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Held oder Karrierist?

Die Weichen sind gestellt: Den 100. Geburtstag von Gustaf Gründgens feiert das Schauspielhaus mit Quadflieg, Lesungen und Vorträgen  ■ Von Joachim Dicks

„Ich möchte einmal derjenige gewesen sein, der die Flamme in einer dunklen Zeit beschützt und bewahrt hat.“ So wünscht es sich Gustaf Gründgens 1949 in einem Interview anlässlich seines 50. Geburtstages. Ein frommer Wunsch, muss man aus heutiger Sicht sagen. Denn die Frage, welche Rolle er nun wirklich im Nationalsozialismus gespielt hat, überschattet seinen Ruhm als Intendant, Regisseur und Schauspieler bis heute. Drei neue Biografien allein im Jubiläumsjahr sprechen eine deutliche Sprache: Der Fall Gründgens ist längst noch nicht abgeschlossen. Peter Michalzik, dessen Buch Gustaf Gründgens – Der Schauspieler und die Macht sich auf diesen politischen Aspekt kapriziert, beißt sich daran sogar die Zähne aus. In dem Schlusskapitel, das von Don DeLillos Bluthunde mehr inspiriert scheint als von den historischen Fakten, verschwimmen ihm die Konturen: Adolf Hitler als Spiegelbild von Gründgens, der Diktator als Schauspieler, der Schauspieler als Diktator.

Dabei sind die Positionen längst geklärt, sollte man meinen. Die einen berufen sich auf Klaus Mann und seinen Mephisto-Roman, in dem Gründgens als opportunistischer Karrierist dargestellt wird. Sicher, so konzedieren sie, der Roman übertreibe, enthalte aber im Kern manche Wahrheit. Sie verweisen auf Fotos, die Gründgens mit Goebbels beim einvernehmlichen Händeschütteln zeigen. Auch das im „Völkischen Beobachter“ dokumentierte fröhliche Leben der Eheleute Gründgens/Marianne Hoppe auf dem luxuriösen Landgut „Haus Zeesen“ nehmen sie als Beweis für das politisch korrumpierte Küstlertum. Der ungarische Regisseur Istvan Szabo hat diesem Karrieristentypus in seinem Mephisto-Film mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle ein Leinwand-Denkmal geschaffen.

Dem gegenüber steht das andere Gründgens-Bild: der Held und Widerstandskämpfer. Jüdische und kommunistische Künstler wie Erich Ziegel, Mirjam Horwitz und Ernst Busch bescheinigten ihm nach Kriegsende einen mutigen Einsatz für politisch Verfolgte, denen er als Intendant des Preußischen Staatstheaters mit seinem Einfluss das Leben retten konnte. Die Souveränität, mit der er sich als Homosexueller in Nazi-Deutschland behauptete, macht ihn bis heute zu deinem Star der Schwulen-Szene. Kein Zufall, dass nicht nur die Berliner Staatsbibliothek, sondern auch das „Schwule Museum“ in Berlin-Kreuzberg zum Hunderstem eine Gründgens-Retrospektive zeigt.

In den 20er Jahren feierte er in Hamburg – an den Kammerspielen am Besenbinderhof – seine ersten großen Erfolge. Und hier war er zuletzt, von 1955 bis 1963, als Intendant am Schauspielhaus tätig. Die älteren Theatergänger geraten ins Schwärmen, wenn sie sich an Gründgens als Mephisto in Goethes Faust erinnern. Den Nachgeborenen bleibt nur ein spröder Abglanz dieser Inszenierung in VHS-Format. Sein letzter Auftritt als König Philipp II. in Schillers Don Carlos verklärt sich in der Erinnerung nicht weniger Zeitzeugen zu einer göttlichen Epiphanie höchster Schauspielkunst.

Aber viele Zuschauer von damals haben dem Schauspielhaus den Rücken gekehrt. Was ihnen nach Gründgens' Tod unter Schuh, Monk, Nagel und vor allem unter Zadek gezeigt wurde, verletzte ihren Geschmack, lockte dafür aber neues, junges Publikum ins Haus. Das politisch Reale verschaffte sich Zugang zum Tempel der Kunst. Dass Legenden derweil oft stärker sind als die Wirklichkeit, auch dafür ist Gründgens ein gutes Beispiel: Anna Badora, die Intendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses, misst man bis auf den heutigen Tag an ihrem berühmten Vorgänger. Dabei – das muss man sich mal vorstellen – liegt seine Düsseldorfer Intendanz mehr als 40 Jahre zurück.

Aber auch am Schauspielhaus hat es vielleicht erst Frank Baumbauer endgültig geschafft, sich von dem künstlerischen Über-Ich Gründgens freizumachen. Und dazu hat wohl eher Marthalers ironisch-distanzierter Wurzelfaust als Johann Kresniks tänzerische Gründgens-Abrechnung beigetragen.

Keine kritische Rückschau, sondern eine „Ehrung“ verspricht die Ankündigung des Schauspielhauses für den 22. Dezember. Mit Will Quadflieg als Gast sind die Weichen gestellt.

„Gustaf Gründgens 100“: Mi, 22. Dezember, 20 Uhr, Schauspielhaus, Eintritt frei

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