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Hausbesuch Ein Seniorenwohnheim in Berlin: mit öffentlichen Geldern gebaut und dann verkauft. Der neue Investor saniert, er möchte höhere Mieten, wird aber vom Widerstand der alten Menschen überrascht60 Zimmer und ein Blumenkasten

von Luciana Ferrando (Text) und Amélie Losier (Fotos)

Zu Besuch im Seniorenwohnhaus Hansa-Ufer 5 in Berlin. Gisela Junggebauer (82), Ingeborg Koske (87), Gerhard Bubel (86), Elvira Sydow (86), Anna Schmötzer (74) und Gertrud Behnke (98) sind sechs von 30, die da wohnen.

Draußen: Kastanienblüten liegen am Spreeufer auf dem Boden, mit Kippen gemischt. Bauarbeiter arbeiten mit freiem Oberkörper, die Straße ist gesperrt. Man hört die Durchsagen der Touristenschiffe und die Vögel. Trotz der Baustelle und des Verkehrsgetöses rund um den Hansaplatz wirkt das Ufer ruhig.

Drinnen: Geblümte Tischdecken und Servietten, Kaffee und Windbeutel – der Gemeinschaftsraum ist wie für ein Fest geschmückt. Am Tisch sitzen die sechs alten Menschen; sie gehören zu den BewohnerInnen, die sich seit Anfang 2014 für die Erhaltung ihres Seniorenwohnhauses einsetzen. Überall hängen Plakate mit Parolen, die sie sich ausdachten. „Margarete (93), bedingt flexibel, sucht Zimmer in WG bis max. 350 €/Monat“, Oder: „Wir wollen unsere soziale Gemeinschaft nicht verlieren“.

Das Haus: „Siebzig Balkone und keine Blume“, schrieb der Dichter Baldomero Fernández Moreno. Hier sind es sechzig Einzimmerwohnungen und ein einziger Blumenkasten, der eine Genehmigung von der schwedischen Immobilienfirma Akelius brauchte. Das Haus gehört ihr. Akelius kaufte es 2007 vom Senat. Anfang 2014 bekamen die SeniorInnen die erste Modernisierungsankündigung. Was in den 70er Jahren mit städtischen Fördermitteln errichtet wurde, soll nun renditestarker Wohnraum werden. Ohne Gemeinschaftsraum, ohne den Laubengang in der fünften Etage. Sanierung – „Luxussanierung“, sagen sie –, bis zu 60 Prozent höhere Mieten und jahrelang Bauarbeiten. Die Bewohner fühlten sich verdrängt und entschieden, dagegen zu kämpfen. Etwas mehr als hundert Menschen unterschrieben ihre Petition auf Change.org.

Die Menschen am Tisch: Gisela Junggebauer, Elvira Sydow und Anna Schmötzer zogen nach Moabit, um in der Nähe ihrer Töchter zu sein, die Erste aus Potsdam, die zweite auch aus dem ehemaligen Ostdeutschland. Schmötzer kommt aus der Nähe von Duisburg. Dagegen liegt der Geburtsort Gerhard Bubels nur einen Kilometer vom Ufer entfernt. Als Baustadtrat beschloss er den Bau des Se­nio­ren­wohnhauses mit, ohne zu ahnen, dass er einmal dort wohnen würde. Zwanzig Jahre leben die meisten ungefähr schon da . Gertrud Behnke zog sich wegen ihrer Schwerhörigkeit aus dem Interview zurück.

Autonomie und Gemeinschaft:Wie in jeder großen WG ist nicht immer alles einfach, aber meist klappt es. „Hier sind wir älter geworden. Wir haben es gut, wir helfen uns“, sagt Junggebauer. Ingeborg Koske erzählt von einer 93-Jährigen, die in ein Pflegeheim zog und nach zwei Tagen zurückkehrte. Das Pflegepersonal guckte dort in ihr Zimmer rein und schloss ihre Tür zu. So was möchte niemand von ihnen erleben. „Wir bleiben hier, bis die Letzte ausatmet!“

