Hedonismus im Alter: Haltbar durch Rauch und Alkohol
Hedonistisches Leben im fortgeschrittenen Alter – auch dafür werden Boomer jetzt gebasht. Unsere Kolumnistin hält dagegen.
N un hatten wir gedacht, im neuen Jahr 2025 hätte es so langsam ein Ende mit dem Boomerbashing – denn 2024 war ja Boomer-Jubiläum und es wurde viel über meine geschmähte Generation sinniert.
Nun könnten wir also wieder zur Normalität übergehen und die Sache mit dem Generationenkampf mal vergessen – schließlich ist das Konzept der Generationen eh überholt und es gibt im wahren Leben erfreulicherweise viele unproblematische intergenerationelle Begegnungen.
Aber nun gießt die internationale Wochenzeitung Economist wieder Öl ins Feuer! Anfang Januar erschien ein Artikel in dem die Boomer des „Ungraceful ageing“ – des unwürdigen Alterns bezichtigt wurden. Was soll das denn mit diesem „in Würde altern“? Allein das ist schon zutiefst ageistisch. Wer hat behauptet, Ältere müssten in Würde altern? Erwartet man denn von Jugendlichen, sie sollen „in Würde jung sein“?
Der Autor macht unter der Überschrift „Not ok Boomer. Why People over the age of 55 are the new problem generation“ den absurden Vorwurf, die Problemgeneration der über 55-Jährigen würde im Alter ihre Gewohnheiten nicht aufgeben und weiter Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll frönen und damit die Krankenkassen und andere öffentliche Dienste belasten.
Boomer und die älteren der Generation X verhielten sich rücksichtslos und unsolidarisch. Denn diese alten Leute konsumierten Drogen, gingen auf Festivals und hätten sogar mit über 75 noch Sex.
Wein, Cannabis, Syphilis
Um diese These zu untermauern, werden Statistiken aus 10 Ländern angeführt: Weinkonsum in Spanien bei den Alten, Anzahl der Neuerkrankungen von Syphilis in England bei Senioren, die wachsende Zahl der Älteren in amerikanischen Gefängnissen und Cannabiskonsum bei Rentnern in Australien.
Namentlich erwähnt ist der Autor nicht. Ich stelle mir einen schneidigen jungen Mann vor, glühender Anhänger einer neoliberalen oder sonst irgendwie sozial kalten Partei. Es sind eben nicht nur alte, weiße Männer, die Unheil über die Welt bringen. Junge Männer sind manchmal noch schlimmer, weil ihnen die Altersmilde fehlt.
So dumm der Artikel, so interessant die Frage „Wie wirken sich Drogen im Alter aus?“
Die Forschung ist sich da nicht einig. Einerseits gibt es immer wieder Beweise, dass der alte Haushaltstrick „Haltbarmachung durch Rauch und Alkohol“ auch bei Menschen, beispielsweise Keith Richard und Iggy Pop gilt.
Man muss weder funktionieren noch sich selbst optimieren
Andererseits weiß der ältere Mensch aus Erfahrung und Beobachtung: Wer klug ist, hört spätestens mit 40 mit den Rauch- und Rauschmitteln auf. Madonna, Mick Jagger und andere Senioren toben wahrscheinlich nur so agil über die Bühnen, weil sie sich seit Jahrzehnten mit Yoga und Jogging plagen und einmal jährlich zur Blutwäsche in die Schweiz fliegen.
erhält den Satirepreis Göttinger Elch 2025 für herausragende Leistungen in den Bereichen Musik, Literatur und Gesellschaftskritik. Verleihung: 9. März im Deutschen Theater Göttingen.
Anderseits muss man mit 70 oder 80 auch keine Angst mehr vor Langzeitnebenwirkungen haben und ein wenig drogenakzeptierender Hedonismus kann das Älterwerden versüßen. Wer alt ist, muss weder funktionieren noch sich dem neoliberalen Gebot der ständigen Selbstoptimierung unterwerfen – denn alt macht frei!
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