Hilfsmittel bei Wettkämpfen: Schneller, höher, stärker
Die Enhanced Games möchten alle Hilfsmittel erlauben, die bei Olympischen Spielen verboten sind. Was ist am Leistungssport überhaupt noch natürlich?
Endspurt in der zehnten Etappe der Tour de France 1997 nach Andorra, Jan Ullrich beginnt den Anstieg, der sich über Serpentinen hoch in die Pyrenäen windet. Immer wieder dreht er den Kopf, schaut über die Schulter. Nur wenige Meter trennen ihn von seinem Verfolger, dem Italiener Marco Pantani. Ullrich zieht an, legt den Körper in den Lenker. „Jetzt räumt er die Gegner richtig ab“, brüllt eine Moderatorenstimme bei Eurosport, während „Ulle“ den Abstand vergrößert und schließlich seinen ersten Etappensieg einfährt. Später folgt der Sieg der Tour. Jan Ullrich wird zur deutschen Radsportlegende – bis 2006 herauskommt, dass er unter anderem mit Epo gedopt hat und er für sämtliche Wettkämpfe gesperrt wird.
Epo ist ein Hormon, das die Produktion von roten Blutkörperchen im Blut anregt. Künstlich zugeführt, wie bei Ullrich, verbessert es die Ausdauer durch eine erhöhte Menge roter Blutkörperchen. Es kann aber auch das Risiko für Thrombosen, Schlaganfälle und Herzinfarkte erhöhen. Seit 1990 ist es in internationalen Wettkämpfen verboten.
Die verbesserten Spiele
Bis jetzt. Eine neue Sportveranstaltung möchte das Medikament zulassen. Enhanced Games, auf Deutsch „verbesserte Spiele“, lautet ihr Name. Hier hätte man Ullrich für seinen Konsum gefeiert, ja sogar dazu ermutigt, weiter zu spritzen. Auch alle anderen Dopingmittel sollen bei der Veranstaltung erlaubt sein. Ab dem kommenden Jahr soll sie stattfinden. Das klingt erst mal absurd, aber wie natürlich ist Leistungssport überhaupt?
Überhaupt nicht, würde die Antwort lauten, ginge es nach den Enhanced Games. Drogen, anabole Steroide so wie Hilfsmittel jeglicher Art sollen erlaubt sein, um Athlet:innen zu neuen Bestleistungen zu verhelfen. Damit möchte man ein Gegenmodell zum herkömmlichen Sport und speziell den Olympischen Spielen etablieren.
Wagniskapitalgeber haben bereits mehrere Millionen Dollar in das Projekt investiert. Der größte von ihnen ist Peter Thiel, Paypal-Mitgründer, Superliberaler und Großspender für Donald Trump. Athlet:innen werden mit hohen Preisgeldern gelockt. Für einen neuen Weltrekord sollen Sportler*innen eine Million Euro erhalten.
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Ob die verbesserten Spiele Realität werden, ist jedoch fraglich. Irgendwann in der zweiten Jahreshälfte von 2025 sollen die Spiele das erste Mal stattfinden. Ursprünglich war der Termin mal auf 2024 gesetzt. Bis heute ist der Austragungsort unbekannt.
Die internationale Sportgemeinschaft zeigt sich über die Idee empört. „Wenn man jegliche Art von Fair Play (…) vernichten möchte, wären die Enhanced Games eine gute Möglichkeit, um das zu erreichen“, schreibt das Internationale Olympische Komitee (IOC) in einem Statement. Ein schlechter Witz sei die Sportveranstaltung in den Augen von Sebastian Coe, dem Präsidenten des Welt-Athletikverbands WA.
Was die meisten Sportveranstaltungen von den verbesserten Spielen unterscheidet: Sie halten sich an die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Diese gibt in einer jährlich aktualisierten Liste vor, welche Hilfsmittel, Substanzen oder Trainingstechniken erlaubt sind und welche nicht.
Damit möchte die Wada den „Geist des Sports“ wahren. Dieser Geist bestehe darin, den Wettkampf zwischen natürlichen Athleten aufrechtzuerhalten und „den menschlichen Körper zu zelebrieren“.
Unnatürliche Hilfsmittel
Aber wie natürlich ist der Wettkampf bei herkömmlichen Sportveranstaltungen wie den Olympischen Spielen oder der Tour de France? Schließlich machen sich Sportler:innen auch heute schon Technik und Wissenschaft zunutze, um den entscheidenden Zentimeter höher zu springen und die Millisekunde schneller zu laufen.
Beim simulierten Höhentraining etwa setzen sich Athlet:innen einem künstlich erzeugten Sauerstoffmangel aus. Dafür begeben sie sich in Kammern, die den Luftdruck verändern, oder trainieren mit Masken, die die Sauerstoffzufuhr reduzieren. Als Folge produziert der Körper mehr Epo, damit sich mehr rote Blutkörperchen im Blut befinden, um den geringeren Sauerstoffgehalt auszugleichen. Wenn man das Training oft genug wiederholt, bleibt der erhöhte Gehalt an roten Blutkörperchen auch während des Wettkampfs bestehen und sorgt dafür, dass Athlet:innen mehr Ausdauer haben.
