piwik no script img

Herbstvorboten im CoronajahrDas Spiel ist aus

Aufregend war schon lange nichts mehr. Alles plätschert so dahin, wie der Regen ans Fenster. Und jetzt kommt auch noch der Herbst.

Herbst! Foto: Michaela Rehle/DEEPOL/plainpicture

Herbstsaison. Die große Depression. Herbst. Das Spiel ist aus. Jetzt wird es ernst. Wer jetzt alleine bleibt, bleibt es lange und kommt unter Umständen nicht durch.“ Die Zeilen habe ich aus dem Magazin, das mir mein Bürokollege vor dem Altpapier gerettet hat. Das Magazin heißt Sounds, die Ausgabe stammt aus dem Jahr 1982: 12/1982, 3,50 DM. Sie stehen dort auf Seite 28, so beginnt ein Text des geschätzten Kollegen Detlef Diederichsen, in dem er herrlich mäandernd über den Herbst 1982 berichtet, den politischen, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, wie den musikalischen (samt echter Konzerte mit Publikum!), der den Autor allerdings eher kalt ließ.

Zuvor aber beschreibt er die saisonale Auslagengestaltung eines Buchladens in seiner Nachbarschaft. Der gesamte Schaukasten sei dort mit Herbstlaub ausgefüllt worden, um Stimmung für den Herbstlyriker schlechthin, Rilke natürlich, und unser aller Herbstgefühl zu machen. „Wirklich großartig finde ich“, so schreibt Diederichsen, „daß man den Herbst hier wirklich als Problem vorstellt, das den arbeitenden Menschen ebenso stark zu schaffen macht wie Lohnpause und Bundesliga.“

Diederichsen konnte 1982 freilich nicht ahnen, wie problematisch sich im Jahr 2020 schon die Vorboten des Herbstes, die quasi ohne Übergang auf das Bangkok-Wetter der vergangenen Wochen über Berlin hereinbrachen, anfühlen würden.

In diesem Vorherbst umschlingt einen die Melancholie wie ein abgetragener Trenchcoat. Die Fallzahlen steigen wieder. Für all die schönen Outdooraktivitäten, mit denen man sich in der heißen Zeit von der Pandemie ablenkte, scheinen die Tage gezählt. Draußen geht bald wohl nicht mehr viel und Drinnen ist ein Problem. Dieser Herbst ist wirklich ein Problem.

Als wir vor ein paar Wochen mit dem Aufräumen unseres Gemeinschaftsbüros begannen und dabei jene Sounds fanden, waren wir eigentlich schon reichlich spät dran. Nicht nur, weil die Zeitschriften- und Bücherstapel sich dort schon etwas länger vom Staub berieseln lassen. Nein, alle außer uns haben das Thema Entrümplung 2020 ja schon längst durch, haben das schon im Frühling, während des Lockdowns erledigt. So akribisch sogar, dass Wertstoffhöfe im ganzen Land wegen Überfüllung schließen mussten.

Was früher alles aufregend war

Ziemlich voll wurde bei uns zumindest die Papiermülltonne hinter dem Haus. Dabei habe ich nicht nur die Sounds, sondern noch ein paar Hefte mehr vor dem Recycling bewahrt. Unverständnis erntete ich beispielsweise, weil ich mich nicht von ein paar Modemagazinen aus den Jahren 2011 bis 2015 trennen wollte.

Dicke Wälzer, zugegeben, aber wenn ich sie im Regal stehen sehe, weiß ich noch genau, wie aufregend es damals war, als ich eine der Redakteur*innen kennenlernte. Bei meinem ersten Besuch auf der Berliner F­ashion Week war das, die ich da ebenfalls noch total aufregend fand. Richtig aufregend war es dann, als mir jene Redakteurin ein paar Monate später einen Textauftrag für ebendieses Magazin gab. Gerade kommt mir das noch viel länger her vor, als es ist, wie so vieles.

Überhaupt, all das Aufregende: „Diese aufregenden Veranstaltungen, bei denen wir früher immer waren, wo finden die jetzt eigentlich statt?“, hat J. an einem der letzten halbwegs warmen Abende gefragt, als wir gerade in irgendeinem Park resigniert auf den Beginn irgendeiner Performance warteten. Aufregend in diesem Sinne ist tatsächlich schon lange nichts mehr gewesen (auch jene Performance nicht). Alles plätschert so dahin wie der Spätsommerregen ans Fenster. Immerhin.

J., die aus Kanada stammt, erzählte dann nämlich noch, dass ihre Freund*innen aus Montreal sie mittlerweile darum bäten, nichts mehr von ihrem Berliner Post-Lockdown-Leben zu berichten. Viel zu aufregend. Kaum auszuhalten, erst recht zu dieser Jahreszeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Beate Scheder
Kulturredakteurin
Redakteurin für Berlinkultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Kunstkolumnistin beim taz Plan.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!