen“, sagt sie. Dass es hier in Črna na Koroškem normalerweise beschaulich und idyllisch ist, lässt sich bestenfalls erahnen, daran ändert auch der strahlende Sonnenschein an diesem zweiten Augustwochenende nichts. Črna mit seinen rund 3.000 Einwohnern ist einer der am schlimmsten vom Hochwasser betroffenen Orte im Norden Sloweniens, das Anfang August diese Region traf.
Das Dorf nahe der österreichischen Grenze liegt zwischen bewaldeten Bergen und entlang dreier Bäche, die hier zusammenfließen. Auch anderthalb Wochen später und trotz des sommerlichen Wetters, das beim Trocknen hilft, ist hier nichts beim Alten. Und doch überwiegt der Zusammenhalt, der Trotz, das vage Gefühl, dass alles noch deutlich schlimmer hätte kommen können.
Schon die Anreise ist schwierig. Die direkte Straße von der nächstgrößeren Stadt Prevalje ist immer noch gesperrt, weswegen man einen großen und steilen Umweg über Österreich fahren muss. Kurz nach der Grenze kontrolliert die slowenische Polizei: Nur wer hier wohnt oder eine Berechtigung hat, darf dieser Tage passieren. Zu eng und kaputt ist die Straße noch, die nach Črna führt. Stellenweise fehlt die halbe Fahrbahn, sie stürzte mitsamt Leitplanken und einst tragenden Böschungen unter den Wassermassen zusammen.
Am Ortseingang kommt man kaum durch, Helfer queren beständig die Straße. Meterhoch türmt sich der mittlerweile weitgehend getrocknete Schlamm am Hauptplatz, darauf steht mehr schlecht als recht ein Radbagger, der das Erdreich unter sich wegbuddelt. Männer und Frauen stapfen in Gummistiefeln über den Platz, die Hände voll mit Arbeitsgerät, Unrat oder auch Kaffee für die vielen, die von außerhalb kommen, um zu helfen.
Arbeit gibt es an jeder Ecke
Die Stimmung ist geschäftig, jeder weiß, was zu tun ist. Arbeit gibt es an jeder Ecke: Es gilt, Keller zu trocknen, Unrat wegzubringen, Schlamm zu schaufeln, Böschungen zu reparieren, den Fluss wieder in sein Bett zu zwängen, Älteren bei Erledigungen zu helfen. Das Internet funktioniert noch nicht richtig, immerhin das Telefonnetz ist wieder stabil.
Adriatief Starke und anhaltende Regenfälle ließen Anfang August in Südösterreich und Slowenien Flüsse und Gewässer überlaufen. Es kam zu Überschwemmungen, Sturzfluten und Erdrutschen, Felder standen unter Wasser, Straßen und Gleise waren blockiert, Brücken wurden weggerissen, viele Dörfer mussten evakuiert werden oder waren von der Außenwelt abgeschnitten. Am stärksten betroffen ist Slowenien, wo ein Damm brach und mindestens sechs Menschen ums Leben kamen. Der Sachschaden allein in Slowenien wird auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Hilfe EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach dem kleinsten Mitgliedsland für dieses Jahr 100 Millionen Euro aus dem EU-Solidaritätsfonds und im kommenden Jahr weitere 300 Millionen für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. Außerdem könne das Land Mittel aus anderen Fonds umschichten.
Nachbarn In Österreich waren vor allem der Süden der Steiermark und Kärntens betroffen, ein Mann kam bei einem Sturz in die Glan ums Leben. Außerdem kam es zu mehr als 80 Hangrutschen, zuletzt am Montag in Bad Eisenkappel, wo immer noch einige Häuser abgeschnitten sind. Auch Kroatien kämpfte mit den Auswirkungen des Hochwassers in den Flüssen Drau, Mur und Save. Mehrere Orte mussten teilweise evakuiert wurden, unter anderem auch Drnje an der Grenze zu Ungarn. Auch der Zentralraum rund um Zagreb war betroffen. (taz)
Noch immer ist die Mieß oder Meža, wie der größte der hier aufeinandertreffenden Flüsse auf Slowenisch heißt, deutlich breiter, tiefer und wilder als normal. Bräunlich vom aufgewirbelten Erdreich strömt er am Ortskern vorbei. Kaum vorstellbar, wie es hier eine Woche zuvor ausgesehen haben muss, als das Wasser durch die Straßen schoss. Dabei hatten die Bewohner von Črna noch Glück im Unglück. Mindestens sechs Menschen verloren bei den Unwettern in Slowenien ihr Leben, vier ertranken, zwei wurden vom Blitz getroffen. Binnen weniger als 24 Stunden fiel so viel Wasser wie sonst im gesamten – typischerweise niederschlagsreichen – August.
