Geiselnahme in JVA: Auf der Suche nach Aufklärung

Ministerpräsident Torsten Albig stellt sich nach der Geiselnahme in der JVA Lübeck vor dem Innenausschuss vor seine Justizministerin.

Stellt sich hinter seine Justizministerin: Ministerpräsident Thorsten Albig. Bild: dpa

KIEL taz | Viele aufgeregte Fragen und ein betont ruhiger Ministerpräsident: Er lasse sich nicht wie ein „Hansel“ behandeln, sagte Torsten Albig (SPD) am Mittwoch vor dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtags.

Die Opposition versuchte, Albig in die politische Verantwortung für einen Vorfall zu nehmen, von dem der Ministerpräsident nach eigener Aussage aus der Zeitung erfuhr: die Geiselnahme im Lübecker Gefängnis an Heiligabend. Nach der gestrigen Sitzung blieben beide Seiten bei ihrer Meinung. Für Axel Bernstein (CDU) war es ein „Unding“, wie Albig sich äußere. Ekkehard Klug (FDP) sieht „politische Fehleinschätzungen“.

Die Regierungsfraktionen und auch die Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) halten das für eine überflüssige Skandalisierung: „Es geht nicht um Krisenmanagement, sondern um die Deutungshoheit. Allmählich ist das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagte Spoorendonk. Simone Lange (SPD) ätzte: „Wir beschäftigen uns zum dritten Mal mit dem Thema – was trägt das zur Sachaufklärung bei?“

Unstrittig ist, dass vier Insassen der JVA Lübeck an Heiligabend in ihrer Zelle einen Wärter überwältigten. Zwei der Häftlinge flohen mit der Geisel eine Treppe hinunter, weitere Wärter beendeten den Ausbruchsversuch binnen einer Viertelstunde.

Mit 387 Plätzen für Männer, 39 Plätzen in der Sozialtherapie und dem einzigen Frauengefängnis des Landes mit 81 Plätzen ist die JVA Lübeck, Spitzname "Lauerhof", eines der größten Gefängnisse Schleswig-Holsteins. Beschäftigte der JVA werfen der Leiterin Agnete Mauruschat einen zu weichen Stil vor:

In der Sozialtherapie werden Sexual- und Gewaltstraftäter aus dem ganzen Land behandelt und es herrscht wie in allen Gefängnissen des Landes Arbeitspflicht für die Häftlinge.

Zu den Freizeitangeboten gehören Selbsthilfegruppen und Gesprächskreise, die von Mitarbeitern wie ehrenamtlichen Helfern geleitet werden.

Bundesweit einmalig nennt die JVA eine Schreibwerkstatt für Häftlinge in Zusammenarbeit mit der Lübecker Obdachlosenzeitschrift Hempels.

Einer der Wärter kam mit einer gebrochenen Rippe ins Krankenhaus. Einige der Vollzugsbeamten werden noch wegen der psychischen Folgen des Vorfalls behandelt und das Land kümmere sich zu wenig um sie, bemängelten Oppositionsvertreter.

Die Hauptkritik entzündet sich aber daran, dass nach der Tat weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft informiert wurden. Auch die Justizministerin erhielt erst spät Meldung von dem Vorfall. Hinter vorgehaltener Hand wird ein Grund genannt: Die Gefahr war gebannt und es war schließlich Weihnachten.

Spoorendonk stellte sich hinter die Gefängnisleiterin Agnete Mauruschat, die habe korrekt gehandelt. Ein Mitarbeiter der JVA schrieb an den Ministerpräsidenten, Mauruschat „legt mehr Wert auf Freizeitgestaltung der Gefangenen als auf die Sicherheit in der Anstalt“.

Juristisch interessant ist die Frage, ob Mauruschat tatsächlich gegen Regularien verstoßen hat. So zitierte die CDU einen Alarmplan, den das Ministerium als geheim deklariert hat und aus dem hervorgeht, dass bei jeder Straftat die Polizei gerufen werden müsse.

Spoorendonk beharrte dennoch darauf, dass die Leiterin ordnungsgemäß vorgegangen sei. Erst Ende vergangener Woche enthob sie Mauruschat ihres Postens, ein Disziplinarverfahren läuft.

Zu diesem Zeitpunkt ermittelte bereits die Staatsanwaltschaft Lübeck gegen die JVA-Chefin. Anfang der Woche leitete die Behörde ein Verfahren gegen Mauruschat ein: Es besteht der Verdacht einer Strafvereitelung. Da die Polizei nicht informiert wurde, konnten nicht sofort Beweise gesichert werden.

So ist etwa unklar, ob die Häftlinge betrunken waren. Spoorendonk erklärte vor dem Ausschuss, alle offenen Fragen werden geprüft. Eine Verordnung, nach Vorfällen in Gefängnissen sofort die Polizei zu rufen, habe das Ministerium bereits erlassen.

Torsten Albig wies den Vorwurf zurück, er habe sich zu spät und zu wenig eingemischt: Er fühle sich durch seine Ministerin gut informiert, Grund zum Eingreifen gab es nicht. Lars Harms (SSW) fügte hinzu: „Es ist nicht der Job des Ministerpräsidenten, sich ein Cape überzuziehen und von Krisenherd zu Krisenherd zu reisen.“

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