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Hobby-Sarrazins und Freizeit-PoschardtsTired of this fucking shit

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass alle immer und überall alles sagen dürfen und alle zuhören müssen. Und damit: Ciao!

Das Richtige tun: Rettungsschiff von Sea-Watch auf dem Mittelmeer Foto: dpa

D ie Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie bedeutet, dass „das subjektive Recht auf freie Rede sowie freie Äußerung“ gewährleistet ist. Die Meinungsfreiheit hat aber Grenzen. Etwa wenn es sich um strafrechtliche Aussagen handelt. Dennoch ist der Ausspruch „Ich dachte, hier herrscht Meinungsfreiheit?!“ (Spiegel-Leser können sich diesen Satz mit sächsischem Akzent vorstellen) sehr beliebt. Meist dann, wenn jemand das Gefühl hat, ungerecht behandelt zu werden.

Oft sind das Menschen, die auf Demonstrationen „Absaufen! Absaufen!“ rufen. Deshalb hier zur Erklärung: Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass alle immer und überall alles sagen dürfen und alle zuhören müssen. Dies hier ist zum Beispiel meine letzte Kolumne für die taz. Das wird einige freuen, andere vielleicht nicht. Hat aber nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Denn wenn ich will, kann ich meine Texte in Zukunft auf einem ominösen Internetblog veröffentlichen, bei Twitter posten oder mich beim Springer-Verlag bewerben (Gott bewahre!).

Entgegen der landläufigen Meinung von Hobby-Sarrazins und Freizeit-Poschardts gibt es auch keine Sprechverbote. Oder hat jemand schon mal einen SEK-Zugriff beobachtet, nachdem ein wütender Ü50er einen „Man darf ja nicht mal mehr Zigeunerschnitzel sagen“-Kommentar ins Internet geballert hat? Verlieren Leute ihre Jobs, wenn sie in Talkshows sitzen und einfach nur mal die Frage stellen wollen, ob man Menschen ersaufen lässt? Oder ist es nicht eher so, dass man mit solchen Fragen Talkshowmoderator, Bestseller-Autor und Chef einer Tageszeitung werden kann?

Im gesetzlichen Rahmen darf man hier alles Mögliche sagen. Die Frage ist nur, ob man diesen Menschen ein Podium geben sollte. Wer bei klarem Verstand ist, weigert sich natürlich.

Völkische Argumente

Warum? Ein kleines Beispiel: Person A sagt: „Ich möchte einen rein weißen Ethnostaat.“ Person B sagt: „Das möchte und werde ich verhindern.“ Und nun kommt Person C in Form eines Mediums und sagt zu Person B: „Hören Sie sich doch erst mal die Argumente von Person A an, so findet doch kein Austausch statt.“ I’m tired of this fucking shit! Ein weiterer Grund, warum ich dem Journalismus größtenteils den Rücken kehre.

Jüngstes Beispiel für diese Methode ist Franziska Schreiber. Sie ist ehemaliges Vorstandsmitglied der Jugendorganisation der AfD. Nachdem sie 2017 austrat, tat sie viel, um aufzufallen. Vorher auch schon. Etwa als sie 2015 gegen das Gesetz der Holocaustleugnung argumentierte, da sie für grenzenlose Meinungsfreiheit sei. Just Wow! Schreiber ist zwar aus der AfD ausgetreten, ihre Meinung hat sie jedoch nicht großartig geändert.

Ein Podium für ihre Ansichten werde ich ihr hier nicht bieten. Andere möchten das schon. Deshalb hat sie nun ein eigenes Format auf dem ARD/ZDF-Jugendsender FUNK. Einem Kanal, der sich der Erziehung und Bildung von Jugendlichen widmet. Auch das ist Meinungsfreiheit. Ob es richtig ist, kann sich jeder selbst beantworten. Ciao!

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Juri Sternburg
Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  
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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Las in einem anderen Kommentar, in Offenbach hat eine Oberrealschule jetzt 96% Schüler mit Migrationshintergrund, in meiner ehemaligen Schule in Damme ist es heute vielleicht maximal 1%, die einen solchen Hintergrund haben. Das wird aber nie erwähnt.