Von der „schlimmsten slowenischen Naturkatastrophe aller Zeiten“ sprach der Premierminister, er schätzt die Schäden auf mehrere Milliarden Euro. Die Regierung machte erste Millionenbudgets frei, auch die EU reagierte schnell mit Sonderbudgets, nachdem Slowenien den europäischen Zivilschutzmechanismus aktiviert hatte. Offen bleibt, wann und wie schnell die Hilfsgelder bei den Betroffenen ankommen.
Kein Glück hatte die 24-jährige Kaja Hodnik. Sie war zum Zeitpunkt des Hochwassers bei ihrem Freund in einem anderen Dorf, das nicht betroffen war. „Ich hatte keine Vorstellung von dem Ausmaß der Zerstörung“, sagt sie. „Erst am nächsten Tag sah ich das Wasser 40 Zentimeter im Laden stehen.“ Ihr Friseursalon liegt ebenerdig, nur wenige Meter vom Fluss entfernt. Hodik hatte ihn erst vergangenen Oktober zur Miete eröffnet.
Versichert ist sie nicht, aber vielleicht helfen die Eigentümer finanziell. Auch ihr erstes Auto, das sie erst drei Wochen zuvor neu gekauft hatte, war halbvoll mit Wasser – Totalschaden. „Trotz allem hätte es schlimmer kommen können“, sagt Hodik. „Jetzt muss alles trocken werden, dann werde ich die Wände streichen und alles neu einrichten.“ Sie hofft, im September ihr Geschäft wieder aufzumachen.
Dass es nur zu Sachschaden in Črna kam, führen viele auf den starken Zusammenhalt in der Bevölkerung zurück. Noch bevor in der Nacht zum 4. August die Sirenen heulten, verständigten manche bereits die Nachbarn, dass es gefährlich werden könnte. Die ansonsten lieblich fließende Mieß, ein Nebenfluss der Drau und normal 30 bis 40 Zentimeter tief, verwandelte sich binnen weniger Stunden in einen reißenden Strom, dessen altes Flussbett nach kürzester Zeit nicht mehr erkennbar war.
Wachsame Bewohner
„Es war apokalyptisch“, sagt Urša Prevalnik. „Schlimmer als alles, das ich je gesehen habe, selbst im Film.“ Die 44-Jährige, die Englisch in einer Grundschule in einem anderen Ort fernab des Wassers unterrichtet, wohnt direkt am Fluss. Im Erdgeschoss lebt sie mit ihrem Mann, oben leben ihre Eltern. Prevalniks Mann ist Bergretter und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Er war am Abend der Katastrophe noch bei einem Einsatz, als es bereits stark regnete. Als er zurück ins Dorf kam, sah er den Flusspegel rapide ansteigen.
Er schlug Alarm und forderte seine Frau auf, eilig die wichtigsten Dinge einzupacken und ihre Eltern abzuholen. Wenig später, kurz nach Mitternacht, heulten die Sirenen. Keine Minute zu früh, denn kurz danach trat das Wasser über die Ufer. Ein Nachbar half mit einem Bagger, einen kleinen Wall aus Schutt und Erde aufzuschütten. So gewannen die umliegenden Bewohner ein paar Minuten und konnten sich in Sicherheit bringen. Am Morgen danach stand das Wasser 70 Zentimeter tief im Erdgeschoß.
