Hat die JVA Lübeck Briefe von Abgeordneten und Verteidigern überwacht?: Gelüftetes Briefgeheimnis
Schleswig-Holsteins Piratenfraktion warnt vor der Etablierung eines „rechtsfreien Raumes“ im Gefängnis. Das Justizministerium weist die Vorwürfe zurück.
BREMEN taz | Björn-Achim Thiehoff schreibt viel, manchmal bis in die Nacht. Das berichtet sein Anwalt Till-Alexander Hoppe, der auch von sich sagt, dass er selbst kartonweise Ordner mit Briefen und Beschwerden füllt. Sein Mandant Thiehoff sitzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lübeck ein, im April hat er zwei Drittel seiner langjährigen Haftstrafe verbüßt. Verurteilt wurde er wegen mehrfachen Betruges.
Hoppe und Thiehoff, das kann man erahnen, sind für die Haftanstalt kein pflegeleichtes Gespann. Sie gäben sich mit der „Alltagsruhe“ dort nicht zufrieden, sagt Anwalt Hoppe. Jede Kleinigkeit müsse er erstreiten. Gerade kämpft Hoppe für mehr Sicherheit durch Brandschutzmelder in der JVA. Erst Anfang Februar entschied das Landgericht Lübeck zugunsten seines Mandanten, dass die Aufschlusszeiten für Gefangene auch bei schlechter Personalsituation eingehalten werden sollten. Der Fall liegt nun beim Oberlandesgericht Schleswig.
Aus dem Knast hatte Thiehoff sich in dieser Sache auch an mehrere Landtagsabgeordnete gewandt. Wolfgang Dudda, sozialpolitischer Sprecher der Piratenfraktion, und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki antworteten ihm. Um ihre Briefe entbrannte nun, acht Wochen vor der Landtagswahl, ein Streit: Sie sollen von JVA-Mitarbeitern geöffnet und kontrolliert worden sein – gesetzeswidrig, wie Piratenpolitiker Dudda am Mittwoch erklärte. FDP-Fraktionschef Kubicki formulierte nach dem Hinweis auf die Brieföffnung Ende Februar eine Kleine Anfrage an die Landesregierung.
Anwalt Hoppe berichtet, dass auch mehrere seiner Briefe an Thiehoff geöffnet wurden, was ferner auch bei mindestens vier weiteren seiner Mandanten vorgekommen sei.
Nach der Föderalismusreform 2006 wurde das bundesweite Strafvollzugsgesetz durch Landesgesetze ersetzt:
Seit September 2016 gilt in Schleswig-Hostein das neue Landesstrafvollzugsgesetz.
Die Post von Gefangenen darf demnach kontrolliert werden – ausdrücklich auch inhaltlich.
Bei vermeintlich falschen Darstellungen, etwa über Haftbedingungen, darf die JVA sogar ein eigenes Schreiben beilegen.
Nicht inhaltlich überprüft werden dürfen laut Paragraf 50 Briefe unter anderem von und an Verteidiger, Abgeordnete und – neuerdings – auch Gerichte.
Paragraf 49 allerdings erlaubt eine Sicherheitskontrolle aller Briefe auf verbotene Gegenstände.
Streit gibt es darüber, was diese Sicherheitskontrolle umfasst.
Laut Landesstrafvollzugsgesetz darf in Schleswig-Holstein die Post von Gefangenen auch inhaltlich überprüft werden (siehe Kasten). Ausgeschlossen ist davon allerdings die Korrespondenz unter anderem mit Strafverteidigern und explizit auch mit Abgeordneten oder Gerichten.
Mehrere Stempel auf Duddas Schreiben sollen gezeigt haben, dass sie von dem Abgeordneten stammten. Häftling Thiehoff habe protestiert, dennoch sei die Post in seinem Beisein geöffnet worden. Gleiches sei laut Anwalt Hoppe Anfang März sogar mit einem Schreiben vom Bundesverfassungsgericht passiert: Eine Vollzugsbedienstete habe den Brief geöffnet und durchgeblättert. „Ihr war es insoweit möglich, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen“, sagt Hoppe. „Ganz offensichtlich haben die Justizvollzugsbeamten einen rechtsfreien Raum etabliert“, sagt der Piratenpolitiker Dudda.
Als „schlicht falsch“ bezeichnet hingegen Justizstaatssekretär Eberhard Schmidt-Elsaeßer (SPD) diese Aussage. „Mit der Einführung des Landesstrafvollzugsgesetzes zum 1. September 2016 haben sich die rechtlichen Grundlagen einer Kontrolle von Verteidigerpost der Strafgefangenen inhaltlich verändert.“ Eine inhaltliche Kontrolle des Schriftwechsels mit der Verteidigung sei nicht zulässig, eine Sichtkontrolle auf verbotene Gegenstände dagegen schon. Gleiches gelte für Post von und an Landtagsabgeordnete und Petitionsausschuss.
Michael Gubitz, stellvertretender Vorsitzender der Schleswig-Holsteinischen Strafverteidigervereinigung, erklärt hingegen: „Wenn die geschilderten Vorgänge zutreffen, handelt es sich um klare Rechtsverstöße.“ Die Kontrolle der Post, beispielsweise um verbotene Gegenstände zu finden, wäre allenfalls in Ausnahmefällen zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine solche Annahme vorliegen. „Dafür ist hier nichts ersichtlich“, sagt Gubitz.
Der Bremer Strafvollzugsrechts-Experte Johannes Feest erklärt, dass über die Art, wie eine Sichtkontrolle ohne inhaltliche Überprüfung stattfindet, gestritten wird. Man könne Briefe von Verteidigern etwa abtasten. In einigen Haftanstalten werden sie im Beisein der Gefangenen an einer Seite geöffnet und daran geschüttelt, um verbotene Gegenstände aufzuspüren. Er hält dies für rechtswidrig, insbesondere, wenn der Brief entnommen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär