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HipHop in Saudi-ArabienWeder Drogen noch Bitches

Sie sind beliebt. Aber die saudischen HipHop-Crews zensieren sich selbst. Königsfamilie, Religion und Politik des Landes werden nicht kritisiert.

Ayzee singt R&B und versucht sein Glück als Solosänger bei „The X-Factor“. Foto: Jannis Hagmann

Jidda taz | Eigentlich mögen es Ali Bash und seine Kollegen von der HipHop-Crew J-FAM laut, mit richtig viel Bass. Doch diesmal muss der Lautsprecher eines Handys ausreichen – und die Musik klingt ziemlich blechern im Hintergrund des Filmstudios. Immerhin: Das Make-up sitzt, der Kameramann für den Videodreh ist bereit.

„Eins, zwei, drei … sechs Schritte, das ist das Maximum“, ruft jemand und markiert mit Kreppband die Schrittpositionen auf dem Boden. „Mein Rap schießt ein Tor nach dem anderen“, singt Ali Bash dünn aus dem Handylautsprecher, „mein Style ist immer gleich, ich bleib mir treu.“

Vor den Fenstern des Filmstudios haben sich dichte Wolken über die Hausdächer Jiddas gelegt, ein Sandsturm bläst heiße Wüstenluft in die Küstenstadt. Live wirkt Ali Bash weitaus gezähmter als in seinen Videos. Das Hemd in der Hose, eine dünne Krawatte. Baggypants und Basecap hat er heute zu Hause gelassen. Nach der Mittagspause muss der Rapper zurück ins Krankenhaus, um dort als Bürokraft seinen Lebensunterhalt zu verdienen. „Von Musik zu leben, ist hier schwer“, sagt er, „das schaffen die wenigsten Musiker in Saudi-Arabien.“

„Rap Higga“ haben J-FAM ihren Song genannt – ein Wortspiel aus „Nigga“ und „Hijaz“, der Küstenregion am Roten Meer. Im Hijaz liegen Mekka und Medina, und auch die Hafenstadt Jidda, Saudi-Arabiens liberalste und lebensfroheste Stadt. Hier, wo seit Jahrhunderten Pilger aus aller Welt anlanden und erstmals den Fuß auf das Land der beiden heiligen Städte setzen, hat sich nicht nur eine bunte Kulturszene etabliert. Die relative Offenheit hat auch die MCs des Königreichs angezogen und Jidda zur Hauptstadt des saudischen HipHops gemacht.

Fähigkeit zur Subversion

Rap Higga? Ali Bash lacht: „Es geht ums Angeben.“ Saudischer HipHop unterscheide sich in vielem von US-HipHop, aber nicht darin. Auf das Gangstergehabe müsse man allerdings verzichten. Dissen, fluchen, Drogen und Bitches, das komme in Saudi-Arabien nicht gut an. „Das ist nicht unser Lifestyle.“

Rap ist eines der am schnellsten wachsende Genres der arabischen Musikwelt, nicht erst seit die Menschen in der Region im „Arabischen Frühling“ den Maulkorb von sich rissen, den ihre autoritären Herrscher ihnen verpasst hatten. In Algerien hatte sich HipHop schon Anfang der neunziger Jahre in der angespannten Lage vor dem Bürgerkrieg als populäre Protestkultur etabliert.

Kein anderes Genre besaß die Fähigkeit zur Subversion so wie der Sprachgesang, brachte den Unmut gegenüber einer korrupten politischen Klasse besser zum Ausdruck als HipHop. Wenig später betraten auch im israelisch besetzen Westjordanland Crews die Bühne. Das Internet und zuletzt auch die Revolutionen seit 2011 verhalfen dem arabischen Rap endgültig zum Durchbruch.

Die Saudis waren keine Szenevorreiter. Trotzdem sind Ali Bash und J-FAM längst nicht mehr nur im Königreich bekannt. Die saudischen MCs kämpfen allerdings mit einem Problem: „Es gibt zu wenige Auftrittsmöglichkeiten“, sagt Alis Kollege Ayzee, der R&B-Sänger der Band, während die Stylistin ihm eine Make-up-Grundierung verpasst.

Keine Livevenues

Livemusik lehnen die Konservativen im Land als unislamisch ab. Clubs gibt es keine und auf öffentlichen Veranstaltungen wacht nicht selten die Religionspolizei darüber, dass Frauen und Männer getrennt von einander sitzen. Aber auch im Ausland könnten sie nicht regelmäßig spielen, sagt Ayzee. Zu beschäftigt seien alle mit ihren Jobs. „Viele Rapper hier wissen nicht, wie sie sich auf der Bühne benehmen sollen“, sagt Ali – „weil sie keine Erfahrung haben.“

Einer, der das ändern will, ist Big Hass. In einem mit leeren Dosen und Cola-Flaschen überfüllten Viersitzer fährt er vor seinem Radiostudio in Jiddas Ausgehmeile Tahliya vor. Samstagabends, wenn sich die wohlhabende Jugend der Stadt zu heimlichen Rendezvous in den Malls trifft, lädt der Moderator junge Künstler in seine Sendung „Laish HipHop?“ – Warum HipHop? – ein. Das Radio soll den Künstlern die Bühne bieten, die sie sonst nicht haben. „Leider gibt es hier keine Live-Venues, das ist nicht erlaubt.“

So ganz stimmt das allerdings nicht. „The Beat“ heißt die Konzertreihe, die Big Hass selbst organisiert. Mehrmals schon hat der Moderator Künstler aus der Region auf die Bühne gebracht – live vor Publikum, aber ohne Tanz. Die letzte Show haben viele noch gut in Erinnerung. „Die explodierte geradezu“, sagt Big Hass.

