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Hildesheimer Sammlungsgeschichte„Zunächst sammelten nur Fürsten“

Weil sein Gründer Hermann Roemer jetzt 200 Jahre alt würde, unterzieht das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum dessen Ideen einer kritischen Würdigung.

Viele Stücke würde ich heute aus ethischen Gründen nicht kaufen“, sagt die Direktorin: Indian-Aborigines-Kunsthandwerk aus der ethnologischen Sammlung des Hildesheimer Museums. Foto: Roemer- und Pelizaeus-Museum
Interview von Kornelius Friz

taz: Frau Schulz, was zeigen Sie in der Ausstellung „Welt Weites Wissen“?

Regine Schulz: Es ging uns um die Ideen, mit denen Hermann Roemer und andere Hildesheimer Bürger 1844 das Museum gegründet haben. Damals waren naturkundliche und archäologische Objekte aus der Region zu sehen, andererseits konnte Roemer über Kollegen geologische und kunsthistorische Exponate aus aller Welt akquirieren. Neben seinem Schreibtisch, historischen Pfeilspitzen, chinesischen Vasen und altägyptischen Gegenständen zeigen wir etwa das Foto eines über 10.000 Jahre alten Riesenhirschs, wie er zu Roemers Lebzeiten ausgestellt war – und zugleich steht das Originalskelett daneben.

Es geht also um die Entwicklung musealer Konzepte?

Ja, wir wollen wissen, wie das entstanden ist, was jetzt ist. Zunächst sammelten ja nur Fürsten und Könige. Erst mit der Aufklärung, der Roemer und seine Zeitgenossen verpflichtet waren, ging es beim Sammeln und Ausstellen auch um Konzepte und Bedeutung, nicht mehr nur um Ästhetik und Kuriositäten.

Im Interview: 

62, Kunsthistorikerin und Archäologin, seit 2011 Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim. Lehrte davor an der Johns Hopkins University in Baltimore.

Hermann Roemer war ein wichtiger Lokalpolitiker des 19. Jahrhunderts. Welche Bedeutung hat er für das Roemer- und Pelizaeus-Museum?

Das Museum gehörte zu den ersten bürgerlichen Sammlungen in Norddeutschland. Roemer war nicht nur Jurist, sondern auch naturwissenschaftlich interessiert und zudem ein großer Denkmalschützer. Begleitend zu „Welt Weites Wissen“ zeigen wir im Rathaus eine Bilderausstellung von Bauten und Denkmälern, für die er sich eingesetzt hat. Etwa das Knochenhauer-Amtshaus und die Michaeliskirche gäbe es ohne ihn nicht mehr so, wie wir sie heute kennen. Das Wissen, das er sammelte, wollte er mit den Hildesheimer Bürgern teilen – deshalb hat er sich zum Beispiel für Wochentage mit kostenfreiem Eintritt eingesetzt.

Entsprechen die damaligen Erwerbungen den heutigen Standards – rechtlichen und moralischen?

Ja und nein. Das heutige Recht kann nicht rückwirkend auf Anschaffungen von 1899 angewandt werden. Natürlich betreiben wir Provenienzforschung, um zu erfahren, welche Objekte wie zu uns gekommen sind. Das ist jedoch sehr aufwendig und teuer, zumal wir Exponate aus allen Kontinenten haben – aber eben nicht alle jeweiligen Spezialisten. Ich konzentriere mich zurzeit auf Ernst Ohlmer, der nicht nur Seezoodirektor des Chinesischen Kaisers war, sondern auch einer der ersten Fotografen, die sich im kaiserlichen China kritisch mit der deutschen Außenpolitik auseinandergesetzt hatten. Wir legen also großen Wert darauf, zu wissen, wer die Sammler waren und ob es Objekte gibt, die wir heute zurückgeben könnten.

Wie schützen Sie sich davor, Objekte aus Raubgrabungen oder sonstwie zweifelhafter Provenienz aufzukaufen?

