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Hitzeschutz und ObdachlosigkeitImmerhin reden wir drüber

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Besonders Menschen auf der Straße sind durch Hitzewellen gefährdet. Berlin verspricht mehr Schutz, ob das klappt ist jedoch eine Frage des Geldes.

Berlins erste Hitzehilfe bietet Zuflucht vor Hitze und Regen (Archivbild) Foto: dpa | Monika Skolimowska

A m zweiten Tag nach Beginn der offiziellen Hitzehilfesaison ist die Luft warm und schwül, Regen kündigt sich an. Vor dem Eingang der Hitzehilfeschutzeinrichtung in Schöneberg stehen am Montagmittag schon die ersten Gäste und rauchen. Ein paar Stunden schlafen, duschen, etwas trinken und essen oder auch nur den Regen abwarten, all das ist in der vom Internationalen Bund betriebenen Einrichtung von Juni bis August möglich.

„Es braucht ein paar Tage, bis sich rumspricht, dass wir offen haben“, sagt IB-Regionalleiterin Janette Werner, „aber dann sind wir fast immer voll“. Heute, beim Pressetermin zum Beginn der Hitzehilfesaison, meiden die Gäste lieber den Aufenthaltsraum, in dem auf einem kleinen Buffet Brötchen, Kaffee und Wasserkaraffen ausgelegt sind.

2022 eröffnet, ist der Schutzraum in der Kurmärkischen Straße Berlins erste Hitzehilfeeinrichtung. Früher war in der Baracke ein Nachbarschaftszentrum, heute überlasst der Bezirk das Gebäude dem IB, um im Winter Notübernachtungen und im Sommer Hitzehilfe anzubieten. 35 Menschen finden hier Platz. Früher habe man auch schon mehr reingelassen, aber dann komme es schnell zu Konflikten, sagt Werner: „Je heißer es ist, umso kürzer ist die Zündschnur.“ Dann gebe es auch schon mal Handgreiflichkeiten um das letzte Brötchen.“

Aber es sind gerade die heißen Tage, an denen die Temperaturen weit über 30 Grad steigen, an dem Schutzräume wie in der Kurmärkischen Straße Lebensretter sein können.

Tödliche Hitze

„Hitze tötet Menschen“, sagt Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, der auch beim Pressetermin anwesend ist. Neben alten und vorerkrankten Menschen gehören Obdachlose zu der am stärksten gefährdeten Gruppe. Schlafen sie in der prallen Sonne unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ein, kann das schnell tödlich enden. Letztes Jahr gab es in Deutschland 4.500 Hitzetote, 2023 waren es in Berlin 105. Der Wert wird statistisch errechnet, wie viel es genau sind, ist unklar.

Neben der Einrichtung in der Kurmärkischen Straße gibt es in Berlin noch sechs weitere Schutzräume. In Anbetracht der schätzungsweise 6.000 bis 8.000 Menschen, die auf Berlins Straßen leben, sei das „bei Weitem nicht genug“, sagt Peter Bobbert. Aber immerhin sei das Thema mittlerweile in das öffentliche Bewusstsein gerückt: „Vor vier Jahren hat noch keiner über Hitzeschutz geredet“, sagt Bobbert.

Dabei wird die Notwendigkeit der Umsetzung von Jahr zu Jahr dringender. Durch den menschengemachten Klimawandel werden Hitzewellen häufiger und länger. „Für dieses Jahr sind wir vorbereitet“, sagt Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD). So richte man ein Krisenteam ein, dass bei Hitzewellen die Umsetzung von Hitzeschutzplänen koordiniert. Unter anderem geht es darum, gefährdete Gruppen wie obdachlose Menschen aufzuklären, über kühle Orte zu informieren und Wasser zu verteilen.

Der lange angekündigte Hitzeaktionsplan, der ressortübergreifend Maßnahmen vorschlägt, Berlin hitzeresistenter zu machen, lässt aber noch auf sich warten: „Vor der Sommerpause wird es wahrscheinlich nichts mehr“, sagt Czyborra. Ob mit oder ohne Hitzeaktionsplan: Welche Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, wird wahrscheinlich von der Haushaltslage abhängen. Der Umgang mit dem Vorzeigeprojekt in der Kurmärkischen Straße ist da ein schlechtes Omen: Das Projekt wird jährlich verlängert, die Gelder werden oft sehr spät bewilligt. „Die Finanzierung kommt oft auf den letzten Drücker“, sagt IB-Regionalleiterin Werner. Der Präsident der Ärztekammer Bobbert warnt: „Hitzeschutz ist nicht zum Gratistarif zu bekommen.“

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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