piwik no script img

Hochhausgroßbrand in HongkongBambusgerüste könnten Feuerinferno beschleunigt haben

In der südchinesischen Sonderzone Hongkong wirft die Suche nach den Gründen des verheerendsten Brandes seit Jahrzehnten heikle Fragen auf – auch politische.

Der Großbrand in den Hongkonger Hochhaustürmen des Wang Fuk Court in der Nacht auf Donnerstag Foto: Chang Long Hei/ap/dpa

Bei Hongkongs verheerendsten Großbrand seit Jahrzehnten sind lokalen Medienberichten zufolge bis Donnerstag abend 65 Tote und 70 Verletzte geborgen worden. Wie viele Personen am Abend noch vermisst wurden, ist nicht bekannt. Am Morgen waren es noch fast 300 Vermisste gewesen.

Die Flammen hatten sich so rasant ausgebreitet, dass viele Bewohner der acht 32-stöckigen Wohntürme des Wang Fuk Court den Ernst der Lage viel zu spät erkannten. Manche berichteten zudem, es habe keinen Feueralarm gegeben. Andere sagte, die Fenster seien wegen Renovierungsarbeiten verhängt gewesen.

Keine vierzig Minuten hatte es gedauert, bis das Feuer am Mittwochnachmittag etliche Stockwerke erfasst hatte. Die herzzerreißenden Szenen im Hongkonger Fernsehen waren kaum zu ertragen: Eine Mitbewohnerin schrie voller Verzweiflung in die Kamera, dass sich ihre gesamte Familie noch in einer Wohnung sei. Sie könne niemanden telefonisch erreichen, wahrscheinlich seien sie ohnmächtig geworden.

Neben Trauer gibt es auch Wut. Denn die Frage, warum sich die Flammen so ungewöhnlich schnell ausbreiten konnten, ist heikel. Eine wesentliche Rolle dürften die leicht entflammbaren Bambusgerüste gespielt haben, die schon seit mehr als einem Jahr vor den Wohntürmen standen.

Brennbare Bambusgerüste und Abdecknetze

Erstmals sollte der 1983 fertig gestellte Komplex mit knapp 5.000 Bewohnern, darunter viele Ältere, eine grundlegende Renovierung erhalten. Außenwände sollten erneuert, Abflussrohre gesäubert und Brandschutzvorrichtungen verbessert werden.

Doch offensichtlich wurden bei den Arbeiten elementare Sicherheitsstandards verletzt. So berichteten Anwohner, dass Bauarbeiter auf den Gerüsten geraucht hätten. In den sozialen Medien wurden Fotos verbreitet, auf denen ausgedrückte Zigaretten zwischen den Bambusrohren zu sehen sind.

Dass Bambusrohre in Hongkong noch für Gerüste verwendet werden, hat auch mit einer einflussreichen Lobby zu tun. Die Gesetze sehen zudem vor, dass insbesondere bei größeren Gerüsten diese mit feuerhemmenden Netzen abgedeckt sein müssen. Nach ersten Erkenntnissen verstießt eine Baufirma mutmaßlich fahrlässig gegen diese Sicherheitsstandards.

Dafür spricht auch, dass bereits drei Personen in Untersuchungshaft genommen wurden, darunter zwei Geschäftsführer und ein Ingenieur einer verantwortlichen Baufirma. Unklar ist noch, warum einige Fenster mit leicht brennbarem Styropormaterial abgedeckt wurden. Auch eine absichtliche Brandstiftung kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Hongkongs Regierung erklärte am Donnerstag, es solle jetzt so schnell wie möglich von Bambus- auf Stahlgerüste umgestellt werden. Zudem wurde angeordnet, in der chinesischen Sonderverwaltungsregion alle Gebäude, die derzeit großflächig renoviert werden, zu überprüfen.

Fragen und Skepsis in den sozialen Medien

Der Brand erinnert auf erschreckende Weise an die Tragödie um den 24-stöckigen Grenfell Tower in London, als im Jahr 2017 ebenfalls eine leicht entflammbare Außenverkleidung die Flammen in Windeseile von Stockwerk zu Stockwerk ausbreiten ließ. Damals starben 72 Menschen.

Am Donnerstagabend waren in Hongkong die Löscharbeiten noch nicht beendet. Brände in Hochhäusern sind herausfordernd, weil die Feuerwehr oft gezwungen ist, die Flammen vom Inneren des Gebäudes zu bekämpfen. Die Leitern der Einsatzkräfte in Hongkong reichen nur bis zur Mitte der betroffenen Wohntürme, in einigen oberen Stockwerken brennt es noch.

In Chinas sozialen Medien gab es verduzte Fragen, warum Hongkong nicht Hilfe vom Festland angefragt habe. Denn die Nachbarmetropole Shenzhen verfügt über ein ultramodernes Löschfahrzeug. Das ist mit einer Leiter mit einer Höhe von bis zu 100 Metern ausgestattet – doppelt so hoch wie die lokalen Fahrzeuge.

Der Wang Fuk Court in der nordöstlichen Satellitenstadd Tai Po liegt auch halber Strecke nach Shenzhen. Die Anlage wurde in einem Wohnbauprogramm entwickelt, das Familien mit niedrigerem Einkommen Eigentumswohnungen ermöglichen soll. Dementsprechend ist der Brand auch politisch heikel, schließlich werden die Wohnbauprogramme von Hongkong Wohnungsamt (HA) verwaltet.

Exil-Honger sehen Behörden skeptisch

„Es ist traurig zu sehen, dass die Medien nicht gründlich genug recherchieren … und die Gründe einfach darauf reduzieren, dass es an Bambusgerüsten liegt“, kommentiert ein Hongkonger, der mittlerweile in Großbritannien lebt, im Online-Forum Reddit.

Tatsächlich gibt es unter Hongkongern in den sozialen Medien eine auffallend große Skepsis gegenüber der Aufklärungsarbeit von Behörden und Medien. Das Vertrauen ist merklich geschwunden, nachdem in den letzten Jahren viele unabhängige Verlage aufgrund des politischen Drucks aus Peking schließen mussten.

Die Befürchtung ist, dass sich Hongkong auch bei nur indirekt politischen Themen immer stärker an chinesische Verhältnisse angleicht: In der Volksrepublik ist es längst üblich, dass auch über Naturkatastrophen, Brände oder größere Unfälle nicht unabhängig berichtet werden darf. Vielmehr dürfen nur die offiziellen Erklärungen der Behörden verwendet werden dürfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Hätte auch mit Metallgerüst passieren können:



    Fangnetz aus Plastik, Styropordämmung, wild herumliegend brennbares Material, die ein oder andere Gasflasche.