Haus der Bayerischen Geschichte: Von den Vorteilen der Kanalratte
In Regensburg widmet sich eine Ausstellung den Großprojekten Bayerns vergangener Jahrzehnte – und gibt sich erstaunlich kritisch.
War das ein Skandal. Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) sprach von einer „verleumderischen und bösartigen Ehrabschneidung“. Umgehend gingen Protestbriefe des Kabinetts an den ARD-Vorsitzenden ab. Eine Richtigstellung wurde verlangt. Die halbe Republik amüsierte sich über das Schauspiel, dargeboten von der Bayerischen Staatsregierung gegen die Ausstrahlung einer Satiresendung im Fernsehen.
Es ist mittlerweile 42 Jahre her, dass Gerhard Polt ein Lieblingsprojekt der CSU madig machte. Polt trat als Herr Schramm von der Main-Donau-AG auf, die gerade dabei war, das liebliche Altmühltal in eine Kanal-Abflussrinne umzugraben, allen örtlichen Protesten zum Trotz.
Er betonte die Vorteile der Kanalratte gegenüber dem Brachvogel, der nun leider im Wege sei, und lobte die Begradigung gegenüber den unordentlichen Kurven eines Flusses. Gisela Schneeberger betätigte sich in der Sendung „Scheibenwischer“ von Dieter Hildebrandt als Sekretärin, die dem halben Landeskabinett Bestechungsgelder avisierte.
Die CSU schäumte. Und der Kanal, dieses „dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“, so der damalige SPD-Bundesverkehrsminister Volker Hauff 1981? Er wurde natürlich trotzdem zu Ende gebaut. „Der Kanal wird dieselbe Bedeutung haben wie der Panamakanal und der Suezkanal“, hatte Strauß versprochen. Heute dümpeln vor allem Kreuzfahrtschiffe durch die Rinne.
Kritik an der Staatsregierung
Es ist ein gutes Messinstrument für eine liberale Demokratie, schaut man danach, wie viel Selbstkritik der Staat auszuhalten in der Lage ist. Und da muss man sagen: Auch in Bayern bewegt sich was. Das freistaatliche Haus der Bayerischen Geschichte hat es nämlich gewagt, in Regensburg eine Ausstellung über vergangene bayerische Großprojekte zu initiieren. Da ist die Kritik an der Staatsregierung in München quasi inkludiert. Oder nicht?
Am Eingang hängen Bauhelme und gelbe Westen aus, wie es sich für eine richtige Großbaustelle gehört, auch wenn diese hier nur virtuell stattfindet. Und dann, nach wenigen Schritten, ist auch schon der Main-Donau-Kanal erreicht, aber nicht nur mit Bildern und Schautafeln und einer kindgerechten Schleuse dargestellt.
Die Ausstellungsmacher haben es tatsächlich gewagt, eine Hörstation einzubauen, in der Gerhald Polt seine Worte von 1982 wiederholen darf! In einer Ausstellung des Freistaats! Und dann ist gar davon die Rede, das Projekt habe eine „Kulturlandschaft für immer verändert“, was ja wohl eine Kritik an Franz Josef Strauß darstellt. Eine Majestätsbeleidigung. Es ist unglaublich!
Womit „Ois anders“, so der Titel der Schau über Großprojekte in Bayern, die erste Prüfung glänzend bestanden hat – Bayern ist freiheitlicher geworden. Unglücklicherweise kann es bei diesem Urteil aber nicht bleiben.
Hinweis auf Proteste
Die Regensburger Schau bietet einen guten Überblick über so einige in der Vergangenheit umstrittene Projekte, sei es den Münchner Flughafen, die Autobahn 94 durch das Isental oder das Atomkraftwerk Gundremmingen. Auch dort wird jeweils auf Proteste hingewiesen. Ländliche Strukturen wurden umstandslos in industrielle umgekrempelt.
„Ois anders: Großprojekte in Bayern 1945–2020“: Haus der Bayerischen Geschichte, Regensburg, bis 22. Dezember 2024
Aber wie es in Bayern halt so ist: Alle diese Großbaustellen wurden erfolgreich fertiggestellt, die Autos fahren, die Flugzeuge fliegen, nur das AKW ist inzwischen stillgelegt.
Und doch leidet die Ausstellung an einer gleich doppelten Schieflage. Denn das einzige Großprojekt, bei dem die Bayerische Staatsregierung mit ihren Plänen an der Bevölkerung scheiterte, wird großzügig übergangen. Vom Widerstand der 1980er Jahre gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf, wo abgebrannte atomare Brennstäbe erneuert werden sollten, ist nirgends die Rede. Diese Pleite der Bayerischen Staatsregierung auch noch in einer Ausstellung zu würdigen ging offenbar zu weit.
Nationalpark Bayerischer Wald
Dafür aber wird ein anderes Großprojekt vorgestellt, das gar keines ist: der 1970 gegründete Nationalpark Bayerischer Wald. Ja, auch dort gab es Proteste, nun allerdings gegen angeblich zu viel Ökologie. Aber das ist auch der einzige Berührungspunkt mit den anderen dargestellten Projekten.
Der Nationalpark hat keinen Beton verschlungen, keine Schnellstraßen und Brücken erfordert, keine Landebahn erzwungen oder die Landschaft anderweitig umgekrempelt. Er hat die Natur machen lassen. Und das ist wohl das Gegenteil einer Großbaustelle.
Und so wird der Besucher den Eindruck nicht los, als hätte die Ausstellungsmacher nach der Darstellung des Main-Donau-Kanals der Mut verlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen