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Heftige Kritik an Castor-TransportenAtommüll-Tourismus in NRW

Nordrhein-Westfalen drohen die größten Atommülltransporte in der Geschichte. Nicht nur Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen sind entsetzt.

Nachschub soll kommen ins Zwischenlager Ahaus Foto: Ralf Rottmann/imago

Bochum taz | Mit heftiger Kritik und Empörung haben Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen und die Partei Die Linke, aber auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf die Castor-Transportwelle aus dem rheinischen Jülich ins münsterländische Ahaus reagiert, die Nordrhein-Westfalen ab diesem Herbst droht.

Die „größte Transportserie mit hochradioaktivem Atommüll in der Geschichte der Bundesrepublik“ sei eine „politische Bankrotterklärung“ sowohl für die schwarz-grüne NRW-Landesregierung als auch für die schwarz-rote Bundesregierung, erklärte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.

Hubertus Zdebel, atompolitischer Sprecher der Linkspartei in NRW, sprach von einer „Missachtung des Parlaments“ – schließlich habe die Bundestagsfraktion der Linken noch im Juli einen Antrag gegen die Transporte der 152 Atommüll-Castoren gestellt, über den der Bundestag erst nach der Sommerpause entscheiden könne.

Und Nordrhein-Westfalens GdP-Chef Patrick Schlüter hält die Pläne schlicht für „Wahnsinn“ mit „Folgen für die Sicherheit im Land“ – denn zum Schutz des gefährlichen Atommülls, der per Lkw-Schwertransport über Autobahnen mitten durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das dicht besiedelte Ruhrgebiet gefahren werden soll, müsse auf Polizeibeamte zurückgegriffen werden, die dann „vor Ort in den Wachen fehlen“.

Transportgenehmigung bis Mitte August

Auslöser der Kritik sind Einschätzungen des Vize-Fraktionschefs der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag, Alexander Vogt. Dessen Partei stellt in Berlin mit Carsten Schneider den Bundesumweltminister. Vogt hatte am Donnerstag in Düsseldorf erklärt, die SPD gehe davon aus, dass das Schneider unterstellte Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) eine Transportgenehmigung bis Mitte August erteilen werde. Beginnen könnten die Castor-Transporte dann „acht Wochen später“.

Das sei die „zwingend benötigte Vorbereitungszeit“, hatte der für den Polizeieinsatz zuständige CDU-Landesinnenminister Herbert Reul in einem der taz vorliegenden Schreiben an verschiedene Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen schon Mitte März erklärt. Eine taz-Anfrage zu den Kosten der bevorstehenden Polizeieinsätze beantwortete Reuls Innenministerium nicht.

Die Initiativen kritisieren den jetzt unmittelbar drohenden Atommüll-Tourismus schon seit Jahren als „unsinnig“ und „gefährlich“. Denn angeordnet worden war die Räumung des Jülicher Atommülllagers, in dem Hunderttausende Brennelementkugeln des ehemaligen Hochtemperaturreaktors (HTR) des ehemaligen Kernforschungszentrums Jülich lagern, wegen angeblicher Erdbebengefahr bereits 2014. Doch spätestens seit 2022 ist klar: Diese Gefahr existiert gar nicht.

Kritik an Ahaus als Zwischenlager

Zusätzlich gilt Ahaus als vorläufiges Ziel des hochradioaktiven Atommülls als ungeeignet. Das dortige Zwischenlager sei „eines der bundesweit ältesten mit den dünnsten Wänden“, warnen Anti-Atom-Initiativen. Eine „heiße Zelle“, in der das hochradioaktive Material vor einer möglichen Endlagerung „konditioniert“, als für Jahrtausende sicher verpackt werden könnte, existiert in Ahaus ebenfalls nicht.

Außerdem läuft die Betriebsgenehmigung schon 2036 aus. Und da nicht nur SPD-Landtagsfraktionsvize Vogt befürchtet, dass die Atommülltransporte in bis zu 152 Einzelfahrten wegen der massiven Belastung der Polizei „vier bis acht Jahre“ dauern könnten, bedeutet das nach heutigem Stand: Wenn der letzte Castor in Ahaus angekommen ist, muss der erste bald schon wieder weg.

Die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, die für die Atomaufsicht zuständig ist, sei „offensichtlich ihrer Aufgabe nicht gewachsen“, findet Atomkraftgegner Eickhoff. Eine Sprecherin Neubaurs erklärte dagegen, über die Erteilung der Beförderungsgenehmigung entscheide „allein das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit“. Die politische Verantwortung trage also der Sozialdemokrat Schneider in Berlin.

In der Kritik steht aber auch CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der laut der Kritik den eigenen Koalitionsvertrag ignoriert. Denn in dem hatten Christ­de­mo­kra­t:in­nen und Grüne mit Blick auf die strahlenden Überreste des ehemaligen Kernforschungszentrums vollmundig versprochen, sich „für eine Minimierung von Atomtransporten“ einsetzen zu wollen: „Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben“, heißt es in dem 2022 unterzeichneten Dokument. „Doppelzüngig“ agiere aber auch die SPD, kritisieren die Anti-Atom-Initiativen. Schließlich könne deren Bundesumweltminister Schneider das BASE jederzeit anweisen, auf den „Sofortvollzug“ der Castortransporte zu verzichten.

