Doku über Anschlag in Mekka 1979: Aufruhr in der Großen Moschee

Es begann nicht mit dem 11. September: Das Erste zeigt in einer Doku, wie der islamistische Anschlag in Mekka 1979 Saudi-Arabien veränderte.

Abdulaziz al-Dhahri in einem Auto. Sein Vater war 1979 der befehlshabende General

Abdulaziz al-Dhahris Vater war 1979 der befehlshabende General Foto: NDR

Es geschah am 20. November 1979. Die Hadsch, die muslimische Pilgerfahrt, ist in vollem Gange. Mehr als 1.000 Menschen füllen die Große Moschee von Mekka, die heiligste Stätte des Islam. Augen in aller Welt sind auf Saudi-Arabien und dessen Königsfamilie gerichtet. Dann schlagen sie zu.

Mehrere Hundert Bewaffnete – darunter Frauen und Kinder – stürmen die Moschee. Auf den Minaretten postieren sie Scharfschützen und nehmen Tausende Pilgerinnen und Pilger als Geiseln. Die Scharia muss regieren, fordern sie. Und: Das ungläubige saudische Königshaus muss gestürzt werden!

Die Besetzung der Großen Moschee war das folgenschwerste islamistische Attentat des 20. Jahrhunderts – ein Anschlag, der sich mit dem 11. September 2001 messen kann. Das Königshaus setzte er so stark unter Druck, dass es in der Folge den Forderungen der Hardliner im Land mehr und mehr nachgab und Saudi-Arabien zu dem umbaute, was es heute ist.

Diesem Schlüsselereignis der arabischen Geschichte hat der Filmemacher Dirk van den Berg eine Doku gewidmet. Unter seinen prominenten Protagonisten ist auch Nasser al-Huzaymi. Der Iraker hatte sich früh der Gruppe um den radikalen Prediger Dschuhaiman al-Utaibi angeschlossen. „Dschuhaiman“, erinnert er sich, „hatte Charisma wie Che Guevara.“ Doch der saudische Che wurde immer radikaler. Das Ende der Welt stehe bevor, der Mahdi, eine Art islamischer Messias, sei gekommen. Al-Huzaymi verließ die Gruppe, bevor sie zuschlug. Und überlebte.

Im heutigen Saudi-Arabien ist Dschuhaiman einem jeden ein Begriff. Der Beduine hatte in der Nationalgarde gedient und in Medina Islam studiert, bevor er sich in den 70er Jahren endgültig radikalisierte und die bis heute andauernde Islamisierung Saudi-Arabiens einleitete.

Es war einmal ein anderes Saudi-Arabien

Im vergangenen Jahr versprach Kronprinz Muhammad bin Salman: „Saudi-Arabien war vor 1979 nicht wie heute. Wir wollen zu dem zurück, was wir vorher waren, zum moderaten Islam.“ Der Aufruhr in Mekka, er war ein Schock für das Land, in dem sich Frauen nicht verschleiern mussten, in dem Auto fahren allen erlaubt war, in dem es Kinos gab und Konzerte.

Mo., 22.45 Uhr, ARD, „Mekka 1979 - Urknall des Terros?"; Doku von Dirk van den Berg

Doch mit eben dieser „Verwestlichung“ hatten Dschuhaimans radikale Jünger wie auch weite Teile des religiösen Establishments ein Problem. Wie überzeugt die Angreifer von ihrer Mission gewesen sein müssen, zeigte sich in den zwei Wochen nach Beginn der Besetzung.

Die Regierung stand vor einem Dilemma: Würde das Königshaus die heilige Moschee mit Waffengewalt angreifen? Nach mehrtägigen Verhandlungen erlaubte der Hohe Rat der Rechtsgelehrten der Armee in einer Fatwa, den heiligen Bezirk zu betreten. Eine Schlacht folgte, die Hunderten Besatzern, Soldaten und Geiseln das Leben kostete.

Gas-Einsatz an der Heiligen Stätte

Als das Militär schließlich mehr als eine Woche nach dem Angriff den Innenhof der Moschee zurückeroberte, verschanzten sich die Angreifer in den Kellergewölben. „So kam die Idee auf, Gas einzusetzen“, erinnert sich Turki al-Faisal, damals Chef des saudischen Geheimdienstes. Am 29. November machen sich drei Mitglieder der französische Spezialeinheit GIGN auf den Weg nach Mekka. „Wir nahmen 300 Kilo reines CS-Gas mit“, erinnert sich Christian Prouteau, langjähriger GIGN-Chef.

Schließlich beginnen die Sicherheitskräfte, mithilfe der französischen Eliteeinheit die Gewölbe mit dem hochkonzentrierten Tränengas anzugreifen. Raum für Raum kämpfen sie sich vor. Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Menschen getötet wurden. Offiziellen Angaben zufolge waren es mehrere Hundert. Doch “was heißt hunderte Tote?“, fragt Paul Barril, stellvertretender GIGN-Kommandeur, im Gespräch mit van den Berg. „Wer hat sie gezählt? Ich denke, es waren mehr als 1.000.“

Im letzten Raum setzt das Militär Dschuhaiman und einige Kämpfer schließlich fest. Zusammengepfercht sitzen sie in den Gewölben. Erschöpft, besiegt, entmutigt. Einen Monat später, am 9. Januar 1980, werden sie in einer großangelegten Massenhinrichtung getötet.

Was bewegte die Angreifer zu ihrer Tat? Was ging in ihren Köpfen vor? Aus welchem Umfeld kamen sie? Diese Fragen stellt der Filmemacher nicht. In „Mekka 1979“ bleiben die Islamisten ein fanatischer Haufen durchgeknallter Fundamentalisten.

Die Geschehnisse aber erzählt van den Berg sachlich und mitreißend nach. Und schildert, wie die Besetzung die Saudis zu einer der konservativsten Gesellschaften der Welt werden ließ. Dschuhaiman, so fasst es der Journalist Khalid al-Maeena in der Doku zusammen, habe die Schlacht verloren, den Krieg aber habe er gewonnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.