  • Will auch keinen weißen Ethnostaat und auch keinen bunten. Da habe ich keinen Willen.

  • Ist doch eigentlich klar. Wenn ich sage: "1+1=3" ist das keine gleichberechtigte Meinung, sondern einfach nur Humbug.

    Dass die notorische (konservative) Relativiererei der heutigen Zeit den Kolumnist auf die Palme bringt, kann ich gut verstehen.

  • Einer Legende nach soll Herbert Wehner beim Abtritt aus dem Bundestag gesagt haben:



    "Mir reicht's!!"

    Wo geht's hin Herr Sternburg?...würde Ihre Beiträge auch gerne in "Die Welt" lesen...überlegen Sie es sich doch nochmal...



    GLGG

  • Finde ich nicht gut! Auch wenn ich Ihre Entscheidung natürlich akzeptieren muss und auch die Beweggründe dahinter in weiten Teilen nachvollziehen kann, finde ich es nicht die richtige Schlussfolgerung, einfach die Flinte ins Korn zu werfen und sich vom Acker zu machen.

    Der deutsche Journalismus braucht Leute wie Sie dringender denn je. Leute, die das Maul aufmachen und dagegen halten, die sich nicht einspannen lassen von wem auch immer, die den Finger auch mal dort hin legen, wo es manchem weh tut, die auch mal etwas provokant auftreten können, weil sie wissen, dass es funktioniert, dabei jedoch niemals ihre eigenen Werte und Prinzipien verraten, die um den erbärmlichen Zustand dieses unseren Landes wissen, aber die Hoffnung nicht aufgeben, dass es sich darum zu kämpfen lohnt. All das sind Sie und deshalb sollten Sie Ihre Entscheidung wirklich noch einmal überdenken.

    Kollegiale Grüße,



    Grandiot

  • Die Meinungsfreiheit hat strafrechtliche Grenzen. Und das ist auch gut so. Eine der Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, ist die Frage, ob Menschen, die Podiumsplätze zu vergeben haben, den strafrechtlichen Rahmen vorbeugend und eigenmächtig ausweiten sollten.

    Ihre Enttäuschung verstehe ich gut, werter Juri Sternberg. Wer sich schon aus beruflichen Gründen täglich Talkshows ansehen muss, in denen Person A sagt: „Ich möchte einen rein weißen Ethnostaat“, Person B erklärt: „Das möchte und werde ich verhindern“ und Person C darauf hin Person B daran erinnert, dass sie keinerlei Polizeigewalt besitzt, ist das vermutlich ärgerlich. Auch, weil es stimmt. Vor allem aber, weil Person C ihr Geld damit verdient, Person B (den Guten) öffentlich „in die Pfanne zu hauen“ und Person A einen unverdienten Punkt zuzuschustern.

    Das müsste nicht sein, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wäre Person B sich ihrer Rolle (und deren Grenzen) bewusst, bekäme Person C gar nicht die Chance, von seiner Unvorsichtigkeit öffentlich zu profitieren. Person A aber könnte nicht mit einen unverdienten Punktsieg nach Hause gehen.

    Menschen wie Sie, werter Juri Sternberg, werden gleich dreifach enttäuscht: Von Person A (die sich nicht überzeugen lassen mag von Ihnen), von Person B (die sich stellvertretend für „die Linken“ öffentlich eine peinliche Blöße gibt), von Person C (die das zu nutzen versucht, also „Verrat“ begeht) und von einem „Medium“, das (gefühlt) auf ihrer Seite stehen sollte (von ihren Erwartungen also). Da kann einem das Schreiben schon mal vergehen, schätze ich.

    Die Frage ist, wem es hilft, bockig zu werden: Wenn Sie vornehm „I’m tired of this fucking shit!“ tippen, statt einfach nur: „Ach Mann öh, ihr seid ja alle doof!“ zu schreiben, ist das auch bloß nicht souverän. Und wer sollte sich schon von einem Journalisten mit der Sozialkompetenz eines Sechsjährigen führen lassen (wollen)?

  • Lieber Herr Sternburg,

    diese Gesellschaft braucht dringend Journalist*innen wie Sie.



    Schreiben Sie weiter! Ob nun bei der taz oder anderswo.