Mit dem internationalen Museumsrat ICOM, bei dem ich im Vorstand und in der Ethikkommission sitze, entwickeln wir rote Listen illegal ausgegrabener Objekte. Diese sind ein Hilfsmittel, den Ausverkauf von Kulturgütern gefährdeter Kulturen und aus Krisengebieten zu verhindern. Viele Stücke würde ich heute aus ethischen Gründen nicht kaufen, wenn sie mir angeboten würden. Niemand kann sich zu 100 Prozent vor gefälschten Provenienzen schützen. Trotzdem soll nicht vergessen werden, dass ein Museum sammeln soll und muss, um Natur- und Kulturgüter für die nächsten Generationen zu erhalten und zu bewahren.

Bei Ihrer Ausstellung „Schätze für den Kaiser“ gab es Probleme mit den Exponaten: Private Sammler wollten ihre Leihgaben zurückziehen – aus Angst vor dem Kulturgutschutzgesetz, das im Juni verabschiedet wurde.

Die Besitzer der Leihgaben, eine chinesische Familie, die schon lange in Deutschland lebt und auch seit Generationen Kunst sammelt, hatten Sorgen, dass sie ihre Objekte nicht mehr ins Ausland verkaufen dürften. Falls diese etwa als politisches Geschenk nach Deutschland gekommen sind und darum hierzulande an kunsthistorischer Relevanz gewonnen haben, hätte dies durchaus sein können. Da der deutsche Markt für chinesische Kunst zwar gut ist, mit dem heimischen und nordamerikanischen aber nicht mithalten kann, war die Sorge der Leihgeber nachvollziehbar.

Nun wird die Sonderausstellung doch wie geplant gezeigt.

An dieser Stelle danke ich dem Kultusministerium Niedersachsen, das uns sehr schnell und schriftlich bestätigt hat, dass die entsprechenden Exponate nicht unter das neue Kulturgutschutzgesetz fallen. Ich bin froh, dass wir dem finanziellen Schaden entgehen konnten und die Schau wie geplant bis Januar zeigen können. Im kommenden Jahr wollen wir sie in Kooperation mit unseren chinesischen Kollegen auch in Beijing zeigen.

Wäre das neue Gesetz im Sinne des Sammlers Hermann Roemer?

Ich glaube schon. Er war ein fortschrittlich denkender Mensch des 19. Jahrhunderts. Ihm war wichtig, viel über die ganze Welt zu erfahren. Aber natürlich hatte auch er damals noch das Bild von hochstehenden und weniger hochstehenden Kulturen. Das erste Kulturgutschutzgesetz gab es zu Zeiten Roemers in Ägypten und es wurde schon oft angepasst. Auch die Briten und Italiener haben wegen der zahlreichen Raubgrabungen viel früher damit angefangen, ihr Kulturgut zu schützen.

Gab es dort weniger Streit?

Hierzulande wurde das Thema sehr hitzig und mit vielen Ängsten diskutiert. Anscheinend kommen auch viele Sammler zum Ministerium und wollen ihre Werke explizit als Kulturgut gewertet wissen, während zeitgenössische Künstler wie Georg Baselitz Sorge hatten, ihre an Museen ausgeliehenen Werke nicht ins Ausland verkaufen zu können. Ich bin gespannt auf die wissenschaftliche Evaluierung in zwei Jahren.

Nach dem 1.200-jährigen Jubiläum der Stadt und dem „Tag der Niedersachsen“ bewirbt sich Hildesheim als europäische Kulturhauptstadt 2025. Wie geht ein kommunales Museum damit um?

Hildesheim hat für seine Größe eine beachtliche, sehr aktive Kunstszene. Anders als unser Theater stehen wir aber nur auf einem finanziellen Bein – der Stadt Hildesheim. Für ein Museum mit dem Umfang eines Landesmuseums ist das eindeutig zu wenig, auch wenn uns zahlreiche Stiftungen regelmäßig unterstützen.

Das heißt?

Hildesheim als Kulturhauptstadt wäre sicher auch für das Museum eine großartige Sache. Zugleich würde der Konkurrenzkampf um die wenigen Gelder für Bildung und Kultur dabei noch größer. Viele gesellschaftliche Probleme sind entstanden, weil wir unsere eigene Geschichte und Wurzeln nicht mehr kennen. Deshalb sind Museumseinrichtungen heute wichtiger denn je. Wenn daran immer mehr gespart wird, halte ich das für eine gefährliche Entwicklung.

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