Bella ciao:Um zu reden, muss man schreien: der Lärm der Bohrmaschinen, die vibrierenden Wände. „Ich kann kein Fernsehen mehr gucken“, sagt Koske. Zu laut. Obwohl sie es schafften, allgemeine Sanierungsarbeiten im Haus „drei bis fünf Jahre“ zu verschieben, leere Wohnungen werden umgebaut. Auch Telefonieren, Mittagsschlaf oder Singen seien bei dem Lärm schwer. Seit eine von den Seniorinnen ein Keyboard ergatterte, treffen sie sich für Chorproben. Alte Schlager stimmen sie an und Volkslieder, die „schöne Erinnerungen wecken“. Aus ihrem Gesang wurde auch Protest. Im Oktober 2015 organisierten sie einen Flashmob vor der Tür und sangen das Hansa-Ufer-Lied mit der Melodie des Partisanenliedes „Bella ciao“. „Wir gehen niemals mehr hier weg! Sang am Ende selbst ein Polizist mit.“

Kämpfen, Feiern, Gärtnern:Alle sind sich einig: Singen und Feiern gehören zu den schönsten Erlebnissen: goldene Hochzeiten, Advent, Geburtstage, Straßenfeste. Zusammen den Garten zu pflegen stärkt die Gemeinschaft auch. Einmal fanden sie eine wild gewachsene Eiche im Laubengang und pflanzten sie in den Garten. „Wir haben das Datum mit eingegraben, eine Flasche Sekt aufgemacht und die Eiche getauft!“, erzählt Koske und lacht. Mittlerweile gibt es sie nicht mehr. Die Renovierungsarbeiten betreffen auch den Garten, ein Bagger riss die Eiche weg.

Angst: „Wir haben Berlin nach dem Krieg wieder aufgebaut und jetzt wissen wir nicht, ob wir weiter eine Wohnung haben“, sagt Koske. Für ihr Zuhause kämpfen zu müssen habe Junggebauer sich nie träumen lassen. Jetzt wacht sie mitten in der Nacht vor Angst auf.

Sollen wir vielleicht früher sterben?“ „In ein oder zwei Jahren können wir uns vielleicht das alles von unten angucken“, sagt Koske. Die Damen haben ihre Männer überlebt und alle kannten das Kriegsleid. Sie wollen in Ruhe den Rest ihres Lebens am Hansa-Ufer verbringen. An dieses Versprechen glauben sie nicht mehr. Sie fühlen sich vom Investor betrogen und von der Politik im Stich gelassen. „Sollen wir vielleicht früher sterben, damit Akelius mit seinem Plan fortfahren kann?“ Manche Seniorinnen bedauern, dass sie schon so alt sind. Sie glauben, wenn sie noch jünger wären, könnten sie viel mehr ändern. Junggebauer sagt: „Was wir leisten, ist alles, was wir leisten können.“

Politisches Leben:„Ich war schon immer politisch aktiv und ärgere mich, dass wir als eins der reichsten Völker der Erde nicht mit unserem Reichtum so vernünftig umgehen können, dass die Armen auch gut leben“, sagt Bubel. „Politiker müssen sich bemühen, damit Menschen in Würde alt werden können.“ Die Damen klopfen auf den Tisch und applaudieren. Seit 66 Jahren ist er in der SPD. Stellvertretender Bezirksbürgermeister von Berlin-Tiergarten, Mitglied des Abgeordnetenhauses und Soldat war er. Im Januar 1945 wurde er mit 15 zur Wehrmacht eingezogen. Ein gleichaltriger Russe nahm ihn in Gefangenschaft. „Nie wieder Krieg“ wurde zu seinem Motto, gegen die Bundeswehr protestierte Bubel oft. Sydow war auch schon auf der Straße, um mit der FDJ zu demonstrieren. „Das zählt nicht, man musste da hin!“, sagt Junggebauer. Doch Sydow bleibt klar: „Wir haben so viele Tote gesehen, nach dem Kriegsende wollten wir das nicht noch einmal.“

Das erste Mal:Für alle anderen war ihre Aktion 2014 vor dem Akelius-Büro am Potsdamer Platz die erste Demo ihres Lebens. „Rebellische SeniorInnen“ und „Rentner-Gang“, hieß es in den Medien. Sie finden das gut. Schmötzers zehnjährige Enkelin hörte von ihren Freundinnen, ihre Oma sei ganz cool. „Sie ist doch in einer Gang! Habe ich im Fernsehen gesehen.“ Es sei gut, ein Zeichen zu setzen. „Das heißt, dass wir uns nicht alles gefallen lassen“, sagt sie.

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