Heringsbestand in der Ostsee: Gefährdete Delikatesse
Hering aus dem Bottnischen Meerbusen? No way! Das ist die klare Ansage des WWF-Fischratgebers. Was wird nun aus Schwedens traditionellem Surströmming?
Stockholm taz | Dass es dem Ostsee-Hering gar nicht gut geht, gibt es längst schriftlich. Bereits Ende August empfahl die EU-Kommission, den Heringsfang im Bottnischen Meerbusen ganz einzustellen. Nun hat der Umweltverband WWF reagiert und die dortige Population für bedroht erklärt. Weil der Bestand auf der schwedischen Seite des nördlichen Ausläufers der Ostsee überfischt ist, stellt er die Ampel für den Heringsfang dort in seinem aktuellen Fischratgeber von Gelb auf Rot.
Der WWF-Fischratgeber ist ein Einkaufsleitfaden, mit dem der Umweltverband regelmäßig versucht, die aktuelle Situation in den Meeren in Empfehlungen für VerbraucherInnen zu übersetzen, die nachhaltig einkaufen wollen. Rot bedeute „Finger weg“, sagt Inger Melander, Fischexpertin beim WWF-Schweden: „Man soll ihn weder essen noch fangen.“
Dass diese Einstufung für Hering, der im Nordostatlantik und vor Island gefangen wird, nicht gilt, ist für schwedische Gourmets kein Trost. Denn der Hering, der für eine traditionelle Delikatesse gefangen wird, den Surströmming, stammt aus dem Bottnischen Meerbusen. Wobei ein Spätsommer ohne diesen „sauren Hering“ – er wird durch Milchsäuregärung konserviert, was ihm einen intensiven Geruch verleiht – für viele SchwedInnen nahezu undenkbar ist.
Vor allem in Nordschweden gehört die gemeinsame Surströmming-Mahlzeit zu den gesellschaftlichen Höhepunkten des Jahres. Und seit Jahren zurückgehende Fänge haben bereits dazu geführt, dass die auf den Surströmming spezialisierten Betriebe oft nur noch einen Bruchteil der Nachfrage decken können.
Internetpreise explodieren
In den vergangenen beiden Jahren war das Angebot so reduziert, dass manches Surströmming-Fest ausfallen musste und Lokalzeitungen von regelrechten Tumulten beim Streit um die letzten Dosen berichteten. Im Internet erzielten versteigerte Konservendosen, die einen Ladenpreis von umgerechnet rund 10 Euro haben, Preise von bis zu 200 Euro.
In diesem Jahr meldete ein Supermarkt in Kramfors zum Verkaufsstart Mitte August eine 300 Meter lange Schlange wartender KundInnen. Nur mit „gemeinsamen Kräften“ sei es ihnen glücklicherweise gelungen, genügend Dosen für ihr gemeinsames Fest zu beschaffen, freute sich eine Pensionärsvereinigung aus Lycksele im Folkbladet Västerbotten.
In einem Leitartikel forderte die Regionalzeitung jetzt alle Surströmming-Fans auf, sich nicht um die letzten Dosen zu raufen, sondern sich im Kampf gegen eine seit Jahrzehnten verfehlte EU-Fischereipolitik mit viel zu hohen Fangquoten zu vereinigen. Bedroht sei nicht nur eine geliebte Delikatesse, sondern eine wichtige Schlüsselart für das gesamte Ökosystem der Ostsee. Schließlich diene der Hering nicht nur größeren Fischen als Nahrung, sondern halte mit seinem Appetit auch den Bestand des Stichling in Grenzen, der sich von Fischeiern und Larven ernährt und damit den Bestand anderer Arten gefährdet.
Leser*innenkommentare
Budzylein
Der Artikel erklärt leider nicht, wieso man Surströmming nicht auch aus Hering herstellen kann, der im Nordostatlantik gefangen wird.
Martin Rees
Vielleicht haben die Isländer*innen am ehesten etwas geschmacklich Vergleichbares.
Grundsätzlich sollte das Produkt auch anderweitig hergestellt werden können.
Neulich bei zeit.de
"Veganer Thunfisch, Frischer Visch
Unser Kolumnist Henning Sußebach hat veganen Thunfisch probiert, nachträgliches Aufstoßen und Völlegefühl inklusive."
Und was bieten die westlichen Insel-Nordländer*innen im Original?
"Das raue Klima der Insel und die langen Winter machten es notwendig, dass Fleisch oder eben auch Fisch getrocknet, in Salz eingelegt oder auch fermentiert wurden. Nur so gab es über die kalten Monate hinweg was zu essen. Die alten Methoden haben sich noch bis heute gehalten. Nach dem der Grönlandhai gefangen wird, wird er wie jeder andere Fisch ausgenommen und entgrätet. Die Harnstoffe, die zu diesem Zeitpunkt im Blut vorhanden sind, machen das Fleisch ungenießbar. Deshalb braucht es Monate bis diese aus dem Fleisch verschwunden sind."