Mittlerweile ist das Wasser abgeflossen, doch zwei Trocknungsgeräte werden Tag und Nacht in den nächsten Wochen laufen. Bis dahin kommen die Prevalniks bei den Nachbarn unter. „Črna, wir schaffen das gemeinsam“, hat Urša in großen Lettern auf ein Tuch gemalt und aufgehängt, als sie in einer der letzten Nächte nicht schlafen konnte. Aus Dankbarkeit. Und weil alle Zuspruch brauchen in diesen Tagen.
Auch das Städtchen Prevalje, 7.000 Einwohner und ein paar Kilometer weiter flussabwärts, wurde hart getroffen. Der Ort erstreckt sich entlang des Flusses, viele Wohnstraßen liegen etwas erhöht und blieben verschont. Die Häuser direkt am Wasser wurden schwer getroffen. Eines gleich am Ortsanfang ist komplett in sich zusammengestürzt. Die Bewohner, eine Familie mit drei kleinen Kindern, wurde nur Minuten davor mit dem Hubschrauber weggebracht, sagt Terezija Vivod. Sie ist die Leiterin der hiesigen Karitas-Ortsgruppe und war von Anfang an im Einsatz.
„So ein schlimmes Hochwasser hatten wir hier noch nie“, sagt Vivod. Heute ist ihr 66. Geburtstag, doch zum Feiern bleibt kaum Zeit. Erst in einem ruhigen Moment am späten Nachmittag wird ihr der Bürgermeister vor der Grundschule, die jetzt ein Zentrum für die vielen Freiwilligen geworden ist, einen Kuchen überreichen, sichtlich zu ihrer Überraschung.
Manja Tasič, Bürgermeister von Prevalje
Die Schule ist voller Freiwilliger, immer wieder kommen vollbeladene Transporter mit Spendengütern an, vor allem abgepacktes Wasser, aber auch Lebensmittel. Nur einen Supermarkt gibt es im Ortskern, dort standen sie in den ersten Tagen der Katastrophe anderthalb Stunden in der Schlange, berichtet Vivod.
Verunreinigtes Wasser
Auch Manja Tasič, der drahtige Bürgermeister, hat seit dem 4. August kaum geschlafen. „Es war das schlimmste Hochwasser seit hundert Jahren“, sagt er. Er wirkt müde, gleichzeitig aufgekratzt. Zu tun gibt es noch viel: Mehrere kleinere Straßen sind nicht befahrbar. Gasleitungen gingen kaputt, es gibt kein warmes Wasser.
Schlimmer noch: Das Leitungswasser darf derzeit nicht getrunken werden, es könnte verunreinigt sein. Einerseits durch Schwermetalle der vielen elektrischen Geräte, die unter Wasser standen. Andererseits, und das ist das größere Problem, wegen der überfluteten Kanalisation, die erst noch repariert werden muss. Vorerst stehen vielerorts große Trinkwassertanks sowie Dixi-Klos in den Straßen.
Die einzige Tankstelle im Ort ist nur eingeschränkt in Betrieb, weil die Böschung auf einer Seite abgestürzt ist. Und dann braucht es die Versorgung der rund 20 Familien, deren Häuser irreparabel zerstört sind. Die ersten ein, zwei Nächte verbrachten viele im Turnsaal der Grundschule, bevor sie bei Verwandten und Freunden untergekommen sind. In Slowenien sind noch zwei Wochen lang Sommerferien, bis Anfang September können die Familien in der Schule bleiben.
Eine offene Frage, die sich bald lauter stellen wird, ist, ob und wann die versprochenen Hilfsgelder des Staats fließen. Und zwar nicht nur in die Infrastruktur, sondern an Familien und Einzelpersonen. Viele haben alles verloren, doch auch wer lediglich den Keller auspumpen, wochenlang trocknen und neu einrichten muss, braucht viel Geld. Die allermeisten hatten keine Versicherung, die bei so einem Jahrhundertereignis greifen würde.
Gegen solche Ereignisse könne man sich gar nicht versichern, sagen manche. Das sind Fragen für später, noch geht es um Soforthilfe. Mitten in Prevalje baut ein Trupp des Technischen Hilfswerks (THW) mit rund 30 Helferinnen und Helfern eine Behelfsbrücke, die über Nacht von der Straße auf den Fluss gezogen wurde. Die Einwohner der anderen Seite der Mieß waren tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Es gab nur eine Auto- und zwei Fußgängerbrücken, alle drei wurden zerstört. Die ersten Hilfsgüter kamen per Helikopter, doch die werden in den kleinen Bergdörfern gebraucht.