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So hat Höhentraining denselben Effekt wie die künstliche Epo-Zufuhr: ein erhöhter Gehalt roter Blutkörperchen im Blut. Warum ist das eine erlaubt, aber das andere nicht?
„Natürlichkeit im Sport meint, dass die Kraft bei einem Wettkampf im Wesentlichen vom Körper erbracht werden muss“, sagt Gunter Gebauer, Sportphilosoph an der Freien Universität Berlin. Dass man künstliche Mittel einsetzt, um die Kraft des Körpers zu stimulieren, sei mit diesem Ideal zu vereinbaren, solange sichergestellt wird, „dass der Körper die Instanz ist, die die Leistungssteigerung bewirkt“.
Keine klare Grenze
Doping beginnt also dort, wo die Kraft des Körpers auf eine Art und Weise erweitert wird, die über die körperlichen Grenzen hinausgeht. „Substanzen werden verboten und gelten als Dopingmittel, wenn sie eine unphysiologische Reaktion hervorrufen“, sagt Gebauer.
Beim Höhentraining schüttet der Körper das Epo dabei selbst aus. Um es mit den Worten der Wada auszudrücken: Höhentraining steigert das „natürliche Talent des Körpers“, Epo-Doping nicht.
Prothesen als Streitpunkt
Ein weiterer Schauplatz, auf dem über die Frage der Natürlichkeit gestritten wird, sind Prothesen im Leistungssport. Der WA verbot sie als technische Hilfsmittel in verschiedenen Fällen bei den Olympischen Spielen. „Die Prothese, die Athlet:innen beim Sport benutzen, ist nicht die Prothese, die sie auch im Alltag benutzen. Sie wird nur für den Sport gebraucht. Das unterscheidet sie vom körpereigenen Bein“, sagt der Sportphilosoph. Auch aus der Biomechanik gibt es Stimmen, die die Vergleichbarkeit von Prothesen und Körperteilen anzweifeln.
Mit der Idee des natürlichen Wettkampfs lässt sich ein Verbot von Prothesen also erklären. Wie sinnvoll das ist und inwiefern es mit dem Ziel der Gleichstellung kollidiert, ist eine andere Frage.
Ein Katz-und-Maus-Spiel
Während die Doping-Kontrolleur:innen immer neue Nachweismethoden entwickeln, sind die Dopenden immer auf der Suche nach neuen Mitteln. „Man kann immer nur die Hilfsmittel aus dem Sport verbannen, deren unnatürliche Wirkung nachgewiesen wurde“, sagt Gebauer. Weil Sportartikelhersteller und Pharmakonzerne regelmäßig neue Produkte auf den Markt bringen, öffnen sich immer wieder Zeitfenster, in denen eine Technologie oder ein Medikament erlaubt ist, weil man den Doping-Effekt einfach noch nicht nachweisen kann.
Neuartige Sprintschuhe, wie sie Athlet:innen bei den Olympischen Spielen 2024 trugen, könnten so ein Mittel sein. „Super Spikes“ nennt sich die neue Schuhart. Eine Carbon-Platte in der Mittelsohle und einen speziellen Schaumstoff sollen den Schuh leichter und dynamischer machen.
Eine kürzlich erschienene Studie der Universität Michigan fand heraus, dass die Schuhe die Leistung der Athlet:innen um bis zu zwei Prozent steigern können. „Wenn die Schuhe die Leistung um zwei Prozent steigern, verfälschen sie den Wettkampf völlig“, sagt Gebauer. „Ich gehe stark davon aus, dass sie verboten werden.“ Noch aber sind sie erlaubt.
Die britische Zeitschrift The Telegraph hat die Leichtathletikrennen ab 800 Meter aufwärts untersucht und festgestellt: Alle Goldmedaillen wurden von Athlet:innen mit Super Spikes gewonnen.
Streben nach einem Ideal
Was unterscheidet herkömmliche Sportarten also von den Enhanced Games? Schließlich gibt es auch hier Hilfsmittel wie die Super Spikes. Das Epo-Höhentraining zeigt aber: ob natürlich oder unnatürlich kann im Endeffekt aufs Gleiche hinauslaufen. „Eine ganz klare Grenze zu den Enhanced Games wird man nie ziehen können“, sagt Gebauer.
Als Ideal wird im herkömmlichen Sport Natürlichkeit angestrebt. Das unterscheidet ihn von den Enhanced Games – einer Veranstaltung, bei der die beste Substanz das Rennen gewinnt, die beste Prothese das schwerste Gewicht stemmt. „Wenn man das Ideal der Natürlichkeit aufgibt, geht im Sport eine große Qualität verloren“, sagt Gebauer. „Die Faszination bei einem Sprint besteht eben darin, dass man nicht auf einem Moped sitzt oder angeschoben wird, sondern die Kraft mit dem Körper verrichtet.“
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