Hochschulpolitik in Hamburg: Exzellenz-Uni wird kaputt gespart
Die Uni Hamburg muss die digitale Sicherheit auf Kosten des Lehrangebots finanzieren. Uni-Präsident schreibt Brandbrief, Asta rät vom Studium ab.
Die frühere Hamburger Grünen-Chefin Maryam Blumenthal ist recht neu im Amt als Wissenschaftssenatorin. Am Donnerstagmittag musste sie ihren ersten schweren Gang antreten. Ab 14 Uhr tagte Uni-intern der Akademische Senat zum „Austausch mit Frau Senatorin“, wie es in der Einladung hieß.
Dem vorangegangen war ein Brandbrief von Uni-Präsident Hauke Heekeren, der der taz vorliegt. Das Schreiben hat es in sich. Denn Heekeren beschreibt die Folgen der Budgetkürzung von 4,5 Prozent, die in diesem und im nächsten Jahr alle sieben Fakultäten der Uni verkraften müssen. Nötig wurde dies unter anderem, weil sich nach einer Cyber-Attacke auf die benachbarte Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) die Kosten für IT-Sicherheit und Digitalisierung verdoppelt haben. 25,8 Millionen Euro werden 2025 benötigt, statt der 13,3 Millionen Euro im Vorjahr. Weiteres Geld fehlt, weil Tarife und Energiepreise steigen.
Blumenthal sah die Verantwortung bei der Uni selbst. So sagte sie im Juni im Interview mit dem Hamburger Abendblatt: „Die Universität bestimmt ihr Ausgabeverhalten selbstständig und ist mit dem wachsenden Budget trotz Übernahme der Tarifsteigerung nicht ausgekommen: Deshalb müssen sie jetzt sparen.“
Aber damit macht sie es sich aus Sicht der Kritiker zu einfach. Heekeren schreibt nun, diese „strikte Budgetdiziplin“ habe Auswirkungen auf „sämtliche Kernbereiche der Universität“. In den Lehramtsstudiengängen und weiteren Fächern gerate die „Studierbarkeit zunehmend unter Druck“. Die mit der Stadt vereinbarte Zahl an Studienplätzen könne ab dem nächsten Semester „nicht mehr in der vorgesehenen Qualität gewährleistet werden“.
Allein 80 Professuren sind unbesetzt
Schon jetzt fänden immer mehr Studierende keine Betreuungsperson für ihre Abschlussarbeit. Übungsgruppen seien teils doppelt so groß wie üblich. All dies verlängere das Studium. Bibliotheken müssten wichtige Publikationen abbestellen. Und dauerhaft vakant gehaltene Stellen gefährdeten ganze Studiengänge. Die wissenschaftliche Sichtbarkeit, so schreibt immerhin der Präsident einer Exzellenz-Uni, sei „zunehmend bedroht“.
Der studentische Asta findet eigene Worte. „Wir raten Studieninteressierten von einem Studium an der Uni Hamburg ab.“ Und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht von einer „exzellenten Schieflage“. Sei doch bereits seit 2019 bekannt, dass die Uni ein strukturelles Defizit von mindestens 30 Millionen Euro habe. Das habe sich in den Folgejahren wegen zu geringem Tarif- und inflationsausgleich vergrößert. Rund 20 Prozent der Stellen in Lehre und Forschung sind laut GEW unbesetzt. „Wer Exzellenz will, muss zuerst die Basis stärken“, sagt GEW-Chef Sven Quiring. „Es ist nicht wahr, dass die Uni sparen muss, weil die schlecht gewirtschaftet hat“, ergänzt GEW-Mitglied Patrick Grommes.
Ein Problem ist, dass die Uni in Vergangenheit auf Wunsch der Politik ihre Rücklagen abgebaut und damit bisherige Engpässe kompensiert hat. „Dies ist nun nicht mehr möglich“, schreibt Heekeren in seinem Brief. Daher seien sogar Strukturen, die man für den Exzellenzstatus aufgebaut hat, „aktuell nicht ausfinanziert“. Heekeren bittet die Politik um ein klares Bekenntnis zur Universität und eine auskömmliche finanzielle Grundlage.
Der Sache angenommen hat sich die CDU-Politikerin Anna von Treuenfels-Frowein. Auf mehrere Anfragen hin erfuhr sie, dass bereits zum laufenden Semester die Uni-Studiengänge „Human Ressource Management“, „Wood Science“ und „Geschichte der Naturwissenschaften“ eingestellt wurden und der Schwerpunkt Behindertenpädagogik „ausgesetzt“ ist. Und in der Tat waren zum Stichtag 1. Oktober 865 Stellen der Uni unbesetzt, darunter allein 80 Professuren. Besetzt werden dürfen nur Stellen, für die es „zwingend“ ist.
CDU sieht finanziellen Spielraum
„Die Lage ist dramatisch“, sagt Treuenfels-Frowein, „dieser Brandbrief ist ein deutlicher Hilferuf.“ Die CDU werde das Thema im Wissenschaftsausschuss aufrufen. „Wir erwarten, dass der rot-grüne Senat Verantwortung übernimmt, statt sich hinter der Hochschulautonomie zu verstecken.“ Finanzieller Spielraum sei vorhanden.
Die SPD-Fraktion sah sich wenig zuständig. Die in dem Brief geschilderten Fragen müsse die grün geführte Wissenschaftsbehörde mit der Uni klären. Die grüne Hochschul-Politikerin Selina Storm äußerte Verständnis für die Sorgen der Uni. „Dennoch investiert Hamburg heute so viel in die Wissenschaft wie nie zuvor.“ Allein 2026 erhalte die Hochschule knapp sieben Millionen Euro mehr als 2025. Die Grünen seien überzeugt, dass im vertrauensvollen Austausch zwischen Behörde und Uni „Lösungen gefunden werden, um die Exzellenz zu sichern und die Härten für Studierende und Beschäftigte abzuwenden“.
In diese Richtung äußert sich auch die Wissenschaftsbehörde, die betonte, man habe der Uni keine Mittel gekürzt und Kostensteigerungen ausgeglichen. Die Behörde sei überrascht über die „unübliche Kommunikation über einen formellen Brief“, schreibt Blumenthals Sprecherin. Inzwischen habe man in einem persönlichen Gespräch an den „bis dahin produktiven Dialog“ wieder anknüpften können.
Die Sitzung mit Blumenthal im Akademischen Senat dauerte anderthalb Stunden und war zumindest aus Sicht des Asta wenig produktiv. „Die Senatorin lehnte es ab, über den Brief zu reden, und sagte, dann hätte man die Sitzung anders vorbereiten müssen“, berichtet Asta-Referent Elias Gerstner. Es sei gut gewesen, sie einzuladen. „Aber bei der Sitzung kam heraus, dass die Stadt nicht vorhat, der Uni mit mehr Geld zu helfen und die strukturelle Unterfinanzierung zu beseitigen.“ An der Empfehlung des Asta, dort nicht zu studieren, habe sich deshalb „nichts geändert“.
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