Dass es Dinge gibt, die es offiziell nicht geben darf, ist kein seltenes Phänomen in Saudi-Arabien. Big Hass spricht von „Underground“, um es zu beschreiben. „Wenn ich Underground sage“, erklärt er, „dann meine ich private Events.“ Was privat ist, geht die Behörden nichts an. Solange die Künstler nicht zu weit gehen, können sie ungestört arbeiten. Das gilt für Konzerte, es gilt für Videoclips – und auch für die Texte.

Nicht immer harmonisch

Die Königsfamilie zu kritisieren ist ein Tabu, das die Rapper ebenso achten wie die Medien des Landes. Auch das mächtige religiöse Establishment bleibt weitgehend unangetastet. Wer sich nicht daran hält, landet im Exil. Oder im Knast, wie jüngst der Fall des religionskritischen Bloggers Raif al-Badawi zeigt. „Im saudischen HipHop geht’s nicht um Revolution und Aufstand“, sagt Big Hass. Aber dafür würden sich saudische Rapper ohnehin nicht interessieren, sagt der Moderator. „Das sind Themen, die einfach nicht in den Köpfen der saudischen Jugendlichen sind.“

Ganz harmonisch allerdings läuft es auch nicht immer. Das Album des HipHop-Duos Blak-R erschien in Saudi-Arabien mit drei Songs weniger als im Ausland. Das Informationsministerium störte sich an den Lyrics, erzählt Blak-R-Rapper Joe in einer der unzähligen Malls Jiddas. In seinem HipHop-Outfit wirkt er, als sei er direkt aus dem Musikvideo Mamno3 al Shabab (“Jungs verboten“) entsprungen.

Mit dem Titel protestieren die beiden Rapper dagegen, dass Jungs ohne weibliche Begleitung nicht in Malls gelassen wurden – aus Angst, sie wollten Frauen anmachen. Der Titel verbreitete sich trotz Zensur schnell, auf YouTube. Mamno3 al Shabab sei aber nicht wirklich politisch gewesen, sagt Joe, mit Politik hätten auch Blak-R nichts zu tun. „Politik fasst man besser nicht an, damit bringt man sich nur in Schwierigkeiten.“

Selbst Saudi-Arabiens erfolgreichster Rapper Qusai umkreist heikle Themen. Zwar heißen seine Songs „Arab World Unite“ oder „Change“, doch geht es immer um regionale, nicht um saudische Politik. „Wir haben hier keine Meinungsfreiheit, aber das respektieren wir“, sagt Qusai offen, „denn uns geht es besser als anderen Gesellschaften.“ Man müsse nur nach Syrien oder Libyen schauen, um zu verstehen, dass Wandel nicht immer nur positiv sei. „Wir sind gesegnet, dass bei uns noch alles zusammenhält.“

Das saudische „Das Supertalent“

Wie kein anderer verkörpert Qusai den saudischen Rap. Dessen Protagonisten kommen nicht aus den migrantisch geprägten Vierteln der Großstädte, leben nicht wie die MCs in Palästina unter Besatzung und sind nicht wie die algerische Jugend durch soziale Unruhen politisiert. Die saudischen MCs kommen aus der urbanen Mittelschicht der ölreichen Golfmonarchie.

Und noch etwas unterscheidet die Saudis von ihren arabischen Kollegen. Dem Kommerz können sie sich kaum entziehen. Unternehmen wie Red Bull sponsern die raren Events. Für die Rapper sind sie oft die einzige Möglichkeit aufzutreten, für die Multis eine willkommene Gelegenheit, ihre Produkte an die konsumfreudige Jugend zu bringen. Und auch die Verwertungslogik der globalen Entertainmentindustrie hat den saudischen Rap erfasst.

Wer groß rauskommen will, muss sich bei pan-arabischen TV-Shows wie „Arabs got Talent“ präsentieren. Niemand anderes als Qusai moderiert die Talentshow, die sich nur in Details von RTLs „Das Supertalent“ unterscheidet.

Auf Castingshows setzt auch J-FAM-Sänger Ayzee in dem Studio über den Dächern Jiddas. Seinen Job in einer Bank hat er geschmissen. Mit dem Videodreh für Rap Higga muss er sich beeilen. Der Flieger nach Beirut wartet. Dort wird Ayzee sein Glück als Solo-Künstler bei „The X-Factor“ versuchen.

Die Show sehen Millionen von Marokko bis Syrien. Wenn die Jury es gut mit ihm meint, warten nicht nur Fans in der gesamten arabischen Welt auf ihn, dann folgen auch lukrative Verträge im TV- und Musikbusiness. Auf Auftritte in seinem Heimatland kann er dann vielleicht verzichten.

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