Herausforderungen beim Baum-Gesetz: Ein dorniger Gewaltmarsch
Viele, die den Erfolg der Baumentscheid-Initiative loben, sehen große Probleme bei der Umsetzung. Es geht um Geld und um die richtigen Standorte.
taz | Eins ist seit Montag klar: Berlin bekommt mehr Bäume. Aber wie viele genau? Da scheiden sich schon die Geister: „Fast 300.000 neue Bäume in den nächsten 15 Jahren“ hat die SPD-Fraktion überschlagen. Dagegen verkündet die Initiative Baumentscheid Berlin, Berlin werde bis 2040 „eine Million Straßenbäume“ haben.
Laut offizieller Statistik gab es in Berlin Anfang 2025 rund 439.000 Straßenbäume. Das heißt: Zwischen den Berechnungen von AktivistInnen und PolitikerInnen klafft schon eine Differenz von einer guten Viertelmillion Bäumen. Wer da falsch liegt, wird sich zeigen.
Dass die Zahlen der SPD näher an der Wirklichkeit liegen, könnte aber selbst dann wahrscheinlich sein, wenn die Vorgaben im Gesetz für die Million sprächen. Denn die Umsetzung dürfte eher ein dorniger Gewaltmarsch als ein schattiger Spaziergang werden. Viele BeobachterInnen, die dem Baumentscheid eigentlich wohlgesonnen sind, rechnen mit großen Widerständen und ähnlichen Problemen, wie bei der Realisierung des Mobilitätsgesetzes.
So mutmaßt der BUND, dass die schwarz-rote Politik den Zugewinn an Stadtgrün an anderer Stelle zunichtemacht: „Papier ist geduldig“, sagte Geschäftsführerin Gabi Jung zur taz. Sie verweist darauf, dass aktuell in der Torstraße, auf dem T-Damm und in der Ollenhauerstraße an die 200 ausgewachsene Bäume fallen sollen, weil schlecht geplant werde.
Der BUND fordert darum einen Hitzeschutz-Aktionsplan, der bestehendes Grün sichert, anstatt nur auf Aufwuchs zu setzen – der braucht naturgemäß viele Jahre, um wirksam zu werden. Trotzdem spricht der Verband von einem „großen Erfolg der Initiative“. Zuletzt hatte es noch andere Töne gegeben, Jung hatte das Gesetz als zu bürokratisch bezeichnet.
„Wie die Königin der Nacht“
Auch bei den Grünen sieht man der Umsetzung mit Skepsis entgegen. Für Benedikt Lux, den umweltpolitischen Fraktionssprecher, stellt sich die Frage, ob in den kommenden Jahren tatsächlich genügend Mittel bereitstehe, wenn kein Geld mehr aus dem Sondervermögen des Bundes da ist. Schon jetzt passe der zusammengeschrumpfte Umwelthaushalt nicht mit den Zielen des Gesetzes zusammen, findet Lux – diese Kürzungen müssten sofort zurückgenommen werden.
Im schlimmsten Fall ähnele der Erfolg beim Baumgesetz der „Königin der Nacht“, so der Grünen-Politiker zur taz, sprich: einer wunderschönen Blüte, die umgehend verwelkt. Er meint: „Der Kampf um die Bäume wird nun auf jedem Quadratmeter entschieden.“
Der größte Haken bei der Realisierung der Gesetzesvorgaben wird wohl die Frage nach dem richtigen Standort der Bäume sein. Der befindet sich nach den von der CDU durchgedrückten Änderungen nicht mehr vorrangig dort, wo bislang noch Autos parken, sondern auf dem „Unterstreifen“, dem äußersten Rand des Gehwegs.
Für Roland Stimpel vom FUSS e.V. ist das ein gravierender Fehler. Schon heute gebe es oft nicht die vorgesehene Mindestbreite für PassantInnen. Bäume würden deren Raum noch weiter einengen. Besonders paradox findet Stimpel, dass Asphalt und parkende Autos Wärme speicherten, die man ja mit den Baumpflanzungen reduzieren wolle: „Eigentlich ist das jetzt ein Erhitzungsschutzgesetz.“
Und noch einen Widerspruch gibt es: BaumschützerInnen weisen seit Jahren darauf hin, dass es für nachhaltiges Straßengrün wichtiger ist, die Baumstandorte konsequent zu erneuern, also weite und tiefe Wurzelräume zu schaffen. Das jedoch würde ein Vielfaches der jetzt veranschlagten Summe kosten.
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