Helfen in Kriegsgebieten: Bis an die Grenze
Sofie K. hat gerade ihr Abitur gemacht – und einen Plan. Sie möchte in der zerstörten syrischen Stadt Kobani helfen. Doch so einfach geht das nicht.
Am Donnerstag den 18. Juni wollte K. die Reise am Düsseldorfer Flughafen beginnen. Auf ihrem Ticket stand „Istanbul“, nicht „Kobani“. Doch die Bundespolizisten wussten offenbar, wen sie vor sich haben. Sie führten sie von der Passkontrolle in einen separaten Raum. Nach eigener Aussage wurde K. dort stundenlang vernommen. Der Vorwurf: Sie wolle nach Kobani, um auf Seiten der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG zu kämpfen. In ihrem Gepäck fanden die Beamten drei Fahnen mit dem Konterfei von Ivana Hoffmann.
Die 19-jährige Hoffmann starb im März als erste Deutsche im bewaffneten Kampf der YPG gegen den IS. K. kennt Hoffmann aus ihrer gemeinsamen Zeit bei Young Struggle. „Ivana hat mich sehr beeindruckt“, sagt sie. „Ihr Motto war, dass ihr Leben genauso viel wert ist wie das der Menschen in Palästina oder Kurdistan.“ Nun ist Hoffmann tot und für ihre Genossen eine „Freiheitskämpferin“.
Dass Hoffmann in den Kampf zog, nennt K. eine „selbstlose, schöne Entscheidung“. Ihr nacheifern will sie nicht. „Ich will nicht zum Kämpfen nach Syrien, ich fange am 1. Oktober an zu studieren“, sagt sie. Unterstützen wolle sie die Kobani-Solidaritätsbrigaden, die ein Gesundheitszentrum errichten wollen. Es ist ein Projekt der ICOR, ein Verbund orthodox-marxistischer Parteien. Hauptkoordinator der ICOR ist Stefan Engel, zugleich Vorsitzender der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD).
Pass weg, Ausweis weg
Offiziell gehört Young Struggle nicht zur MLPD, doch die Zusammenarbeit zwischen den Jugendlichen und der Kaderpartei ist eng. Zu vielen Aktionen ruft man gemeinsam auf, die Kobani-Aufbauhilfe bewirbt Young Struggle intensiv. Fünf Brigaden beteiligen sich zwischen Juni und September am Aufbau von vier Arztpraxen und eines OP-Saals. Wer teilnehmen will, muss sich bei der MLPD bewerben und Flugkosten und Verpflegung selbst tragen. Bislang wurden dafür 120.000 Euro, medizinisches Gerät und mehrere Tonnen Werkzeug gesammelt.
„Dass die BRD humanitäre Hilfe verhindert, ist krass“, sagt K. und fügt hinzu: „Menschen, die Hilfe leisten wollen, werden wie Terroristen behandelt.“ Nach der Befragung, die K. als „psychische Folter“ bezeichnet, wurde gegen sie ein Ausreiseverbot verhängt, Reisepass und Personalausweis einbehalten.
Doch der Entzug des Ausweises wirft Fragen auf. Dazu befugt sind deutsche Behörden erst seit dem 30. Juni – zwei Wochen nach der Maßnahme gegen K. An diesem Tag trat das überarbeitete Personalausweisgesetz in Kraft, das die Ausreise von Personen, die „insbesondere im Zusammenhang mit dem dschihadistischen Terrorismus stehen“, verhindern soll. Auf welcher Rechtsgrundlage K. der Personalausweis entzogen wurde, wollte die Bundespolizei der taz nicht im Detail beantworten.
Das Bundesjustizministerium teilte auf Anfrage mit, „dass Ausreisen deutscher Staatsbürger in Kriegsgebiete zum Zweck des Kämpfens nicht grundsätzlich strafbar sind“. Maßgeblich für ein Ausreiseverbot seien terroristische Bestrebungen. Verhindert werden sollen, „staatsgefährdende Gewalttaten“ – ein entsprechendes Gesetz wurde im Juni verschärft.
Konkret heißt das: Das Kämpfen aufseiten der von der Bundesrepublik unterstützten kurdischen Peschmerga sollte möglich sein. Denn der bekämpfte IS ist im Sinne der Vorschrift nicht als Staat zu begreifen. Anders verhält es sich bei der YPG, die eng mit der in Deutschland als terroristisch geltenden PKK verbandelt ist. Wer in ihren Reihen kämpfen will, macht sich nach deutschem Recht der „Unterstützung ausländischer terroristischer Vereinigungen“ schuldig.