„Alle drei Parteien haben politisch komplett versagt“, so Eickhoffs Fazit. Für den Tag der Bekanntgabe der Transportgenehmigung durch das BASE sind bereits Mahnwachen vor den Zwischenlagern in Jülich und Ahaus angekündigt. Für den 31. August rufen die Initiativen zu einem großen Anti-Atom-Spaziergang am Atommülllager Ahaus auf.

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5 Kommentare

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  • Ich wäre dafür obwohl ich in Berlin wohne, ein Endlager für den Atommüll unter dem Bundestag und den Bundesrat zu bauen. Die konservativen Politiker könnten dann ganz nah sein, an ihren Entscheidungen die so viele ja befürwortet haben. Ich könnte mir gut vorstellen das wirklich alles dafür getan wird, damit dieser Müll die darüber liegenden Politiker nicht tötet, die zukünftigen Generationen freuen sich jetzt schon auf unsere hinterlassenschaft, und auf eine strahlende Zukunft!

  • Wenn sich nicht diverse gewaltbereite "Aktivisten" von solchen Transporten magisch angezogen fühlten und nicht sehnsüchtig auf die Gelegenheit warteten, endlich wieder Randale zu machen, müsste man auch nicht hunderte von Polizisten zum Schutz eines Castor-Transports abstellen.



    Deutschland hat sich nun einmal verpflichtet, wie übrigens jedes andere Land, welches Nuklearanlagen betreibt oder betrieb, seinen eigenen radioaktiven Abfall ausschließlich auf dem eigenen Staatsgebiet zu lagern. Das sonst so gerne angewandte Motto "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" funktioniert hier aus rechtlichen Gründen nicht; das Problem lässt sich, im Gegensatz zum Problem mit Elektroschrott und Plastikmüll, nicht unter Einsatz von (Bestechungs)geld in die Dritte Welt auslagern. Deutschland kann hier keinen modernen Ablasshandel betreiben, sondern muss sich den Folgen der eigenen nuklearen Sünden eigenverantwortlich stellen.



    Einfach nur herumzukrakelen, dass man dagegen ist, hilft nicht weiter, auch nicht, wenn es "Linke" sind, die hier krakelen.

  • Wären d. Reaktoren in Uentrop u. Kalkar länger am Netz gewesen, wäre d. Problem in NRW noch größer.



    9/24 b. spiegel.de



    "Betreiber vor Insolvenz



    Kosten für Abriss von AKW Hamm-Uentrop soll der Bund übernehmen



    Über den Rückbau des Pannenmeilers in Hamm-Uentrop, der nur sechs Jahre lief, ist Streit entbrannt. Der Kraftwerksbetreiber steht vor der Pleite, es könnte um Kosten von einer Milliarde Euro gehen."



    (...)



    Weiter zum Hammer "Hammer":



    "Der Sichere Einschluss beschreibt den derzeitigen Betriebszustand des stillgelegten Meilers: Die Brennelemente wurden entfernt, strahlenbelastete Elemente der Anlage sind durch einen Betonbehälter für mehrere Jahrzehnte versiegelt, damit sich ihre Radioaktivität verringert."



    Die Kosten laufen aus d. Ruder u. das Procedere ist ungewiss.



    Mit diesem Gepäck braucht man in Deutschland keine neuen Avancen der Atomindustrie zur Förderung der SMR.



    "Probleme und Risiken „neuer“ Reaktoren



    Ob Generation-IV-Reaktoren, SMR oder Kernfusion – die angeblich fortschrittlichen Konzepte bleiben teuer, riskant und ungeeignet für den Klimaschutz. Sicherheitsrisiken sind ungelöst, Atommüll bleibt ein Problem, und die erhofften Innovationen existieren..."



    ausgestrahlt.de

  • Wen interessiert Umwelt, Strahlenbelastung etc. tatsächlich?

    Niemand!

    Werden die sinnlosen Transporte nach Ahaus durchgeführt, sichert das Arbeitspätze und der Strompris wird hoch gehalten. Das Ganze dann gleich nochmal, am besten wieder zu einer Lagerstätte, wo es alsbald wieder weg muss.

    Kreislaufwirtschaft in der überflüssigsten aller Reinkulturen.

  • Wen interessiert Umwelt, Strahlenbelastung etc. tatsächlich?



    Niemand!



    Werden die sinnlosen Transporte nach Ahaus durchgeführt, sichert das Arbeitspätze und der Strompris wird hoch gehalten. Das Ganze dann gleich nochmal, am besten wieder zu einer Lagerstätte, wo es alsbald wieder weg muss.



    Kreislaufwirtschaft in der überflüssigsten aller Reinkulturen.



    Seit Fritze seine Reiche ins Spiel gebracht hat werden die Versuche den Strompris hoch zu halten immer dreister und dümmlicher.