    In jedem Fall wünsche ich Ihnen alles Gute.

    Viele Grüße,



    Zeitraumreisender

  • Kleine Mäkelei: eine strafrechtliche Aussage ist eine Aussage zum Strafrecht und keine strafbare! Manche Ungenauigkeit führt zu blühende Unsinn - das ist ärgerlich!

  • Es geht ja schon um die Tatsache, dass es keine Kultur für sanktionsfreie Rede mehr gibt. Dass Santionsfreiheit kein Wert an sich mehr ist.

  • Porscharrazin - fragt ich mich -



    Die Begründung? - versteh ich nich -

    & Däh&Zisch - Mailtütenfrisch -

    “„Ich dachte, hier herrscht Meinungsfreiheit?!“







    Wenn die Freiheit herrschen soll,



    findet sie das nicht so toll.



    Sie mag es lieber Herrschafts-frei.



    Die Dummheit stört sie sehr dabei.







    Wenn es Meinungsfreiheit ist, falsche Fakten zu verbreiten,



    wenn es Meinungsfreiheit ist, wahre Fakten zu bestreiten,



    Wenn Holocaust-Verleugnung Meinung wird,



    hat sich Frau Schreiber arg verirrt.



    Wer austritt, erntet Mediendank?



    Das ist nicht Funk, das ist nicht Punk,



    das ist nur krank.



    "Ein weiterer Grund, warum ich dem Journalismus größtenteils den Rücken kehre."



    Er gibt der Wahrheit weiterhin die Ehre.



    Wer Lügen nicht entgegentritt,



    die macht schon mit beim Höllenritt.







    Ich würde Juri Sternburg hier vermissen.“

  • "Ein weiterer Grund, warum ich dem Journalismus größtenteils den Rücken kehre." Und was ist der Hauptgrund? Ich frag jetzt mal so direkt weil genau Stimmen wie Ihre und generell Journalisten mit klarer Haltung die den Boden der Menschenwürde aus Prinzip nicht verlassen all überall fehlen. Zwischen all den Hobby Sarrazins auch unter Journalisten zwischen all den gefühligen Beliebigkeitsreportern und all den Medien die ihre Kommentare, Talkshows, Pro- Contras lieber nur nach der Frage was erregt die Community aktuell am stärksten mit unterirdischen jenseits der Basis der Menschenwürde angesiedelten "Meinungen" füllen und damit einem NOCH in der Minderheit befindlichen absolut Menschenverachtenden Meinungsstrom erhöhte Aufmerksam verschaffen sag ich jetzt mal, da können Sie nicht so einfach aufhören. Und die taz Redaktion? Die obigen Erregungsjournalismustrend noch nicht anheim gefallen ist jedenfalls nicht derart unterirdisch wieso lasst ihr ihn eigentlich gehen? Ihr habt ihn jetzt nicht etwa vertrieben warum auch immer, oder? Das ist jetzt mein Beitrag zum Thema man wird ja wohl mal fragen dürfen.

    • @Nina Janovich:

      finde ich gar nicht. Meines Erachtens gibt es zu viel "Haltungsjournalismus", der die Fakten so präsentiert, dass unliebsame Fakten eher klein oder gar nicht vorkommen und Fakten, die zum gewünschten Ergebnis passen, dafür umso stärker gewichtet werden. Das ist aber weniger Journalismus als Belehrung.

      Wobei ich das nicht der taz vorwerfe, im Gegenteil, da kriegt man oft Fakten, die man woanders nicht liest. Eher geht es um den "ARD-Faktenfinder" und ähnliches, die den Anschein von Objektivität erwecken wollen.

  • Gute Entscheidung.

  • "ihre Meinung hat sie jedoch nicht großartig geändert."

    Wie wäre es mit Belegen dafür statt bloßer Behauptung? Just wow.

    Und natürlich ist es richtig, dass im ÖR-Rundfunk auch nicht-linke Meinungen zu Wort kommen.

    Ja, was denn sonst?

  • "Ein weiterer Grund, warum ich dem Journalismus größtenteils den Rücken kehre."



    Das ist in meinen Augen sehr bedauerlich. Alles Gute für Sie.