Hohe Anziehungskraft für Antiimperialisten
Nach Angaben des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen sind aus dem Bundesgebiet bislang etwa 40 Menschen ausgereist, um den Kampf der Kurden zu unterstützen, auch der Verfassungsschutz spricht von einer „zweistelligen Zahl“. Dagegen wurden bis Ende 2014 über 100 Ausreiseuntersagungen ausgesprochen – und zwar an Personen, „die islamistische Gruppierungen als auch PKK-Guerilla unterstützen wollten“, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage mitteilte.
Seit dem 6. Juli gibt es ein zweites deutsches Opfer aus den Reihen der YPG. Der 21-jährige Karlsruher Kevin Joachim starb bei Kämpfen in Nordsyrien. Auch ihn hatte seine marxistisch-leninistische Gesinnung nach Syrien geführt, wie er in einem Interview Ende April sagte.
Die Anziehungskraft für deutsche Antiimperialisten und Menschen mit kurdischen Wurzeln wird trotz der vielen Opfer nicht kleiner. Mitte Juni wurde auf einer Pressekonferenz in Rojava, wie die autonomen kurdischen Gebiete in Nordsyrien bezeichnet werden, das Internationale Freiheitsbataillon vorgestellt – ein Kampfverband eigens für Kommunisten. Getragen wird das Bataillon von der militanten türkischen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei MLKP. In der Gründungserklärung werden die Nationalitäten der Kämpfer aufgeführt, darunter Spanier, Griechen und Deutsche.
Auch wenn K. sich nicht selbst an Kämpfen beteiligen will, haben sie und ihr Umfeld viel Sympathie für jene, die einen Schritt weiter gehen. Nach dem Anschlag auf das Camp der sozialistischen Jugend in Suruç finden sich auf der Facebookseite von Young Struggle unzählige Bilder von bewaffneten türkischen Kommunisten, die nach Vergeltung für die „Märtyrer“ rufen. Selbst schreibt die Gruppe: „Ihr Kampf ist auch unser Kampf. Der brutale Angriff macht uns nur so entschlossener, den Kampf in Rojava und in der Türkei zu unterstützen.“ Die Trennung zwischen Wiederaufbau und militärischem Engagement verschwimmt.
Es dürften solche Aktionen sein, die das Interesse der Sicherheitsbehörden auf Aktivistinnen wie K. lenken. Diese muss schon länger im Fokus gestanden haben. Noch bevor sie am Flughafen ankam, versuchten Beamte sie in ihrer Wohnung anzutreffen – vermutlich, um sie vor einer Ausreise zu warnen. Auch ihr Vater wurde angerufen, damit er der Tochter die Pläne ausrede. Doch der begrüßt ihr Engagement.
Für zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich am Wiederaufbau von Kobani beteiligen wollen, ist die Lage im Moment schwierig. So erzählt Matthias Hofmann von Eine Schule für Kobani von massiven Problemen, Hilfsgüter über die Türkei nach Syrien zu schicken. Das Auswärtige Amt teilt mit, zwar grundsätzlich humanitäres Engagement zu begrüßen, sich aber an der Linie der türkischen Regierung zu orientieren. Demnach werden „humanitäre Transporte nur für solche Projekte“ gestattet, „von denen keine erhebliche Anziehungskraft für weitere Rückkehrer ausgeht“. Zu gefährlich sei die Lage in der Stadt, die erst im Juni wieder vom IS angegriffen wurde. Nach dieser Logik dürfen weder Schul- noch Medizinprojekte auf die Unterstützung der deutschen Behörden hoffen.
Suruç? Jetzt erst recht
Die in Suruç versammelten Jugendlichen der SGDF wollten ebenfalls Hilfsgüter nach Kobani liefern und verschiedene Wiederaufbauprojekte unterstützen, auch den Bau der Krankenstation. Der Anschlag mit 32 Toten hat K. erschüttert. Die Gruppe sei die „Schwesterorganisation“ von Young Struggle, sagt sie. Viele der Mitglieder kennen sich von gegenseitigen Besuchen. Doch abschrecken kann sie auch dieser Vorfall nicht. „Je mehr schreckliche Nachrichten kommen, desto mehr denke ich, jetzt erst recht“, sagt sie.
Einen Tag nach dem Anschlag entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass das Ausreiseverbot gegen K. aufgehoben wird. Die Entscheidung wurde nicht begründet. Eine mögliche Deutung wäre, dass die Indizien für ihre Teilnahme am bewaffneten Kampf nicht ausgereicht haben, um das Verbot aufrechtzuerhalten. K.s Anwalt hatte einstweilige Verfügung gegen das Ausreiseverbot beantragt. Sobald K. ihre Ausweise wiederhat, will sie fahren. Am 3. August bricht die dritte Brigade der ICOR auf. K. ist fest entschlossen dabeizusein.
„Ja, es ist gefährlich“, sagt sie, „aber wenn man die Menschlichkeit in sich hat und Verantwortung verspürt, ist es trotzdem das Richtige.“
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