Mittlerweile kann man die neue Brücke des THWs bereits zu Fuß passieren. Bald wird auch der Autoverkehr darüberrollen. Die Brücke ist ein Provisorium, so schnell wie möglich errichtet, gleichwohl massiv und beständig. „Sie hält Jahre, wenn man sie nur regelmäßig wartet und kontrolliert“, sagt THW-Sprecher Michael Walsdorf. Die Gemeinde will aber neu bauen, eines Tages, wenn die größten Schäden verdaut und alternative Querungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Flachere Hierarchien
„Es ist schön zu sehen, wie sehr hier alle zusammen helfen“, sagt Walsdorf. „Das ist in diesem Ausmaß nicht überall so.“ Auch die Zusammenarbeit mit dem lokalen Zivilschutz funktioniere sehr gut. „Die Hierarchien sind flacher und niedrigschwelliger als in Deutschland, das erleichtert die Arbeit. Und auch der EU-Krisenmechanismus erleichtert die Abläufe sehr.“
Walsdorf war schon bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal zugegen, punktuell seien die Schäden im Norden Sloweniens mindestens genauso groß wie 2021 in Rheinland-Pfalz. Die Niederschlagsmenge war damals sogar geringfügig höher. In der Region Koroška aber bietet sich den Helfern bei der Anreise lange Zeit kein Bild des Schreckens, erst im allerletzten Moment sieht man die Zerstörung. Die betroffenen Gemeinden liegen hier, im dünn besiedelten Slowenien, weiter auseinander. Dieser Tage baut der THW-Trupp noch eine zweite Brücke in der Region. Wie es dann weitergeht, hängt vom slowenischen Zivilschutz ab. „Wir helfen, wo wir können“, sagt Walsdorf.
Die internationale Hilfe, auch von anderen Organisationen, ist sehr willkommen, das sagt jeder im Ort. Überall hängen „Hvala“-Transparente, „Danke“, oft ergänzt mit Zeichnungen von Feuerwehrschläuchen und Lastautos. Die Menschen hier haben viel verloren, aber nicht ihren guten Willen.
Was kommt als nächstes ins Rutschen?
„Was uns wirklich fehlt, ist schweres Gerät“, sagt Romana Lesjak. Gemeint sind Bagger oder Caterpillars – die Bürgermeisterin von Črna beugt sich mit Vertretern ihres Krisenstabs über Karten und Pläne. Wo muss am dringendsten eine Straße geräumt werden? Welche Hänge könnten noch ins Rutschen kommen? Welche Wasserrohre sind kaputt? Was machen wir als Erstes, was muss warten?
Hunderte Entscheidungen jeden Tag. Weil das lokale Gemeindeamt zu klein ist, wurde der Krisenstab in einem gerade leerstehenden Wohnheim für psychisch Kranke eingerichtet. Sorgen bereitet Lesjak eine Verschlechterung der Lage, auch wenn das Schlimmste vorerst ausgestanden ist.
Erst am Montag kam es in Kärnten, nur wenige Kilometer entfernt und ebenfalls stark vom Hochwasser getroffen, zu einer Hangrutschung. Diese Gefahr besteht auch hier, vor allem wenn es wieder regnen sollte. Dies ist derzeit nicht in Sicht, aber auch der Herbst ist traditionell regenreich, deshalb gilt es so rasch wie möglich die Flussbetten und Böschungen zu reparieren und zu befestigen.
Ob das Hochwasser etwas mit dem Klimawandel zu tun hat? Die Bürgermeisterin zögert, bevor sie sagt: „Vermutlich gibt es einen Zusammenhang.“ Mehr als mit den Ursachen beschäftigt sie sich derzeit mit den Folgen. In nicht so ferner Zukunft werden aber viele fragen, ob die Regierung genug in den Hochwasserschutz investiert hat. Man kann nicht auf alles vorbereitet sein, aber das grundsätzliche Risiko war vielerorts bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!