Historikerin über Merkels Wählerinnen: „Sie reagiert anders als viele Männer“
Überproportional viele Frauen wählen Angela Merkel. Das liege auch an deren zurückhaltenden Art, sagt die Genderberaterin und Historikerin Marion Böker.
taz: Frau Böker, Angela Merkel will ein viertes Mal Kanzlerin werden. Die Frauen-Union hat schon gejubelt: Frauen wählen Merkel.
Marion Böker: Tun sie das?
Im Jahr 2013 haben 44 Prozent der Frauen das Kreuz bei der Union gemacht.
56 Prozent der Frauen haben Merkel nicht gewählt.
44 Prozent sind nicht gerade wenig
Jene Frauen, die Merkel wieder an der Spitze sehen wollten, haben nicht nur gewürdigt, was sie bis dahin geschafft hatte. Sondern auch ihre Art, Politik zu machen: sich zurückzuhalten, ruhig zu bleiben, wenn andere aufgeregt waren, und nicht vorschnell zu agieren. Also anders zu reagieren als viele Männer.
Dafür wurde sie häufig als „Teflon-Merkel“ kritisiert.
So hat sie sich aber an der Macht behaupten können. Das scheint also eine schlaue Strategie zu sein. Auf diese Weise hat sie Widersacher abgesägt und parteiintern manche Woge geglättet.
55, ist Historikerin, Publizistin, Germanistin. In Berlin betreibt sie eine Beratungsagentur für Menschenrechte und Genderfragen.
Das klingt nach dem Klischee, Frauen wollten Harmonie.
Es ist anders. Ihre ruhige Art lässt die Aufregung der eitlen Schnellsprecher abflachen. Kommt sie nach Hektik und Chaos dann mit einem ausgeruhten Kommentar, wird dieser erleichtert aufgenommen – während die Gegenspieler längst erschöpft sind.
Fällt es Frauen nicht eher leichter, für Merkel zu stimmen, weil die anderen Parteien schlechter aufgestellt sind?
Sicher. Ich habe nie verstanden, warum die SPD ihre guten Frauen nicht nach vorn geschoben haben. Nehmen wir nur Heide Simonis. Sie war hochqualifiziert, leistungsfähig, Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein. Oder Herta Däubler-Gmelin, frühere Justizministerin. Oder Ulla Schmidt, die mal Gesundheitsministerin war.
Die sind alle nicht mehr im politischen Geschäft. Sehen Sie aktuell eine geeignete SPD-Kanzlerkandidatin?
Leider nein. In der SPD haben nach wie vor Männer das Sagen – ganz patriarchal.
Hat sich die Republik so stark an eine Frau an der Spitze gewöhnt, dass Merkels „Frau-Sein“ keine Rolle mehr spielt?
Als Merkel 2005 das erste Mal Kanzlerin wurde, haben viele Feministinnen gejubelt: Endlich eine Frau. Manche sahen sie aber auch als Lückenbüßerin. Es gab nicht sonderlich feministische Bilder: Merkel als Putzfrau, die wegräumt, was Männer hinterlassen haben. Und dann diese sexistischen Sprüche: über die „Mutti“, ihre Kleidung, Frisur, das Übliche.
Das ist längst vorbei.
Jetzt zählen ihr Erfolg und ihre Macht.
Grund genug für Frauen, Merkel zu wählen?
Frauen sollten die Person wählen, die sie für am fähigsten halten, die sich aber auch um Frauen-, Familien- und Sozialpolitik kümmern.
Unter Merkel kamen Elterngeld und Vätermonate.
Drei Monate Elternzeit, die ein paar Väter nehmen, tun niemandem weh. An das Ehegattensplitting aber, was ein echter Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik wäre, wagt sie sich nicht heran. Sie weiß genau, dass sie mit diesen Themen nicht an der Macht bleibt. Also konzentriert sie sich auf Topthemen wie Nato, Haushalt, Außenpolitik.
Für ihre Flüchtlingspolitik – auch ein „hartes“ Ressort – musste sie Kritik einstecken.
Das konnte sie sich erlauben, weil sie populär genug war. Aber die Wende – Öffnung der Grenzen, um sie rasch wieder zu schließen – kam schneller als gedacht.
Was erwarten Sie von ihr in der nächsten Legislatur?
Dass sie auch feministische Themen in den Blick nimmt, beispielsweise gleicher Lohn für Frauen für gleichwertige Arbeit. Oder Rente: Wo bleibt der Gesetzentwurf, der Geringverdienende besser stellt? Vor allem Alleinerziehende und Mütter in der Familienphase haben geringe Einkommen und später eine schlechte Rente. Bei ihrem jetzigen Standing könnte Merkel das alles fordern – ohne jegliche Rücksicht auf altmodische Menschen und solche, die Rechtspopulisten das Wort reden.
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