Hetze gegen Berliner Flüchtlingsheime: Nazis im Eierregen
Mit einer Tour durch Berlin wollte die NPD am Samstag gegen Flüchtlingsheime mobilisieren. Ein Dutzend Nazis traf dabei auf mehrere hundert GegendemonstranInnen.
BERLIN taz | Mit einer „Anti-Asyl-Tour“ versuchte sich die NPD am Samstag in Berlin. Vor fünf Orten, an denen Flüchtlinge untergebracht sind, wollte die rechtsextreme Partei Kundgebungen abhalten. Bereits letzte Woche hatte sie mit AnwohnerInnen auf einer Info-Veranstaltung in Hellersdorf gegen eine Unterkunft gehetzt.
Doch diesmal ernten die Rechtsextremen herben Protest. Rund 500 GegendemonstrantInnen sammeln sich am Morgen auf dem Kreuzberger Moritzplatz, einige schlürfen noch verschlafen an Kaffeebechern. Parteifahnen wehen im Wind, ein Trompeter spielt. Nur die NPD kommt nicht.
Nach einer Dreiviertelstunde ist klar: Es bleibt dabei. Offenbar kapitulieren die Neonazis vor der Menge der Protestierenden. „Hier wird es heute keine Kundgebung der NPD mehr geben“, verkündet die Polizei per Durchsage. Und erntet - eine Seltenheit – Applaus der linken Demonstranten. „Das haben die Kreuzberger verhindert“, freut sich ihr grüner Bürgermeister Franz Schulz. „Hier Fahnen zu schwingen, den Triumph hätte sich die NPD nicht nehmen lassen.“
Auch bei der Polizei glaubt man nicht an eine geplante Finte der Neonazis. „Hätten wir das gewusst, hätten wir hier sicher nicht so viele Beamte“, sagt ein Sprecher. 300 Polizisten sind den ganzen Tag im Einsatz. Vorm Flüchtlingscamp am Oranienplatz, wohin die NPD ursprünglich wollte, wird derweil ein mit Transparenten geschmückter Doppeldeckerbus voller Gegendemonstranten mit Applaus verabschiedet - gen Hellersdorf.
„Ihr seid lächerlich“
Dort erwarten etwa 800 Gegendemonstranten die knapp 15 NPDlerInnen – darunter der Berliner NPD-Chef Schmidtke- , die im geschlossenen Lastwagen angereist sind, auf dem Sprüche wie „Raus aus dem Euro“, „Heimat bewahren“ und „Unterwegs für deutsche Interessen“ steht.
Zu hören sind die Reden der Rechtsextremen nicht, die Gegendemo macht zu viel Lärm mit Pfeifen, Hupen, Musik und Sprechchören wie „Haut ab“und „Ihr seid lächerlich“. NPD-Redner werden mit Eiern beworfen, weshalb es zu Rangeleien zwischen GegendemonstrantInnen und Polizei kommt. Die geht robust und teilweise brutal gegen die überwiegend friedlichen Gegendemonstranten vor, die mit Sprechchören die Freilassung Festgenommener fordern. Auch Pressevertreter werden beiseite gedrängelt, um mutmaßliche Störer aus den Mengen zu holen.
Ein Festgenommener wird äußerst brutal mit dem Kopf im Schwitzkasten abgeführt. Was man ihm genau vorwirft, kann der anwesende oberste Pressesprecher der Polizei, Stefan Redlich, ad hoc nicht sagen: Es solle etwas auf Polizisten geworden worden sein, so seine vage Anwort.
Versteckt hinter Regenchirmen
Nach Reinickendorf folgt dann noch etwa die Hälfte der GegendemonstrantInnen dem kleinen Häufchen der Nazis. Wegen einer Straßenblockade einiger NazigegnerInnen geleitete die Polizei den NPD-LKW auf der Gegenfahrbahn zum vorgesehenen Standort.
DemonstrantInnen, die versuchten, auch diese Seite der Fahrbahn zu blockieren, werden von Polizisten ohne langes Fackeln oder Reden beiseite geschubst. Auch in Reinickendorf werden die Reden der Rechten nicht verständlich und zu sehen sind sie auch kaum mehr, obwohl die Polizei die Gegendemo bis auf knapp zehn Meter an den Nazi-Wagen heran lässt: Hinter Regenschirmen verstecken sie sich vor weiteren Wurfgeschossen.
Ähnliche Szenen spielen sich später auch in Westend und Marienfelde, den restlichen NPD-Stopps ab. Auch hier wird, obgleich mit weniger Demonstranten, gepfiffen und gelärmt. In Wittenau bringen Straßenblockierer den NPD-Laster kurzzeitig zum Stehen. Insgesamt nimmt die Polizei elf Gegendemonstranten fest.
Am Abend dankt Innensenator Frank Henkel (CDU) der Berliner Polizei für ihren Einsatz. „Es war kein einfacher Job, in einer aufgeheizten Stimmung für einen weitgehend friedlichen Ablauf aller Veranstaltungen zu sorgen", erklärte er. Es freue ihn, dass die Hetze der NPD nicht unwidersprochen geblieben sei. Gleichzeitig habe die Polizei beide Seiten erfolgreich trennen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl